Mediale Meditation

»A Lullaby to the Sorrowful Mystery« (2016). © Bradley Liew

8 Stunden für einen Film? Der geschulte Forumsbesucher bei der Berlinale zuckt da nur die Schultern und sagt, »na und«? Hatten wir doch alles schon. Für mich allerdings war das neu. Ich habe Edgar Reitz´ erste »Heimat« mal im Kino gesehen, das ging eine ganze Nacht und noch länger, aber das war eher eine Party, mit viel Bier, einem hausgemachten Büffet und einer großen Gruppe von enthusiastischen Freunden. Im Berlinale Palast heute morgen sah das anders aus. Während draußen die Sonne gerade erst anfing, das Pflaster zu erwärmen, tat man drinnen so, als sei Abend und eine Galapremiere begänne. Fein herausgeputzt kam das Team um Lav Diaz, um den Film »A Lullaby to the Sorrowful Mystery« vorzustellen, einen Film in schwarz-weiß, mit langen ruhigen Einstellungen der einlud, die philippinische Rebellion gegen die spanische Kolonialmacht im 19. Jahrhundert als Mediation wahrzunehmen. Und genau das ist es dann auch. Lav Diaz läßt verschiedenen Handlungsstränge einfach nebeneinander stehen und gibt allen Zeit. Viel Zeit. Die Kamera steht still und schaut zu. Menschen bewegen sich, suchen einen vermissten Volkshelden, sprechen und warten. Lange ruhige Szenen inmitten einer Rebellion. Nun stellt sich die Frage, ob man eine doch recht klare historische Geschichte über 8 Stunden hinweg erzählen muß und die Antwort lautet klar: natürlich nicht. Aber der Reiz, den solch ein Filmkunstwerk hat, vermittelt sich erst, wenn man zuschaut, wenn man Menschen über Stunden dabei beobachtet, wie sie durch dichte Wälder laufen, Flüsse überqueren und ständig gekochte Bananen essen. Um das Dickicht zu entzaubern hat Diaz dem Film die Farbe genommen. Somit streifen wir durch ein undurchdringbares grau in grau und finden uns langsam in einer mythisch historischen Meditation ein, die etwas spürbar werden läßt, von dem was wir rückblickend Geschichte nennen. »A Lullaby to the Sorrowful Mystery« ist keine Quälerei sondern ein Experiment, dass sinnvoll wird, wenn man aufhört darüber nachzudenken. Ich bin geschafft aber irgendwie auch froh aus diesem Film herausgekommen. Nicht zuletzt auch darüber, dass so etwas eine Ausnahme bleiben wird. Und es sollte mich nicht wundern, wenn die Jury diesen Film mit einem Preis belohnt. Und damit auch sich selbst fürs durchhalten.

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