Der Wolf und die sieben Gaumen

Ich musste lange suchen, bis ich in seiner Kritik an eine Stelle geriet, an der ich widersprechen wollte. Tatsächlich war mir meine Zustimmung ein wenig mulmig. Im letzten Satz wurde ich endlich fündig.

Die Rede ist von der Rezension, die Rudolf Worschech im aktuellen Heft über »Die Vorkosterinnen« veröffentlichte. Zwei Sterne nur hat er Silvio Soldinis Film gegeben, das ist erst einmal keine Empfehlung. Ich hätte ihn gern gegen dieses Urteil verteidigt. Es nimmt mich für ihn ein, dass dieser in aller Regel zuverlässige Regisseur sein vertrautes Terrain verlässt und einen Historienfilm dreht, bewundernswerterweise auch noch in einer fremden Sprache. Aber das fällt nicht ganz leicht, nachdem ich ihn nun gesehen habe. Solides Schauspielerkino, von Renato Bertas Kamera dezent stimmungsvoll umfangen... das hilft hier nicht viel weiter. Rudolf hat schon Recht, dass »Die Vorkosterinnen« sich rasch den Stereotypen und der Kolportage überantwortet; überdies ohne Not.

Liegt es an der Vorlage, Rosella Postorinos Bestseller? Den habe ich nicht gelesen, er wurde zwar in 46 Sprachen übersetzt, nur eben nicht ins Deutsche. Das mag daran liegen, dass seiner Inspirationsquelle, dem Lebensbericht von Margot Wölk (die in der Reichsversicherungsanstalt arbeitete und somit eine Kollegin von Hilde Coppi war), von hiesigen Historikern tendenziell wenig Glauben geschenkt wurde. Aber schließlich handelt es sich um einen Roman und Soldini ist mitnichten ein Regisseur der Wahrheitsbeugung. Ob es in der Wolfsschanze spezieller Vorkosterinnen bedurfte oder nicht, entscheidet nicht über die Güte des Films. Vielmehr ist es eine trügerisch großartige Prämisse. Gewiss, Hitlers Vorkosterinnen klingt nach eine Doku aus der Spätphase der Guido-Knopp-Schmiede (tatsächlich kam ihm der RBB zuvor). Dennoch eignet der Konstellation eine gewisse Originalität, nicht zuletzt dank des weiblichen Blickwinkels.

Fatal ist jedoch, dass der Roman (vermutlich) und das Drehbuch (eklatant) ihr nicht trauen. Der forschen, fahrlässig konstruierten Liebesgeschichte zwischen Rosa und dem SS-Offizier hätte es nicht bedurft, denn die Situation der Vorkosterinnen ist spannungsreich genug. Indes stellt sich nie ein wirkliches Erleben der Furcht ein, die mit jedem Bissen einhergeht. Dabei wäre genug Potenzial zur Entwicklung der Figuren und ihrer Verhältnisse untereinander gegeben, der Zwiespalt zwischen Solidarität und Spaltung blitzt jedoch nur beiläufig auf. Ein paar nachvollziehbare Prozesse schleichen sich ein, etwa die Aufmerksamkeit und Zuneigung Rosas, die von einer Schicksalsgenossin bald zu einer anderen wandert. Dass es mehreren der Frauen dann später tatsächlich einmal schlecht wird und die Möglichkeit einer Vergiftung im Raum steht, ist nur noch der Nachgedanke eines Films, der seine Fälle schwimmen sieht. Hätte es geholfen, wenn sie früher auf den Plan getreten wäre?

Eine große Geschichte, sagte die inzwischen verstorbene Produzentin Antonella Viscardi zu Soldini, die mit einem feinen Pinsel ausgeführt werden muss. Ganz dran gehalten hat der Regisseur sich nicht. Der Mikrokosmos hätte verdichtet werden können. Was sein Film hingegen gut hinbekommt, ist der Gewöhnungseffekt, der sich auch in einem entsetzlichen Alltag einstellt. Die sieben Vorkosterinnen, denen zunächst mit ausgesuchter, bald eisiger und dann drakonischer Höflichkeit ihr Martyrium aufgezwungen wird, gelangen zu einer gewissen Vertrautheit mit den Abläufen und Ritualen. Die diskreten Vertraulichkeiten des Kochs, der immer ausführlicher von Hitlers Vorlieben spricht, sind eine tendenziell gescheite Idee. Da kommen reizvolle kulinarische Erwägungen auf den Tisch. Der handwerkerstolze Koch verheißt ihnen wahre Festmahle, wenngleich in einem streng gefassten Rahmen. War der Geschmack des Führers wirklich so weltoffen, dass er Exotisches wie einen Flan zu schätzen wusste? Kichererbsen wiederum sind ja brandaktuell. Als sporadischer Vegetarier sagte ich mir allerdings: Kein Wunder, dass er einen solchen Jieper auf Süßes (mithin einfache Kohlenhydrate) hat, wenn Proteine aus seiner Diät weitgehend verbannt sind!

Nun ja, die (Film-)Geschichte muss nach »Die Vorkosterinnen« nicht umgeschrieben werden. Welch hohe Wellen die Geschichte von Margot Woelk und danach Rosella Postorinis Roman geschlagen hat, fasst ein Artikel im "Guardian" sehr bündig zusammen: https://www.theguardian.com/film/2025/may/26/no-meat-no-beer-and-hopefully-no-poison-the-curious-tale-of-hitlers-food-tasters Es lohnt sich, die verschiedenen links anzuklicken. Sie stoßen dabei unter anderem auf eine britische Theateradaption, die ziemlich schwarzhumorig zu sein scheint. Womit ich endlich beim letzten Satz von Rudolfs Kritik angelangt bin. Er meint, es sei ein schlechtes Zeichen, dass sechs Autorinnen am Drehbuch mitgewirkt haben. Das Gegenteil ist im italienischen Kino der Fall, nicht nur traditionell, sondern auch noch in jüngerer Vergangenheit (die Adaption von Savianos »Gomorrah« etwa wäre ein entwaffnendes Gegenargument). Und man stelle sich nur einmal vor, was für eine hinreißende Farce in der Hochzeit der Commedia all'italiana aus diesem Stoff hätte werden können! Der Hunger war schließlich ein Grundimpuls dieser kinematographischen Bewegung, die nie zimperlich war.. Also hätten sich Sergio Amedei, Age & Scarpelli, Scola & Maccari sowie Cesare Zavattini zusammengerauft, um sämtliche Abgründe auszuloten, die in dieser Geschichte stecken.

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