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Martin Gressmann hat von 1986 bis 2010 das Gelände des ehemaligen Gestapo-Hauptquartiers gefilmt, auf dem heute das Dokumentationszentrum »Topographie des Terrors« steht
Westberlin war die längste Zeit der Ort, an dem man sich vor Augen führen konnte, dass es den Krieg und die Herrschaft des Faschismus tatsächlich gegeben hat – und dass all das gar nicht so lange her ist. Einschusslöcher in mancher Fassade, eine Vielzahl an ungepflegten Brachen und an manchen Stellen sogar noch richtige Ruinen boten Zeugnis. Der unheimlichste oder auch verwunschenste dieser Orte aber war zweifellos der Platz östlich des Martin-Gropius-Baus, der direkt an die Mauer grenzte. Nur waghalsige Fahrradfahrer, die auf dem Weg von Kreuzberg in den Tiergarten einen Schleichweg suchten, kamen hier vorbei. Von den überwachsenen Schuttbergen und dem teils eingezäunten Dickicht ging die Ahnung aus, dass hier etwas gestanden hatte, was man offenbar nicht mehr hatte haben wollen und woran auch nicht erinnert werden sollte. In schneereichen Wintern nutzten manchmal ein paar Kinder die Hügel als Rodelhänge. Besonnene Mitbürger versuchten, sie davon abzuhalten.
Der unheimlich-verwunschene Ort trägt die Adresse Niederkirchnerstraße 8; früher hieß die Straße Prinz-Albrecht-Straße und in die Nummer acht war 1933 die Gestapo eingezogen, später auch der Reichssicherheitsdienst. Hier wurden Terror und Völkermord geplant und verwaltet, hierher wurden Gefangene gebracht und gefoltert. Die Prinz-Albrecht-Straße lag damals mitten in der Stadt, heißt es irgendwann in Martin Gressmanns Dokumentation über diesen Ort, die Nazis wollten ihre Geheimpolizei und deren Taten gar nicht verbergen, im Gegenteil, dass jeder wusste, was hier geschah, diente als Instrument der Kontrolle.
Der in der Hauptsache als Kameramann arbeitende, 1953 in Hamburg geborene und 1981 nach Berlin gezogene Martin Gressmann hat dieses »Gelände« und seine unmittelbare Umgebung seit 1986 immer wieder gefilmt. Die Aufnahmen hat er nun zu einer Dokumentation zusammengeschnitten, die einem faszinierenden Essay gleichkommt. Das Gelände ist viel mehr als eine Langzeitbeobachtung, die nachvollzieht, wie aus diesem Schreckensort nach Jahren der Vernachlässigung zuerst in den 80ern ein Ort des Gedenkens und schließlich, in den 2000er Jahren, unter dem Namen »Topographie des Terrors« ein richtiges Museum wird. Wer solche Fakten wissen will, muss die Wikipedia bemühen. Denn die Vielzahl an Sprechern, die Gressmann über seine Aufnahmen aus den Jahren 1986–2010 gelegt hat, äußern sich nur bruchstückhaft und auf höchst diverse Weise über das, was auf und mit dem »Gelände« passiert ist. Im Mosaik des von Zeitzeugen, Historikern, Architekten, Politikern und Betroffenen Gesagten aber setzt sich ein ungeheuer vielschichtiges Nachdenken zusammen. Darüber, wie man den Tätern und gleichzeitig dem hier erlittenen Leid angemessen gedenkt, darüber, wie Städte sich neu erfinden und verändern. »Das Provisorium ist fast vorbei«, besagt ein Untertitel gen Schluss. Und plötzlich hofft man auf das »fast«, denn nichts ist geschichtsträchtiger als ein Provisorium.