Der frühe Bann

Es gibt naheliegende Fragen, die man sich dann doch nie stellt. Seit Beginn des Jahrtausends zählt beispielsweise folgende dazu: Warum schalten die Forensiker des CSI-Franchise nie das Licht ein, wenn sie einen Tatort in Augenschein nehmen? Stattdessen durchforschen sie ihn mit Taschenlampen. Wer weiß, wie viele Indizien ihnen im Laufe der Jahre auf diese Weise entgangen sind?

Die Taschenlampe hat zwar den Vorzug, den Blick zu fokussieren. Und meist bringt sie ja auch Licht ins Dunkel. Aber manchmal will man sich eben doch einen Gesamtüberblick verschaffen. Ich vermute, das Beharren auf dieser Form der Illumination hat vor allen eine gestische Legitimation. Die Ermittler haben mehr zu tun, als am Ort des Verbrechens nur Mutmaßungen anzustellen. Sie zeigen Einsatz, wenn sie so mit den Lichtquellen hantieren. Was in den Fokus des Lichts gerät, ist paradoxerweise für die Inszenierung von nachrangigem Interesse.

Bei Carl Lamac und seinem Kameramann Otto Heller ist es gebau umgekehrt. In ihren gemeinsamen Filmen gibt es bestimmt so ebenso viele Taschenlampen wie in einer beliebigen CSI-Folge. Aber bei ihnen geht es darum, wen deren Lichtkegel auf frischer Tat ertappt. Zu Beginn von »Der Zinker« erfassen gleich drei Scheinwerfer triumphierend einen Juwelendieb. Das ist nicht nur eine Strategie der Entlarvung, sondern des Aufspürens. Der Lichtkegel, der in »Der Hexer« auf einen Schurken fällt, ist wie ein Fadenkreuz strukturiert: Die Täter werden dem Dunkel entrissen und vom Lichtschein dingfest gemacht.

Heller ist selbstredend ein trefflicher Name für einen Kameramann, der eine zusätzliche Volte der Ironie schlägt, weil der gebürtige Tscheche in der Folge einige der düstersten Film des britischen Nachkriegskinos fotografierte, darunter »They made me a criminal«, »Ladykillers«, »Peeping Tom« und »Ipcress - Streng geheim.« Der arg mäandrierende Einstieg hat diesen Text immerhin endlich zu jenem internationalen Schillern geführt, von dem er handelt. Das Filmarchiv Austria, ich erwähnte es schon, zeigt zum 90. Todestag von Edgar Wallace unter dem Motto "Im Banne des Unheimlichen" eine Auswahl von Verfilmungen aus mehreren Jahrzehnten (www.filmarchiv.at). Es laufen zahlreiche Raritäten, darunter Wallace' eigene Verfilmung von »The Squeaker« (Der Zinker) sowie entlegenere Giallo-Spätlichter. Aber vornehmlich erzählt die Reihe von dem Faszinosum, das der Vielschreiber in Deutschland darstellte. Mit Lamacs Version von »Der Zinker« kam 1931 die bereits vierte deutsche Adaption eines seiner Romane heraus; »Der Hexer« folgte nur ein Jahr später. Wallace war womöglich noch nicht das Markenzeichen, zu dem er drei Jahrzehnte später wurde. Aber ein etablierter Stofflieferant allemal.

Die Vorspanne räumen bei Lamac zwar ehrfurchtsvoll eine gewisse Freiheit im Umgang mit den Vorlagen ein, aber das Erzählsystem des Schriftstellers ist fast augenblicklich erkennbar. Mehr noch, Lamac' frühe Filme fungieren beinahe schon als Blaupause für die lukrative Nachkriegsserie. Tragende Rollen sind komödiantisch besetzt, die Dialoge mancher Nebenfiguren, insbesondere der Ganoven, weisen einen gewissen satirischen Aplomb auf. Ungeniert parodistisch sind sie noch nicht. In »Der Zinker« ist eine tolle Untersicht zu bestaunen, bei der die Kamera durch einen transparenten Roulettekessel blickt und die in ihrer Verstiegenheit bereits die Bizarrerien Alfred Vohrers vorwegnimmt. (siehe "Höherer Unsinn" und "Subversive Flausen vom 9. und 10. April letzten Jahres).

