Retrospektive: »Mit Haut und Haar«

»Mit Haut und Haar« (1999). Quelle: DFF - Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, Frankfurt am Main. © Eva Gensch

Frauen erzählen: Zum Ende des Jahrhunderts befragten Crescentia Dünßer und Martina Döcker sechs alte Frauen über ihren Lebensweg: »Mit Haut und Haar« heißt ihr Dokumentarfilm von 1999, es ist chronologisch der letzte Film der diesjährigen Retrospektive. Sechs Frauen, Jahrgänge zwischen 1907 bis 1925, reden über sich. Es fängt an mit der Geburt, geht weiter mit der Kindheit: Antworten zum Lieblingsessen und zu den Lieblingsspielen ebenso wie zu den allgemeinen Lebensverhältnissen, Erinnerungen an die Sinalco beim Sonntagsspaziergang und an die Angst vor der Dunkelheit, an das Klavierspiel zum Einschlafen und an die Schule: »Beschneidung meiner persönlichen Freiheit«, meint eine, »ein notwendiges Übel.«

Chronologisch werden die Biographien befragt, und es entsteht eine mündliche Erzählung des Frauseins in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Wie war das mit der Sexualaufklärung, mit der erste Liebe, mit dem ersten Mal? Wie war das mit der Beruffindung, wie ging es in der Ehe? Und: Der Krieg? Mit dem abwesenden – oder getöteten – Mann, mit den Bombennächten, mit dem ins Private hineinreichenden Nationalsozialismus? Die Frauen erzählen, jede für sich, ihre privaten Geschichten. Und das ist ein wunderbarer, interessanter, auch amüsanter Film geworden; bei dem klar wird, dass sich Kindheiten alle ähneln – manches kennt auch der Verfasser dieser Zeilen noch aus den 80ern –, und dass die Umstände dann doch sehr anders waren. 

Ein guter Film, keine Frage; dessenungeachtet: Ist es der richtige Film in einer Retro über Selbstbestimmung der Frauen? Selbstbestimmt war das Leben nicht; und dahin, wo es hätte selbstbestimmt sein können – ab den 1960ern – reicht der Film nicht mehr hinein. Dass das Private politisch sein könnte, spielt in »Mit Haut und Haar« für seine Protagonistinnen gar keine Rolle. Sie haben ihr Leben gelebt, und diese Leben waren ganz normal, und gerade deshalb sind sie packend. Etwas Größeres zeigen oder erzählen will der Film nicht; das braucht er auch nicht, für sich genommen. Im Kontext der Retro und seines Themas zeigt sich aber gerade in diesem Titel die Unbestimmtheit der Themenfindung, die sich schon in den letzten Jahren abgezeichnet hat. Man wollte diesen Film wohl bringen und hat deshalb den Zeitrahmen bis 1999 ausgedehnt: Was ja nun beim Retromotto »Selbstbestimmt« nicht zwingend ist. Ja, den Film entdeckt zu haben, bringt mit persönlich eine Bereicherung; die Retro allerdings profitiert als Ganzes nicht, wenn eine klarge Zuschneidung fehlt.

Naja. Mir soll's recht sein. Ich freu mich allgemein, wenn ich einen guten Film sehe.

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