Wider die alte Welt

Seit ich Mitte Dezember den Eintrag "Kein Monstrum ist heilig" schrieb, hat sich eine Menge getan in Frankreichs Kinobranche. Der Fall Depardieu ist längst nicht ausgestanden. Er wäre fast zu einer Staatsaffäre geworden und hat auch sonst vieles in Bewegung gebracht. Eine Neuordnung zeichnet sich ab.

Der demontierte Legende hat seither erwartete und unerwartete Fürsprecher gefunden. Zur ersten Kategorie zählen Familienmitglieder aus drei Generationen. Seine Ex-Frau, einige Kinder und Enkel behaupten, die inkriminierende Reportage des TV-Magazins "Complément d'enquête" sei manipuliert worden, Aussagen seien aus dem Kontext gerissen und mit suggestiver Musik und vom Kommentar aufgebauscht. 50 Künstler und Künstlerinnen haben eine Kolumne zu seiner Verteidigung unterzeichnet, die am 26. Dezember in »Le Figaro« erschien. Darunter sind Nathalie Baye, Carole Bouquet, der Architekt Rudy Ricciotti und Serge Toubiana, der ehemalige Präsident der Cinemathèque und UNIFRANCE. Zur zweiten Kategorie zählt Emmanuel Macron, der im Fernsehen die "Menschenjagd" beklagte, die gerade auf einen Schauspieler stattfinde, der "ganz Frankreich stolz" macht. Kein Wort darüber, dass Depardieu auf Frankreich spuckt und seinen Pass gegen einen russischen (und diverse andere) eingetauscht hat. Die Forderung seiner Kulturministerin Rima Abdul Malak, Depardieu die Ehrenlegion abzuerkennen, wies er zurück. So etwas gehöre sich nicht nur aufgrund eines Fernsehberichts. Dabei war er es, der dafür sorgte, dass dies bei Harvey Weinstein geschah. Aber der trug ja auch nicht zum Nationalstolz bei. Die Reaktionen auf seine Intervention waren für ihn verheerend. Dass der Staatspräsident auf dem Gymnasium in Amiens die Schauspielklasse besuchte, hat ihn wohl nicht ausreichend dafür sensibilisiert, dass Künstler nicht in einem rechtsfreien Raum agieren. Er zog sich auf die Unschuldsvermutung zurück. Derweil hat Macron sein Kabinett umgebildet und die inzwischen unliebsame Ministerin durch die fachferne Rachida Dati ersetzt, die mal das Justizressort unter Sarkozy leitete. Dati ist die inzwischen fünfte, die diesen Posten in den sieben Jahren seiner Amtszeit bekleidet.

Ihre Vorvorgängerin Aurelie Filipetti kritisierte Macron in „Le Monde“ scharf dafür, dass er kein Wort über die mutmaßlichen Opfer des bis vor wenigen Wochen unantastbaren Schauspielers verlor. Das gilt auch für die Unterzeichner der "Figaro"-Kolumne. Wer Depardieu angreife, attackiere die Kultur an sich. Bei ihm geht es offenbar immer um Alles oder Nichts. Die französische Kultur repräsentiert er zum Glück nicht ganz allein und diese wird auch nicht untergehen, wenn Depardieu von der Justiz zur Verantwortung gezogen wird. Ein Gutteil seiner Verteidiger ruderte inzwischen zurück, etwa die Schauspieler Yvan Attal und Charles Berling. Sie kritisieren nach wie vor eine öffentliche Lynchjustiz, haben inzwischen aber mit Schrecken entdeckt, wer der Verfasser der Kolumne ist. Es handelt sich um Yannis Ezziadi, von dem sich nicht genau sagen lässt, ob er nun ein Gelegenheitsschauspieler oder ein Gelegenheitsjournalist ist. Auf jeden Fall steht er der extremen Rechten nahe, publiziert in Medien, die dem Industriemagnaten Vincent Bolloré gehören, fremdenfeindliche Artikel und Lobgesänge auf den Stierkampf. Er ist befreundet mit der federführenden Beraterin der Wahlkampagne des üblen Eric Zemmour, dem er bei jeder Gelegenheit schmeichelt. Selbstredend distanzieren sich inzwischen zahlreiche Unterzeichner von Ezziadi, der die Causa Depardieu für seinen identitären Kulturkampf instrumentalisiert. Den Bruch mit dem Schauspieler vollziehen die meisten jedoch nicht zwangsläufig. Die Branche ist gespalten wie nie zuvor.

Nach der Veröffentlichung im "Figaro" unterschrieben mehrere Hundert Filmkünstler, die deutlich einer jüngeren Generation angehören, eine Gegenkolumne mit der Überschrift "Adresse au vieux monde". Sie richten sich gegen ein Frankreich, das in den Wertvorstellungen der 1950er Jahre verhaftet ist (bzw. der 70er, wenn man an die verächtliche Freizügigkeit von »Die Ausgebufften« denkt, mit dem Depardieu zum Star wurde) und gegen eine Filmbranche, in der sexuelle Übergriffe systematisch kaschiert werden. Auch Regieverbände und andere Vertreter anderer Berufe fordern eine Verbesserung der Sicherheitsbedingungen, unter denen Dreharbeiten stattfinden. Unter anderem dringen sie darauf, dass das Metier des intimity coach ein zertifizierter Beruf wird. Bislang gibt es gerade einmal fünf von ihnen in Frankreich, es sollen erheblich mehr werden. Seit ich im Sommer in „epd Film“ eine Skandalchronik des französischen Kinos veröffentlichte, zeichnet sich in diesem Punkt also nun ein Sinneswandel ab.

Es wird gerade viel unterzeichnet in der Filmwelt des Hexagon. Aber es werden auch Maßnahmen ergriffen. Eine wird gerade in den letzten Tagen publik. Der Regisseur und Schauspieler Samuel Theis (er spielt Sandra Hüllers Ehemann in »Anatomie eines Falls«) wird von einem Techniker beschuldigt, er habe ihn während der Dreharbeiten zu dem Justizfilm »Je le jure« (Ich schwöre) vergewaltigt. Das soll nach einer feucht-fröhlichen Party in der Nacht zum 1. Juli geschehen sein, mit der der Regisseur das Bergfest der Produktion feierte. Theis spricht von einvernehmlichem Sex. Den Teammitgliedern fiel jedoch auf, dass der Techniker nach dieser Nacht wie ausgewechselt war und seine Arbeit nicht mehr ausüben konnte. Einige weigerten sich, weiterhin mit dem Regisseur zu arbeiten. Inzwischen hat der Techniker Anzeige erstattet und die Produzenten haben ihm juristischen Beistand zugesichert. Sie entschieden, dass Theis nur unter bestimmten Bedingungen – mit Einverständnis der anwesenden Teammitglieder - an den Set zurückkehren durfte. Meist musste er also mittelbar, aus der Ferne Regie führen. Ich habe keine Ahnung, wie so etwas funktionieren kann, finde es aber bemerkenswert, dass die Produzenten sich zu diesem Schritt entschlossen haben.

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