Kritik zu Der Fall Sarah & Saleem

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Gewalt ist keine Lösung: Muayad Alayan (»Love, Theft And Other Entanglements«) erzählt von einer Affäre, die im israelisch-palästinensischen Spannungsgebiet Privates ins Politische katapultiert

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Eine verheiratete Frau liebt einen verheirateten Mann. Vielleicht ist es auch nur der Sex, der sie verbindet. In Muayad Alayans Film »Der Fall Sarah & Saleem« besitzt die alltägliche Konstellation einen explosiven Kern. Die Israelin und Cafébesitzerin Sarah (Sivane Kretchner) trifft sich in Jerusalem abends mit dem Palästinenser Saleem (Adeeb Safadi), der das Café mit Backwaren beliefert. Saleems Frau Bisan (Maisa Abd Elhadi) ist schwanger, Sarahs Mann David (Ishai Golan) Oberst der israelischen Armee. Nach einem Streit in einer Bar in Bethlehem wird die Affäre öffentlich und zum Politikum.

Der palästinensische Filmemacher Alayan, der 2015 mit »Love, Theft And Other Entanglements« bekannt wurde, und sein für das Drehbuch verantwortlicher Bruder Rami erzählen die Geschichte einer permanenten und unerbittlichen Eskalation. Ein Happy End scheint in der von Spannungen und Gewalt geprägten Stadt Jerusalem unmöglich. Zu Beginn nimmt Sebastian Bocks Kamera die unterschiedlichen Milieus auf, in denen Sarah und Saleem leben, spiegelt Konflikte der Eheleute und beobachtet ihre Fluchten aus einem komplizierten Alltag. Der Zuschauer betrachtet das in dem Wissen, dass der israelische Geheimdienst Saleem in Gewahrsam hat. Die Verhörsituation und die Aufforderung »Erzähl mir über die Frau, die du rekrutiert hast«, formen den dramaturgischen Rahmen des Films.

Saleem erscheint in den Rückblicken wie ein Jongleur, der mehrere Bälle in der Luft halten will, aber allmählich die Kontrolle verliert. Existenzielle Verunsicherung erfasst auch Sarah, Bisan und David. Der Film verzichtet auf ein fiebriges Erzähltempo. Er zeigt geduldig und mit Sinn für Zwischentöne und Nuancen, wie Menschen in einer ausweglosen Lage handeln, wie Lügen neue Lügen generieren und Verrat neuen Verrat schafft. Die Kollateralschäden sind enorm. Der Regisseur hat seine Fragestellung in ein bewegendes Drama verwandelt: »Wie viel Druck kann ein Einzelner aushalten, bevor man den eigenen moralischen Kompass über Bord wirft? Sind wir in der Lage, unsere eigenen Privilegien für jemand anderen zu riskieren, oder setzen wir uns immer an erste Stelle?«

Die Schauspieler nehmen die Angebote des Films, der sich aufs Private fokussiert, ohne das Politische aus den Augen zu verlieren, dankbar an. Adeeb Safadi stellt als Saleem einen zerrissenen Mann dar: brütend, impulsiv, in einem Moment liebevoll, im anderen jähzornig und unberechenbar. Was ihn mit Sivane Kretchners Sarah verbindet, sind egoistische und rücksichtslose Züge, die sie zu Tätern und ihre Angehörigen zu Opfern machen. Maisa Abd Elhadi als Bisan entwickelt eine überraschende Souveränität, um mit der Situation umzugehen. Ishai Golan kämpft mit den Mitteln eines sturen und mundfaulen Soldaten gegen den Zerfall seiner privaten Welt an. Gewalt, zeigt der Film, ist keine Lösung. Was so etwas wie einen Hoffnungsakzent setzt, ist die unerwartete Annäherung zwischen Sarah und Bisan. Starke Frauen können Krisen meistern.

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