Stell' die Schärfe auf ­unendlich und dreh!

»Isolation Of 1880000« (1977)

Wie beim »Cinema of Transgression« in New York und bei den »Genialen Dilletanten« (sic!) in Berlin ließen sich zum Ende der 70er Jahre auch in Tokio junge rebellische Filmemacher vom Do-it-yourself-Spirit der Punkbewegung infizieren. Die im Forum vorgestellte Reihe »Hachimiri Madness« zeigte die wilden Super-8-Frühwerke mittlerweile etablierter japanischer Regisseure erstmals in Deutschland. So ist Sogo Ishii etwa bei uns vor allem durch seine Komödie »Die Familie mit dem umgekehrten Düsenantrieb« (1984) und den Musikfilm »½ Mensch« (1986) mit der Berliner Avantgardeband »Einstürzende Neubauten« bekannt. Nun war sein Erstlingswerk »Isolation Of 1/880000« aus dem Jahr 1977 zu sehen. Darin will der überforderte Student Teramitsu sich im hektischen Tokio zum x-ten Mal auf die Aufnahmeprüfung bei der Universität vorbereiten. Laut musizierende Halbstarke nebenan und die sich am Fenster gegenüber entkleidende Nachbarin treiben den vereinsamten Nerd aber bald in den Wahnsinn.

»I Am Sion Sono!!« (1984)

Weitaus radikaler geht der damals 22-jährige Punkpoet Sion Sono in seinem Selbstporträt »I Am Sion Sono!!« (1984) vor: »Stell' die Schärfe auf unendlich und dreh einfach!«, brüllt er seinem Freund mit der Kamera zu, bevor er sich den Schädel kahlrasieren lässt. In dem abendfüllenden »homemovie« »A Man's Flower Road« (1986) flitzt Sion Sono nur mit rotem Regenmantel bekleidet durch Tokio und kotet in einem öffentlichen Park. Er tummelt sich mit Kappas (japanischen Fabelwesen) in einem Abwasserkanal und geht im Elternhaus tagelang seiner Familie auf die Nerven. Müde streicht ihm seine Mutter mit der Hand über den Kopf. »Wann wirst du endlich erwachsen?« Nie! Die ersten holprigen Gehversuche des inzwischen für Filme wie »Love Exposure« (2008) international ausgezeichneten Filmemachers sind ein Schlag ins Gesicht des Zuschauers. Gedreht wurde mit Handkamera. Der O-Ton ist oft erbarmungslos übersteuert. Geschnitten hat Sono den Film offenbar mit einer Axt. In der japanischen Gesellschaft, in der ausgeprägter Individualismus und Selbstbehauptung unerwünscht sind, müssen die Filme des ungestümen Egomanen eine Zumutung für das Publikum gewesen sein.

»UNK« (1979)

Geradezu brav erscheinen im Vergleich die Genrefingerübungen von Makoto Tezuka (Sohn der Anime-Legende Osamu Tezuka). Ein junges Mädchen wird in den Hochhausschluchten von Tokio von Außerirdischen aufgelesen und darf im Raumschiff mitfliegen. »UNK« (1979) ist eine mit handgemachten Filmtricks realisierte Verbeugung vor Spielbergs »Unheimliche Begegnung der Dritten Art«.

Für die Reihe wurden die grobkörnigen Super-8-Originale digitalisiert. Denn die zerkratzten und verschlissenen 8-mm-Filmstreifen mit dem unruhigen Bildstand wären sicher nie mehr reibungslos durch einen Filmprojektor gelaufen. Auf eine Säuberung des Materials hat man zum Glück verzichtet. So korrespondiert die rohe Unzugänglichkeit des Filmmaterials wunderbar mit der aufrührerischen Poesie, die alle Werke dieser Bewegung vereint.

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