Retrospektive: »Das Fahrrad«

»Das Fahrrad« (1982). © DEFA-Stitung / Dietram Kleist

Wie in »Kennen Sie Urban?« von 1971 oder in »Das Mädchen aus dem Aufzug« aus dem Jahr 1990 greift auch Evelyn Schmidt 1982 in »Das Fahrrad« so etwas wie ein Tabuthema der DDR auf: Dass es im Arbeiter- und Bauernstaat eben doch innerhalb der hochbeschworenen Arbeiterklasse verschiedene Schichten gibt. Nämlich auch die, die's nicht auf die Reihe kriegen, die unten sind, die arm sind und ungelernt und denen alles zuviel wird. 

So eine ist Susanne, Mittelpunkt des Films und immerhin stolze Besitzerin des titelgebenden Fahrrads. Außerdem hat sie eine Tochter, eine doofe Arbeit, einen Kindsvater, der mit dem Unterhalt knausert. Dass die Produktionsmittel nicht dem privatwirtschaftlichen Profit dienen, schützt sie nicht davor, von ihrer Arbeit entfremdet zu sein: Stupides Charlie-Chaplin-Beschäftigung an einer Metallausschneidemaschine. Abends geht sie in den Musikclub, da hängen die Gammler rum und hören merkwürdige Musik. 

Oben drüber, im edleren Teil, da ist eine Firmenfeier zugange. Thomas wurde befördert. Ihre Blicke treffen sich. Und er steigt zu ihr hinab. Wirbt um sie. Ist für sie alsbald das größte Glück auf Erden. Zuvor aber, da war diese Dummheit: Im Suff ausgebaldowert, dann, wegen fehlendem Geld und kranker Tochter ausgeführt: Das Fahrrad als gestohlen melden. Und damit die Versicherung um 450 Mark betrügen.

Evelyn Schmidt ist heftig angeeckt mit ihrem Film. »Wir haben mit Kritik gerechnet«, sagte sie einführend zum Film, »was aber kam war Verdammung auf Lebenszeit.« Insbesondere die Protagonistin habe nicht dem Frauenbild der DEFA und der Partei entsprochen – zumindest dem, das die Männer so vor sich hatten. Susanne legt die Arbeit nieder und geht lautstark: »Macht doch euren Dreck alleine!« Sie ist stark – und doch ganz schwach, im Zusammensein mit Thomas zeigt sich das. Immer wieder Streit, weil sie Zurückweisung befürchtet, bis hin zur Hysterie. Selbstwertgefühl schwer verletzt, da müssen tiefe alte Wunden sein in der Seele. Grandios bringt Darstellerin Heidemarie Schneider das rüber, was überhaupt nie aus- oder gar angesprochen wird. Und Schmidt versteht es, die Annäherung der beiden sehr geschickt und schön berührend über Bande zu inszenieren: Wie sie sich am Abend der Begegnung um die Tanzfläche herum umschleichen…

Thomas nimmt sie auf, bei sich zuhause: Wollen wir nicht zusammenziehen? Geht doch ganz schnell, bei deinen wenigen Sachen! Den LKW krieg ich aus dem Betrieb… Es ist verliebter Überschwang und der Versuch, eine tiefere Beziehung zu finden. Er findet Arbeit in seiner Firma für sie, er stabilisiert ihr Leben. Und er wird selbstgerecht. Und sie wird stark. Weil sie merkt: Aus ihrem Schlamassel muss und kann sie selbst rauskommen. Aus der Betrugsgeschichte genauso wie aus der asymmetrischen Beziehung. Am Schluss lacht sie, und ihre Tochter fährt Fahrrad.

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