Kritik zu Der Wind zieht seinen Weg

- kein Trailer

Ein Dorf in den italienischen Westalpen reibt sich am Zuzug einer jungen Familie. Giorgio Dirittis Low-Budget- Film wurde in Italien zum Sleeper-Hit

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Es sei doch eine gute Idee, argumentiert der Bürgermeister: »Ist es nicht genau das, was wir brauchen in unserem Dorf? Junge Leute, die hier arbeiten und das machen, was unsere Vorfahren immer getan haben?« Die Dorfbewohner, in der Mehrheit alte Leute, stimmen zu, obwohl so mancher heimlich Bedenken hat. Nicht nur weil die junge Familie aus Frankreich kommt. Doch als Philippe mit seiner Frau Chris, den drei Kindern und einer kleinen Ziegenherde herangefahren kommt, bereitet das Dorf ihnen einen großen Empfang mit feierlichen Ansprachen. Der Anblick der kleinen Kinder zaubert sogar ein seeliges Lächeln auf die Gesichter der Alteingesessenen. Der eigene Nachwuchs hat sich schon lange auf Arbeitssuche nach Turin verabschiedet. Die Mehrheit der Häuser steht leer, und wird allenfalls als Sommerresidenz genutzt. Auch die dazugehörenden Weiden sind unbewirtschaftet. Was soll dagegen sprechen, dass Philippe seine Ziegen dort grasen lässt? So beginnen die ersten Unstimmigkeiten. Man ärgert sich: über die Ziegen, die die Grenzen missachten, über den Käse, mit dem anscheinend so viel Geld gemacht wird, über die kurzen Kleidchen, die Chris trägt. Es finden sich immer mehr Gründe für das gegenseitige Misstrauen; der Streit eskaliert.

Die Geschichte ist in ihrem Ablauf vertraut: Halsstarrige Dörfler wehren sich gegen das Neue und Fremde. Giorgio Diritti, der hier eine Erzählung von Fredo Valli zur Vorlage nahm, inszeniert sie mit einfachsten Mitteln am Originalschauplatz, in einem Tal der italienischen Westalpen, in dem »Occitan« gesprochen wird. Den älteren der Laiendarsteller kommt es noch flüssig über die Lippen.

Der Film verlässt sich allerdings keineswegs auf die klassischen Low-Budget-Tugenden von Authentizität und Laiencharme, sondern zeichnet mit großer Genauigkeit und wenig Formelhaftigkeit einen Prozess nach, der sich auf ähnliche Weise überall zutragen könnte. Beide Perspektiven, die der Franzosen und die der Alteinwohner, werden nachvollziehbar dargestellt. Für das fatale Gestrüpp von Eifersüchteleien, Ängsten und Rücksichtslosigkeit gibt es keine leichten Auswege. Wenn die Wiederbelebung des Dorfes mit Verzicht auf alte Gewohnheiten verbunden ist, so halten eben viele lieber am Status quo fest.

Die Rahmenhandlung des Films zeigt ein Fernsehteam, das eine Dokumentation über die Gegend dreht und sich von einem alten Mann erzählen lässt, wie es früher war: Wie hier alle Bauern sich gegenseitig halfen und zusammenarbeiteten als solidarische Gemeinschaft. Man kann das als Appell verstehen, als Berufung auf die wahre Tradition, aber auch als Entlarvung eines selbstgefälligen Mythos: der kleinliche Nachbarschaftsneid, der Drang, sich gegenseitig zu beobachten und zu kontrollieren, das engstirnige Festhalten an dem, »wie es immer gemacht wurde« – das alles sind nicht unbedingt Folgen von Modernisierung und Landflucht, sondern haben ihrerseits eine Tradition in bäuerlichen Gemeinschaften.

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