Kritik zu Ein Sommersandtraum

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In der eigenartigen Komödie von Vitus-Drehbuchautor Peter Luisi verschränken sich Märchen und Realität, um die Existenz eines schnöseligen Philatelisten vor dem Versanden zu retten

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Im Leben von Benno ist alles in bester Ordnung. Er hat eine blonde Vorzeigefreundin und arbeitet in einer Briefmarkenhandlung, wo er unbedarfte Verkäufer von Sammleralben anlügt und kostbare Exemplare abzweigt. Seine Umgebung scheint ihm seine Überheblichkeit nicht übel zu nehmen. In all seiner Unausstehlichkeit ist es dem Schnösel ein besonderes Bedürfnis, tagtäglich das von seiner Nachbarin Sandra betriebene Café heimzusuchen, einen Kaffee zu bestellen und Sandra genüsslich zu beleidigen. Sandra will Sängerin werden und raubt Benno mit spätabendlichen Proben den Schlaf. Eines Nachts träumt er von ihr als seiner Geliebten. Beim Aufwachen ist sein Bett voller Sand. Das wird immer schlimmer; der Sand rieselt nur so aus ihm heraus. Klebebänder um Arme und Beine können sein Zerrinnen, das sich auch in Gewichtsabnahme ausdrückt, nicht aufhalten. Zugleich beschert der Sand nicht nur ihm, sondern auch anderen zärtliche Träume.

Mit Ein Sommersandtraum überrascht das Schweizer Kino nach Herbstzeitlosen, Die Standesbeamtin und Der Freund abermals mit einer melancholischen Komödie, die nach dem Prinzip des zweiten Blicks funktioniert. Gemächliches Timing und spröde Charaktere mit leicht zwanghafter Miesepetrigkeit, ein Gespür für die feinen Risse in der Fassade bürgerlicher Gesetztheit: Hier wird in aller Ruhe ausgelotet »zwischen dem, was jeder Mensch sein könnte und dem, was er tatsächlich ist«, wie Regisseur Peter Luisi sagt.

Zwar ist der Ausgang der Geschichte von Sandmann und Sandra nicht gänzlich unvorhersehbar. Doch Luisis kleine Mär – er war unter anderem Koautor von Vitus, der 2006 den Schweizer Filmpreis gewann – mäandert so unbekümmert dahin und spielt so frei von freudianischen Zeigefingern mit der wörtlich genommenen Metaphorik des Versandens, dass trotz der märchenhaft-kafkaesken Geschehnisse die Geschichte in einem tieferen Sinn »stimmt«. Natürlich drängt in Benno etwas mit Macht in sein Bewusstsein. Was das ist, kann er aber nur zusammen mit Sandra, deren Träume synchron zu seinen verlaufen, herausfinden. Und so entwickelt sich dieses moderne Märchen mittels experimentellen Abtauchens in Wachträume unversehens zu einer charmanten Inception-Variante. Die Grundidee ist auf Dauer zwar nicht wasserdicht, doch dafür wird das schmale Budget mit anschaulichen Details ausgeglichen.

Burgschauspieler Fabian Krüger gibt den Antihelden als verbitterten Geck, der mit seinen Lebenslügen sein Dasein in den Sand zu setzen droht. Das Objekt seines (Selbst-)Hasses wird vom aparten Frölein Da Capo, einer Kleinkunstdiseuse, die mit Chansons im Schwyzer Dialekt bekannt wurde, gespielt. Das Frölein, alias Irene Brügger, führt auch ihr Einfrauorchester vor, besticht aber besonders durch ihre Ausstrahlung einer rundlich in sich ruhenden Venus, die Bennos »Du bist hässlich, du bist untalentiert«-Mantra meist an sich abtropfen lässt. Im Film grämt sie sich ein bisschen wegen ihrer Kilos – in vergangenen Epochen wäre sie mit ihrer, mit Verlaub, Sanduhrfigur ein Schönheitsideal gewesen. In Bennos unbestechlicher Traumwelt ist sie ohnehin die Traumfrau.

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