Kritik zu Die Nacht singt ihre Lieder

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Romuald Karmakar hat Jon Fosses Erfolgsstück verfilmt

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»Meine Stücke bestehen aus leerem Gerede, das mit Emotionen aufgeladen ist«, sagt der Norweger Jon Fosse, Jahrgang 1959, derzeit der meistgespielte Gegenwartsautor auf europäischen Bühnen. Sein »leeres Gerede« ist Verwandlung von alltäglich-allzubekannten Gesprächsformeln in bestechende Dialogkompositionen, wobei sich die »Emotionen« zu bewegenden existenziellen Dramen formen. Fosses Stück »Die Nacht singt ihre Lieder« hat Romuald Karmakar in einen visuell hochkonzentrierten und darstellerisch brillanten Film übersetzt. Ein Beziehungsdrama: Neuland für Karmakar. Eigentlich ein Drama von der Unfähigkeit, einer bitteren Wahrheit ins Auge zu schauen. Damit kennt sich Karmakar aus. Alle seine Filme handeln davon, wie schwer es ist, unangenehme, von massiven Ängsten und Verdrängungswünschen umstellte Wahrheiten an sich heran zu lassen.

»Ich halte das nicht mehr aus. Wir können so nicht weiterleben« – das sind die ersten Worte der jungen Frau (Anne Ratte-Polle), die das Thema anspielen und ahnen lassen: Eine Liebe ist ausweglos am Ende. Der junge Mann (Frank Giering), mit dem die Frau in einer geräumigen Berlin-Mitte-Wohnung zusammen lebt, ist ein erfolgloser Schriftsteller, der in Apathie versinkt. Er liegt auf dem Sofa, liest, will die Wohnung nicht mehr verlassen. Das Baby im Kinderwagen weint und wird getröstet. Die Eltern des Mannes absolvieren eine beleidigend kurze Stippvisite, begutachten das Baby, stellen belanglose Fragen – »Alles wie gehabt? Ihr kommt zurecht?« – und verschwinden wieder. Die junge Frau – sie bleibt, wie der junge Mann, namenlos – will ausbrechen, streift allein durch die Straßen und geht abends in die Disco. Als sie sehr spät nachts nach Hause kommt, spitzt sich die Situation zu. Er ist aufgebracht, eifersüchtig, inquisitorisch. Sie will ihn verlassen und hat dann doch Angst, den entscheidenden Schritt zu tun: »Die Sachen halten mich irgendwie fest.« Beide spüren in jeder Faser ihrer Empfindungen, dass sie am definitiven Ende ihrer Beziehung angekommen sind, aber sie wollen es nicht wahr haben. Und so bleiben sie im Labyrinth der Trennungsängste gefangen.

Solch eine Geschichte kann man erzählen, indem man – wie etwa Oskar Roehler in »Gierig« – alle Exzesse der Verzweiflung explizit entfacht: mit Hasstiraden, Gewaltausbrüchen und sexuellen Eskapaden. Hier aber sind äußere Dramatik und Temperatur zurückgenommen. Die Textur des »leeren Geredes«, des Allzu-oft-Gesagten, des Alles-und-Nichts-Sagenden, wird in gnadenlos harte, atmosphärisch zarte und traurig-komische Momente verwoben. Im Echoraum dieser Momente entfaltet sich aufwühlend das ganze Drama der Emotionen. Ein im Schlussakt immer wiederkehrender banaler Satz wie: »Lass' uns endlich schlafen gehen«, ist einmal müde Resignation, dann wütende Attacke und dann wieder mildes Versöhnungsangebot. Es kommt auf jede Nuance der Gesten, Blicke und Stimm-Modulationen an. Diese Nuancen entfalten Karmakar und seine Darsteller mit meisterlicher Präzision, und Fred Schulers Kamera registriert sie mit größter Klarheit und Aufmerksamkeit.

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