Bibliophile Filme
Wie in den meisten Berufen gibt es auch in meinem Metier durchaus Leute, die über ihren professionellen Tellerrand hinauszuschauen vermögen, Manche verfügen gar über Mehrfachbegabungen (Kochen zählt nicht). Nehmen wir nur einmal Matt Stevens, dessen Artikel im Kulturteil der „New York Times“ ich meist mit Interesse lese. Als ich erfuhr, er habe einen Bildband mit dem Titel „Good Movies as Old Books“ veröffentlicht, hielt ich das für gar nicht so weit hergeholt.
In der Tat bezeugt sein Autorenprofil auf der Website eine staunenswerte Vielseitigkeit. Er fing 2011 bei „Los Angeles Times“ an, wo er zunächst über Sport und Handel schrieb, bevor er in der Metro-Abteilung auf Themen wie Dürreperioden und die städtische Wasserversorgung im Allgemeinen angesetzt wurde. Indes, der Autor dieses formidablen Buches ist er doch nicht. Dieser Matt Stevens ist vielmehr ein Designer, der Firmenlogos, Webauftritte und Kampagnen etc. gestaltet. Auch ihn zeichnet eine beachtliche Flexibilität aus, die aber wohl schon sein Beruf mit sich bringt. (Jedoch schreibt er keck, er habe sogar einmal als Journalist gearbeitet.) „Good Movies as Old Books“ bezeichnet er als ein persönliches Projekt. (https://www.hellomattstevens.com/good-movies-as-old-books)
Tatsächlich ist es eine prächtige Liebhaberei. Der Buchtitel umreißt das Konzept hinlänglich: mehr oder weniger aktuelle Kinofilme in Gestalt alter Schutzumschläge, die verschmitzterweise schon mächtige Gebrauchsspuren aufweisen. Das ist einerseits eine originelle Idee (längst nicht so naheliegend wie das Faible mancher Designer, alternative Filmplakate zu entwerfen) und zugleich ein vertrackt nostalgisches Vergnügen. Der Retro-Stil beißt sich reizvoll mit der Modernität. Bei den Period Pictures von Paul Thomas Anderson („There will be blood“, „The Master“) oder dem Western „3:10 to Yuma“ geht das Verfahren glatt auf; bei den Arbeiten von Ari Aster („Hereditary“ und „Midsommar“) hat Stevens ihre mythischen Wurzeln im Blick, bei Science-Fiction-Filmen wie „Gattaca“ mutet das Herangehen retro-futuristisch an. Jedes Filmbuchcover hat im Prinzip seinen eigenen Stil. Stevens wiederholt sich selten, aber manche Kniffe gefallen ihm so gut, dass einmal nicht genügt. „Mad Max: Fury Road“ in der 60ies-Pop-Manier ist großartig, „Hot Rod“ von Akiva Schaffer erinnert an Superheldencomics der Zeit. Manchmal inspiriert ihn eine Bildidee aus dem Original (der erste „Mission: Impossible“ oder der erste „Knives Out“), manchmal interpretiert er frei („Inside Llewyn Davis“ und „Parasite“ gehören zu meinen großen Favoriten). Stevens kennt die Filme so genau, dass er sie klug verwandeln und verfremden kann. Nun gut, „Wolf of Wall Street“ ist ihm ein wenig zu buchstäblich geraten, aber das Motiv zeigt immerhin, dass er nach eingängigen Formen sucht. Der große Saul Bass nannte das „provozierende“ Bilder (sie „Ein Identitätsstifter“ vom 10. 5. 2020), die auf den ersten Blick einfach, auf den zweiten aber vieldeutig wirken. Stevens hat selbstredend jede Menge von ihm gelernt, auch wenn er dessen Mut zu einem radikalen Minimalismus eher selten aufbringt (namentlich in „Mission: Impossible“, wo Tom Cruise wie eine Spinne am eigenen Faden schwebt).
Eine verwandte, aber doch ganz andere Spielart von Kinonostalgie haben die Büchermacher der Produktionsfirma A24 ausgetüftelt. Obwohl mein letztjähriger Eintrag zu dem rührigen Minimajor („Wie produziert man Autoren?“ vom 26. 8.) ziemlich lang ausfiel, gelang es mir partout nicht, näher auf deren aufwändig gestalteten Drehbucheditionen einzugehen. Dergleichen ist heutzutage nurmehr brand building in der Nische, das überdies vergleichsweise teuer ist – die Bände kosten eigentlich stolze 60 US-Dollar. Jeder ist ein liebevoll gestaltetes Premium-Produkt, mit eleganten Fotostrecken, intensiven Interviews, Einführungen aus berufenem Munde (Park Chan-wook zu „Midsommar“, Bong Joon-ho zu „Hereditary“, Stephen Colbert zu „Ladybird“)) und Essays illustrer Autoren (Ottessa Moshfegh über „The Lobster“, Hilton Als über „Moonlight“, Ocean Vuong über „Minari“). Die Firma weiß, was sie von sich zu halten hat.
Vor einigen Monaten erweiterte sie ihr bibliophiles Portfolio und tauchte dafür sehr tief in die Filmgeschichte ein, was dem Gegenstand indes höchst angemessen ist: A24 hat Novelizations der Trilogie von Ti West (X, Pearl, MaXXXine) veröffentlicht. Geschrieben hat sie der Horror-Spezialist Tim Waggoner; offenbar zum Wohlgefallen des Regisseurs. Vor 50, 60 Jahren standen derlei Romanfassungen erfolgreicher Filme hoch im Kurs. Seinerzeit waren sie Wunschobjekte: die einzige Möglichkeit (abgesehen von Soundtrackalben), etwas festzuhalten vom flüchtigen Kinoerlebnis. Hohe literarische Qualität versprach man sich nicht von ihnen, man kaufte sie kurzerhand und wohlfeil in der Bahnhofsbuchhandlung (in Europa) oder auf dem Flughafen (in den USA). Die Cover der drei Bücher tragen dem Pulp-Charakter Rechnung; von Premium kann hier nicht die Rede sein, obwohl der Preis (18 Dollar, alle drei für 45, aber das Paket ist ausverkauft) dies vermuten ließe. Alles in allem ein hübscher Anachronismus in Zeiten, in denen kaum noch Zeit zu überbrücken ist zwischen Kinostart und Auswertung auf Heimmedien. Ein erster User-Kommentar klang ziemlich verärgert: Die Bücher können mir gestohlen bleiben, solange sie die Trilogie nicht auf Blu-ray herausbringen! Na, das ist inzwischen auch schon ein nostalgischer Klageruf.
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