Meine Behauptung eines markanten Erzählsystems muss ich leicht revidieren. In den zwei Lamac-Filmen formiert es sich erst. »Der Zinker« erscheint mir noch als eine Suchbewegung. Die Intrige ist noch nicht aus der Ermittler-Perspektive erzählt und das Personal mithin ziemlich unübersichtlich. Der kecke Außenseiter mit dubioser Agenda, den später gern Heinz Drache spielte, tritt bereits auf den Plan. Aber man weiß nicht so genau, wer eigentlich die Hauptfiguren sind. Das ist im »Hexer« schon klarer, zumal hier aus dem Blickwinkel von Scotland Yard erzählt wird. Der Vorgänger ist noch eine Spur lichter und mondäner; die Schauwerte und Dekors, zumal der prächtige Leopard-Club, werden hell herausgestellt. Die Lamac-Heller-Filme sind, in Restaurierungen des Filmarchivs, bei Koch Media auf DVD erschienen. Im britischen Exil setzte das Gespann seine Zusammenarbeit mit dem passend getitelten "They met in the dark" ("Spionagering M") fort, dessen sprunghaftes Drehbuch voller Hitchcock-Ideen steckt und in dem der unschuldig verfolgte Marineoffizier James Mason seinen absurden Vollbart zum Glück bald abrasieren lässt.

Auf Youtube fand ich zwei frühe britische Wallace-Verfilmungen, die ebenfalls in Wien laufen. Es sind weniger Geschichten aus dem Londoner Nebel, sondern vielmehr Geschichten aus dem Hafen. »The Return of the Frog« (Regie: Maurice Elvey) ist ein hübscher Fluss-Krimi. Die Themse dient als Schauplatz von Verfolgungsjagden; das Boot der Hafenpolizei muss in einer trefflichen Suspense-Sequenz eine Wasserbombe unschädlich machen. Auch in »The Dark Eyes of London« (der ebenfalls in deutscher Synchronisation unter dem Titel »Der Würger« in besserer Bildqualität abrufbar ist) dient der Fluss als erzählerische Ader des Films, dort werden zahlreiche Leichen gefunden und auf rabiate Weise entsorgt. Der amerikanische Verleihtitel »The Human Monster« verweist auf etwas prosaisch die Verknüpfung von Krimi und Horror. Bela Lugosi tritt in einer schaurig Doppelrolle auf, titelstiftend scheint mir jedoch eher das schwermütige Monstrum zu sein, das er für seine üblen Zwecke einspannt. Der blinde Jack mit dem furchterregenden Gebiss ist ein würdiger Vorfahre der Ungeheuer, die Adi Berber dann später in den Rialto-Filmen verkörpern musste. Für comic relief ist auch gesorgt.

Beide Filme machen sich die Perspektive der Ermittler zu eigen; »Die toten Augen von London« gehört zum Romanzyklus um Inspektor Elford. Sie ist ertragreich. In »Return of the Frog« spielt bereits 1938 ein früher Fernsehapparat eine wichtige Rolle, mit dessen Hilfe der Frosch seiner Bande Befehle erteilt. Dem Inspektor ist diese Telekommunikation noch fremd und exotisch, sein Assistent weiß jedoch, welche Knöpfe er drücken muss. Wallace bringt Filmemacher in den Zugzwang einer modernen, gern auch visionären Methodik. Hierbei fällt ein kurioses Element des Kulturaustauschs auf: das Auftreten von Cops aus Chicago, die nach London kommen, um die Vorgehensweise von Scotland Yard zu studieren. "Don't they ever shoot anyone in this country?" fragt einer dieser Austauschpolizisten erstaunt. Sein britischer Gegenpart bleibt unbeirrt. Seine entwaffnende Devise lautet: "We catch our crooks with kindness." Wem der Sinn nach noch mehr kriminalistischen Kulturvergleich steht, der sei auf die Reihe "Faszination Verbrechen" verwiesen, die seit drei Tagen die Wallace-Retro flankiert. Sie zeigt Kriminalfilme, die zwischen 1919 in Österreich entstanden sind, sowohl physisch im Metro-Kino wie online. Die Auswahl ist unternehmungslustig. Es laufen flotte Genrestücke von und mit Willi Forst sowie, um in der Terminologie des vorangegangenen Eintrags zu bleiben, Klassiker wie »Orlacs Hände« und einige Wiederentdeckungen.

 

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