Kritik zu Axiom

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Eine Entdeckung der diesjährigen »Encounters«-Sektion der Berlinale: In seinem zweiten Film erzählt Jöns Jönsson von einem systematischen Lügner

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Eigentlich sind wir von Anfang an gewarnt. Julius, ein aufgeschlossen und umgänglich wirkender Mittzwanziger, sitzt in der Straßenbahn, auf dem Weg nach Hause. Ihn umlagert eine Gruppe Jugendlicher. Einer erzählt eine Geschichte: wie er entdeckt hat, dass ein Mann im Keller des Hauses jede Menge Aquarien stehen hat und einen schwunghaften Handel mit seltenen, anderswo gestohlenen Fischen betreibt. Später wird Julius diese Geschichte als seine eigene verkaufen. Das verzeiht man ihm vielleicht noch, aber die Irritation bleibt. 

Julius, dem der Schauspieler Moritz von Treuenfels ganz hervorragend ein immer arglos wirkendes Gesicht verleiht, hat einen Job als Aufsicht in einem Kunstmuseum. Dort gibt es einen neuen Kollegen, Erik (Thomas Schubert, den man aus Jan Bonnys »Wintermärchen« kennt). Julius lädt ihn, zusammen mit anderen Kollegen, zu einer Bootstour ein, die er, wie wir erfahren, offenbar schon ein paar Mal abgesagt hat. Julius' Familie gehört ein Boot, schließlich ist er von der Mutter her adelig. Heißt es. Die Tour, zu der es nie kommen wird, steht kurz vor dem Abbruch, als er erfährt, dass die anderen keine Schwimmwesten haben. Und im Zubehörshop bekommt Julius einen epileptischen Anfall und muss ins Krankenhaus. Da holt ihn dann seine Mutter ab und fragt ihn, ob er seinen Kollegen erzählt hat, dass sie ein Boot besitzen. Denn die Familie ist mitnichten reich.

War der Anfall nur gespielt? Wir müssen es annehmen. Einen eindeutigen Hinweis gibt der Film nicht. Denn Julius ist weniger ein Aufschneider als ein professioneller Lügner, ein Meister im Erfinden von der Situation angepassten Geschichten. Seiner WG erzählt er, dass er bald wegen eines Stipendiums auszieht. Es ist irritierend, dass er seiner Mutter von seiner Freundin erzählt – die er dann, gegen die Erwartungen der Zuschauer, doch hat. Der macht er allerdings glauben, dass er ein Architekturbüro leitet. 

Es ist vorgezeichnet, dass Julius sich irgendwann ins Aus manövrieren wird in diesem Film, der sein faszinierendes Spiel mit der Fiktion und dem Gran Wahrheit weniger als Geschichte denn als Abfolge von Zustandsbeschreibungen und Situationen vorträgt. Auch wenn »Axiom« auf eine Dramaturgie weitgehend verzichtet, versetzt er doch in seinen Episoden uns Zuschauer, die wir um Julius' Lügerei wissen, nach gehörigem Fremdschämen, in einen Zustand der Spannung: Wird Julius sich verraten? Das ist mitunter ziemlich schwer auszuhalten, ein Mitleiden mit einem, der es eigentlich nicht verdient hat. 

»Axiom« ist keine Charakterstudie, es gibt keine Hinweise darauf, warum er so handelt. Auf Geld ist er jedenfalls nicht aus. Julius ist ein Mann ohne Eigenschaften, ein Chamäleon, das auf seine Umgebung reagiert, das den Menschen die Geschichten gibt, die sie vielleicht hören wollen. Das könnte man natürlich vortrefflich interpretieren als Allegorie auf, sagen wir mal, den Anpassungsdruck und die Charaktermasken im Kapitalismus. Aber das muss man auch nicht.

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