Manchmal kommen sie wieder II (aber kein Sequel)

Eigentlich sei eine Wartezeit von sieben oder acht Jahren gar nicht so ungewohnt für einen Regisseur, meinte Michel Gondry vor enigen Tagen in einem Interview. Aber natürlich, ergänzte er, sei es schon ein wenig entmutigend, sich sein Leben auf diese Weise einzuteilen.

Als Gondrys letzter Film »Mikro und Sprit« herauskam, war der Regisseur 52 Jahre alt. Seinen neuen Streich »Le Livre des solutions« (Das Buch der Lösungen) präsentiert er mit 60 in der "Quinzaine des Cinéastes". Er soll von einem Filmemacher in der Krise handeln. Das klingt erst einmal total überflüssig, wird es aber bestimmt nicht sein, denn Gondry gebricht es an dem Talent, einen uninteressanten Film zu machen. Viele Reaktionen habe ich noch nicht gelesen, die "Quinzaine" steht nicht so sehr im Fokus der Berichterstattung, aber die Kritikerin von »Libération« scheint sich immer köstlich amüsiert zu haben.

Cannes scheint in diesem Jahr ohnehin ein Festival der Wiederkehrender zu sein. Sechs Jahre ist es her, seit Aki Kaurismäki zuletzt Nachrichten auf der großen Leinwand hinterließ. Bei Jonathan Glazer und Cathrine Breillat hat die Rückkehr dorthin sogar zehn Jahre gedauert. Victore Erice überbietet sie mit der dreißigjährigen Pause, die er zwischendrin eingelegt hat. Glazer konnte mit »The Zone of Interest«, Sie werden es gehört haben, ein furioses Comeback in der Kritikergunst feiern. Breillats »L'été dernier« (Der letzte Sommer), offenbar ein Remake von »Königin« mit Trine Dyrholm, hat heute Premiere im Wettbewerb und wird von „Le Monde“ schon mit reichlichen Vorschusslorbeeren ins Rennen geschickt..

Das schreibt sich so leicht hin: "Zehn Jahre ist es her..." Dabei bin ich überzeugt, dass die Zeit für Publikum und Kritik anders vergeht als für Künstler. Im Kern bedeutet es schließlich, den eigenen Beruf nicht auszuüben. Untätig sind sie unterdessen gewiss nicht, Pläne werden gefasst und Drehbücher geschrieben, es muss um die Finanzierung gerungen werden etc. Gondry beispielsweise hat Musikclips gedreht, als Réalisaiel teur-for-hire an einer US-Serie mitgewirkt (ein Kulturschock, wie er berichtet: da haben nicht die Regisseure, sondern die Showrunner das Sagen) und an kurzen Animationafilmen herumgebastelt. Glazer wiederum nimmt sich stets viel Zeit. Von der Idee bis zur Premiere seines vorangegangenen Films „Under the Skin“ dauerte es ebenfalls ein Jahrzehnt, wenngleich er zwischendrin »Birth« drehte. Aber eigentlich kann es sich im Filmgeschäft niemand leisten, großzügig Zeit verstreichen zu lassen. Es gilt, an das Vorangegangene anzuknüpfen und den Dialog mit der eigenen Kunst sowie dem Publikum nicht abbrechen zu lassen.

Umso faszinierender ist das Schweigen gewisser Filmemacher. Einige kehren wie Kometen wieder, Leos Carax zum Beispiel oder, ein besonders spektakulärer Fall, Todd Field. Andere scheinen beharrlich am eigenen Verschwinden zu arbeiten wie Erick Zonca, dessen »Liebe das Leben« 1998 eine Sensation war in Cannes und der danach nur noch höchst sporadische Lebenszeichen verschickte. Dieser Tage fragte ich mich, was eigentlich Xavier Legrand macht, dessen »Nach dem Urteil« nun auch schon sechs Jahre zurückliegt. Wie es scheint, bereitet er einen neuen Film vor und hat Fördermittel vom französischen CNC erhalten.

Bei Breillat, Glazer und Gondry verwundert die lange Pause auch insofern, als sie sich mit ihren letzten Filmen in Hochform zeigten. »Mikro & Sprit« ist einer der schönsten Jugendfilme schlechthin, ein agiles, munteres Plädoyer dafür, sich die Freiheit zu erstreiten, man selbst zu sein. Gondrys Roadmovie ist ein Bastlerfilm im doppelten Sinne, wenn man an das kuriose Wohnmobil der zwei pubertierenden Abenteurer denkt (»Ein Zweitakter lässt dich nie im Stich!«). Wie Gondry am Ende die Perspektive wechselt – hin zu dem Mädchen, in das Mikro verliebt ist – ist eine wunderbar einfühlsame Wendung. In »Under the Skin« zeigte sich Glazer, in dessen Kino das Leben und das Sterben einer eigenen, rätselhaften Agenda folgen, ebenfalls at the top of his game: Wundersam, wie Scarlett Johansson als Alien in Schottland augenblicklich zu begreifen scheint, wie das menschliche Dasein funktioniert und dann eine Empathie entwickelt, die ihr nicht gegeben schien.

Breillat ist hier noch einmal ein Sonderfall. In »Abus de faiblesse« (lief bei uns leider nie im Kino, war aber unter dem Titel »Missbrauch« auf arte zu sehen) erzählt sie von dem Schlaganfall, den sie 2005 erlitt. Dem Kampf mit dem eigenen Körper hat sie indes danach gleich drei Filme abgetrotzt. Mit »Die letzte Maitresse« war sie 2007 in Cannes im Wettbewerb vertreten und drehte in Folge zwei widerspenstige Märchen-Film-Variationen. Dieser bewunderswerte Schaffensrausch war indes auch ökonomisch dringend nötig, denn in »Missbrauch« erfährt man, dass sie sich offenen Auges mit einem Betrüger einließ, für den sie eine Kaskade von exorbitant hohen Schecks ausstellt. Es ist die furchloseste Autofiktion, die das französische Kino hervorgebracht hat - allerdings ohne jeden Anflug erotischer Provokation, die Breillats Markenzeichen ist (und zu der sie in ihrem neuen Film über einen halben Inzest wohl wieder zurückkehrt). Isabelle Huppert spielt ihr Alter ego, eine halbseitig gelähmte Filmemacherin, die sich aber durch nichts aus der Bahn werfen lassen will. Ihr Gegenspieler Kool Shen ist grandios als notorisch gekränkter Meister der Täter-Opfer-Umkehr. Hupperts Rolle hätte auch ein schöder César-Köder werden können, aber sie zeigt sich in ihrem schönsten Modus: schnippisch und wacker. Manche Passagen verwandelt sie in bekümmeten, erhabenen Slapstick, und legt eine flirtende Vieldeutigkeit in persönliche und berufliche Beziehungen. „Ich würde gern wieder lächeln“, sagt die Regisseurin zu Beginn ihrer Rekonvaleszenz, und nach 20 Filmminuten gelingt das ihren widerspenstigen Gesichtszügen sogar. Als ich »Missbrauch« nun wiedersah, war das noch eine Zeitreise in anderer Hinsicht Vor zehn Jahren ließ Huppert noch nicht in ihren Verträgen festschreiben, dass ihr Erscheinungsbild im Film digital nachbearbeitet werden muss.

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