Kontinentaldrift
Dieser Tage kam ich endlich dazu, einen Nachruf auf Ted Kotcheff zu lesen, der seit Wochen in einem offenen Tab schlummerte. Beim Lesen bekam ich nicht übel Lust, mir die Memoiren des Regisseurs zu besorgen. Der Kanadier scheint darin ziemlich vom Leder zu ziehen. Zu den erstaunlichsten Anekdoten gehört wahrscheinlich die, in der ihn Michelangelo Antonioni um Rat bittet.
Laut Kotcheff schätzte der seinen zweiten Kinofilm »Life at the top« (Ein Platz ganz oben,1965) sehr und erhoffte sich von ihm einige Aufschlüsse darüber, wie man das Swinging London filmt. Der spätere Regisseur von »Rambo«, »Eine Frau steht ihren Mann« und »Immer Ärger mit Bernie« als Ideengeber für »Blow-Up«? Sich diese Konjunktion vorzustellen, braucht es schon ein gerüttelt Maß an Phantasie. Jedoch ergibt sie durchaus einen Sinn, denn immerhin verband sie der fremde Blick auf die Stadt. Ich liebe solche Geschichten, in denen vermeintliche Unvereinbarkeiten mit einem Schlag überwunden sind. Filmemacher sind in dieser Hinsicht weit flexibler als wir Kritiker: Sie halten nicht an den Kategorien fest. Auf Festivals lässt sich dieses Phänomen häufig erleben, da werden Künstler unterschiedlichster Couleur für eine Woche zu dicksten Freunden.
Insgeheim vermutet man dennoch, dass sie dabei zuweilen über ihren Schatten springen müssen. Gibt es in diesen Konstellationen nicht immer einen, der sich großzügig zeigt? Ist wahrscheinlich auch nur eine Projektion. Stanley Kubrick beispielsweise wird mir stets eine Spur sympathischer, wenn ich daran denke, dass er ein großer Bewunderer von »Ein glückliches Jahr« war. Recht hatte er, das ist wirklich Claude Lelouchs schönster Film, vor allem wegen der Funken, die zwischen Francoise Fabian und Lino Ventura sprühen. Es heißt, er habe die charmante Krimikomödie vor den Dreharbeiten zu „Eyes Wide Shut“ seinen beiden Stars vorgeführt. Kubrick war ohnehin bekannt dafür, gern Kollegen anzurufen um herauszufinden, wie ihnen dieses oder jenes Kabinettstück gelungen ist.
Ein weiteres epochales Beispiel für eine derartige Kontinentaldrift der Sympathien soll sich beim Dreh von Richard Lesters erstem „Musketier“- Film zugetragen haben. Der Regisseur war völlig verblüfft, wie gut sich Charlton Heston und Spike Milligan verstanden. Die Darsteller von Cardinal Richelieu respektive Monsieur Bonacieux waren ständig ins Gespräch miteinander vertieft. Um die Dimension dieses friedlichen Kulturschocks vollends ermessen zu können, müsste man allerdings ausführlicher in die Untiefen der britischen Komik hinabsteigen. Apropos: Mel Brooks als Produzent von David Lynchs »Der Elefantenmensch«? Auf diese Kombination war Anfang der 1980er gewiss niemand gefasst. Ein durchaus vergleichbares Rencontre durfte ich vor einigen Wochen bei einer Feier in der hiesigen Kinemathek miterleben, als ich sah, wie unzertrennlich Thomas Arslan und Jörg Buttgereit den ganzen Abend über waren.
Damit solch spontane Allianzen entstehen können, müssen sich die Beteiligten natürlich auf Augenhöhe begegnen können. In einer neuen französischen Monographie über Sam Peckinpah las ich unlängst über ein bemerkenswertes Gipfeltreffen. 1976 erholte sich der Maverick in Venedig von den Strapazen des Drehs von »Steiner – Das eiserne Kreuz«. Zu diesem Zweck stieg er mit seiner Frau Katy und seinem Freund James Coburn im ehrwürdigen Hotel "La Fenice" ab. Erholung bedeutetefür ihn in diesem Fall (und wohl auch sonst), dass er sich nackt mit einer vollen Whiskyflasche im Zimmer verbarrikadierte. Seine Reisebegleiter wollten derweil einen Spaziergang unternehmen. In der Lobby traf Coburn jedoch auf einen stattlichen Herrn in einem wallenden Umhang und einer schwarzen Fedora. Es war Federico Fellini. Katy Peckinpah fragte ihn, ob er ihren Mann kennenlernen wolle. Zu ihrer großen Überraschung akzeptierte er. Als sie das Hotelzimmer betraten, war Sam immer noch nackt. Fellini störte das nicht, seine Filme weisen ihn schließlich als Jemanden aus, dem nichts Menschliches fremd ist. "Mein Gott!" entfuhr es seinem amerikanischen Kollegen, der Fellini seit seiner Jugend bewunderte. Der Meister legte den Mantel und Hut aufs Bett und ließ sich würdevoll auf einem freien Stuhl nieder. Katy ließ die beiden allein und ging mit Coburn spazieren. Einige Stunden später kehrte sie zurück und fand sie in der gleichen Position wieder. Sam hatte sich immer noch nicht angekleidet und die Flasche war mittlerweile leer. Worüber mochten die Zwei bloß gesprochen haben? Keiner von ihnen hat es je verraten.
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