Berlinale-Retro: »Vogelfrei« (1985)

»Sans toit ni loi«
»Vogelfrei« (1985). © Cine Tamaris

»Coming of Age in the Movies« ist das Thema der diesjährigen Berlinale, und strenggenommen fällt Agnès Vardas »Vogelfrei« von 1985 gar nicht darunter: Denn Mona, die jugendliche Protagonistin, wird gleich zu Beginn des Films erfroren in einem Graben aufgefunden, ins Alter kommt sie nie.

Mona wird gespielt von Sandrine Bonnaire, 18 Jahre alt und am Anfang ihrer Filmkarriere – Mona trampt durch die Gegend, mit Rucksack und Zelt, der Film erzählt von ihr im Rückblick, und Varda macht das dramaturgisch sehr klug: sie flicht nämlich Kommentare derer ein, die Mona mal gesehen haben, und dies nicht investigativ wie in »Citizen Kane«, sondern beiläufig. Teils durch private Gespräche der Figuren, teils in die Kamera wie bei einem Interview, das ohne Interviewer auskommt. Als würden sie zum Film direkt sprechen, und damit zum Zuschauer.

Mona zieht umher und prägt die anderen, ohne selbst sich wirklich zu verändern. Sie ist nicht einmal eine Aussteigerin, weil »aussteigen« beinhaltet, dass das System, aus dem ausgestiegen wird, überhaupt anerkannt wird. Mona behandelt die Menschen als lästiges Beiwerk auf ihrem Weg, der ohne Ziel ist. Hier und da verdient sie Geld. An einer Tankstelle wäscht sie Autos und tauscht intensive Blicke mit dem Sohn des Tankwarts aus. Am nächsten Tag muss er mit ansehen, wie sein Vater aus ihrem Zelt kriecht – sie weiß, was sie will, wie sie es bekommt, was es kostet. Auch eine Vergewaltigung im Wald scheint spurlos an ihr vorbeizugehen, als Preis, den sie zahlen muss für die Freiheit.

Yolande Moreau, ebenfalls in einem ihrer ersten Filme, spielt ein Dienstmädchen, das nachhaltig beeinflusst ist von der Begegnung mit Mona. Eine Professorin, die eine Platanen-Pilzerkrankung untersucht, ist von ihr angetan, und weiß doch nicht, was mit ihr anzufangen ist. Ein Ziegenbauer-Aussteiger hat einen Doktor in Philosophie, mit Monas Lebenseinstellung kann er nicht zurechtkommen. Und wunderbarerweise fügen sich einige der nebenbei erzählten Geschichten am Ende zusammen, überkreuzen und beeinflussen sich; und so überlebensfähig Mona auch ist, gegen Zufall und Verkettungen ist sie nicht gewachsen.

Maren Ade hat den Film ausgesucht, und es ist einer der Makel der diesjährigen Retro, dass Ade nicht persönlich den Film vorstellte. Wäre das schwierig zu organisieren gewesen? Im Grußwort auf der Homepage schreibt sie, was sie beeindruckt hat: Dass Varda von einer jungen Frau erzählt, die sich nicht erklärt, die sich nicht vereinnahmen lässt. 

Mona fragt mal an einem Haus nach etwas Wasser, zieht schnell weiter. Innen aber wundert sich einer: Sie ist so frei! Die Mutter argumentiert: Sie ist frei, hat aber keinen, der sich um sie kümmert. Antwort: Ich wäre trotzdem gerne so frei.

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