Kritik zu Der Tiger
Nach »Napola – Elite für den Führer« und »Die Welle« befasst sich Regisseur Dennis Gansel erneut mit der Verstrickung von Verführung und Verantwortung im Faschismus
Man sieht den fünf Soldaten, die schwitzend, zerschrammt und verdreckt in einen Tiger-Panzer gezwängt sind, die psychische Zerrüttung an. Das Leid, das sie erlebt, das Leid, das sie verursacht haben, hat Spuren hinterlassen, auf ihren Körpern, in ihrer Haltung, in ihren Blicken. Und es ist nicht zufällig, dass man sich an »Das Boot« erinnert fühlt, an den Film von Wolfgang Petersen, und an die Serie, an der Co-Drehbuchautor Colin Teevan auch schon beteiligt war.
»Der Tiger« spielt 1943 an der Ostfront, Monate nachdem das Gefecht um Stalingrad den Allmachtsfantasien Hitlers einen schweren Dämpfer versetzt hatte. Nachts auf einer umkämpften Brücke drängen die Männer von Leutnant Philip Gerkens (David Schütter mit einer sehr physischen Präsenz) zum Rückzug; er widersteht ihren zunehmend panischen Forderungen, harrt bis zum allerletzten Moment auf der Brücke aus, die um Mitternacht gesprengt werden soll, um den Durchmarsch der russischen Armee zu bremsen. Aus dem Maschinenraum des Panzers dringen die Rufe der Männer, doch erst im letzten Moment kommt das erlösende Kommando zum Rückzug: »Schneller, schneller, tritt aufs Pedal!«, rufen die Männer verzweifelt. »Wir schaffen es nicht!«, fürchten sie. »Wir schaffen es!«, hoffen sie. Und dann explodiert die Brücke. Das Letzte, was sie sehen, ist ein verloren wirkendes Reh, das sich aus dem Wald an den Kriegsschauplatz verirrt hat und um Orientierung ringt.
Immer wieder hat sich Dennis Gansel, wesentlich inspiriert von den Kriegserzählungen seines Großvaters, mit dem Nationalsozialismus und seinen moralischen Fragen beschäftigt. Nach »Napola« über die gleichnamige Eliteschule und dem gegenwärtig verorteten Experiment von »Die Welle« könnte man »Der Tiger« als Abschluss einer Trilogie über die Verstrickungen von Verführung und Verantwortung, von Schuld und Gewissen betrachten. Immer wieder, fast ein wenig zu oft, und zunehmend verzweifelt redet sich der Leutnant darauf heraus, dass er nur Befehle befolgt habe, dass Befehle der einzige Halt seien, dass ohne sie alles zerbrechen würde, und je mehr er davon spricht, desto klarer wird, dass er seiner Schuld nicht entkommt. Immer wieder gibt es verklärende Rückblicke in den Sommer '39, die letzte Zeit des Glücks und der Unschuld, bevor der Krieg kam. »Immer weiter kämpfen, immer weiter Krieg führen, bloß nicht zur Ruhe kommen, damit der Lateinlehrer und der Winzer, der Lokführer und der Bauernjunge schön mitmachen«, sagt der von Sebastian Urzendowsky gespielte Keilig.
Wenn man nur noch Explosionen sieht, Feuersbrünste, Rauchschwaden und berstendes Metall, liegt es nahe, dass alle gestorben sind. Andererseits: Solange man keine Toten sieht, bleibt immer eine Restunsicherheit, eine Resthoffnung. Auf der bauen Gansel und sein Co-Autor Teevan ihre Geschichte auf; immer wieder säen sie Zweifel und Unsicherheiten, in dunklen Nächten, an dunstigen Tagen, unter Wasser und im Feuer, nie ist die Sicht ganz klar und eindeutig. Dazu kreiert Kameramann Carlo Jelavic düster geheimnisvolle Alptraumlandschaften des Krieges, in denen man der Wahrnehmung nicht trauen kann. Neben Schütter machen auch Urzendowsky, Laurence Rupp, Leonard Kunz und Yoran Leicher viele Nuancen der Verunsicherung spürbar.
Kurz nach der Explosion versammelt sich das Tiger-Team wieder am Panzer, es gibt einen neuen, streng geheimen Einsatz. Sie sollen einen deutschen, womöglich übergelaufenen Oberst hinter den Frontlinien aufspüren und zurückbringen. Doch Operation Labyrinth ist ein Geisterauftrag. Und wie das Reh auf der Brücke ringen auch die Soldaten immer wieder um Orientierung: Woher kommen die Schüsse, wo sind Minen im Boden vergraben, woher kommen die feindlichen Panzer? »Der Tiger« ist ein Antikriegsfilm, in dem die harsche Realität zwischen Erschöpfungs-Tief und Methamphetamin-High fließend in posttraumatische Horrorvisionen übergeht.
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