Irgendwo auf der Welt

Als „Das Leben ist ein Chanson“, Alain Resnais' vieldeutige Hommage an die Populärmusik, 1998 auf der Berlinale gezeigt wurde, stand der scheue Regisseur für Interviews nicht zur Verfügung. Aber seine Darsteller waren ein vollgültiger Ersatz.

André Dussollier erschien zwar, wie meist, verspätet zum Termin, war aber bestens aufgelegt. Lambert Wilson hatte sich gerade intensiv mit französischen Filmchansons beschäftigt. Und der beim Gespräch gar nicht so mürrische Jean-Pierre Bacri stellte neugierige Gegenfragen. Als Co-Autor des Drehbuchs hatte einige der Lieder mit ausgewählt, die im Film die Seelenlage der Charaktere offenbaren. Er war bass erstaunt, dass „Avoir un bon copain“ ursprünglich gar kein französisch Chansons war. Er war, wie Generationen vor und nach ihm, mit dem Gassenhauer aufgewachsen. Für ihn war das Stück,das im Drehbuch eine markante Rolle spielt, ein heimisches Kulturgut, das Henri Garat in dem Film „Le chemin du paradis“ berühmt gemacht hatte. Umso mehr faszinierte es ihn, dass es zuerst „Ein Freund, ein guter Freund“ hieß und von einem Deutschen stammte: Werner Richard Heymann, der es für „Die Drei von der Tankstelle“ komponiert hatte. Anfang der 1930er Jahre wurden bei der UFA und anderswo die frühen Tonfilme parallel in Mehrsprachenversionen gedreht, mit demselben Stab (Regisseur Wilhelm Thiele drehte beide Versionen, ihm wurde ein französischer Dialogregisseur an die Seite gestellt). aber unterschiedlichen Darstellern - mit Ausnahme von Lilian Harvey, die polyglott war. Ihre Partner Heinz Rühmann und Co wurden für „Le chemin du paradis“ durch Garat und andere ersetzt.

Unsterbliche Melodien geschrieben zu haben und zugleich unbekannt zu sein, ist das Schicksal vieler Filmkomponisten. Heymann ist ein besonderer Fall. Seine große Zeit währte nur kurz. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten war sie schlagartig vorüber. Und doch hält sie bis heute an. Irgendwo auf der Welt erklingt noch immer eines seiner schmissigen Lieder, etwa „Das ist die Liebe der Matrosen“, „Liebling, mein Herz lässt dich grüßen“ oder „Das gibt’s nur einmal“. Die Filmographie des 1961 verstorbenen Komponisten reicht bis ins Jahr 2020. An diesem Montag feiert ihn die Big Band der Deutschen Oper Berlin. Ihr Programm „Das gibt’s nur einmal“ läuft im Rahmen der jüdischen Kulturtage und findet an einem Ort statt, der ebenso intim wie weitläufig ist; die Synagoge in der Rykestraße. Seine bekannten Stücke wurden für die Besetzung neu arrangiert. Die Wahl des Sängers Jeff Cascaro ist erstaunlich; er legt in seine Jazzinterpretation oft die voluminöse Gravitas des Soulsängers. Ich wäre gespannt auf diese Konjunktion, bin aber leider nicht in Berlin und hoffe, dass das Konzert in irgendeiner Form aufgezeichnet wird.

Heymanns Karriere, die nach dem Ersten Weltkrieg begann, war schillernd. Um die Kategorien E und U scherte er sich nicht. Während der Inflationszeit arbeitet er als Studiomusiker in Neubabelsberg und avancierte dann zum Assistenten des Generalmusikdirektors der UFA, Erno Rapée, dem großen Enzyklopädisten der Stummfilmmusik. Heymann komponierte Partituren für Murnaus Faustfilm und andere Prestigeprojekte. Auch beim ersten deutschen Tonfilm „Melodie des Herzens“ war er mit von der Partie. Dann wurde er zum federführenden Pionier der Tonfilmoperette. Sein Exil war auf erratische Weise transatlantisch. Erst floh er nach Paris, dann in die USA, wo er vorerst nicht Fuß fassen konnte, kehrte zurück nach Paris und London, bevor er dann doch in Hollywood Fuß fassen konnte. Er wurde mit „Blaubarts achte Frau“ zum Hauskomponisten von Ernst Lubitsch, vertonte auch einige Komödie von Preston Sturges und erhielt vier Oscar-Nominierungen. Seine Filmographie in der IMDb umfasst mehr als 100 Titel, darunter einige Dutzend, in denen von ihm komponierte Stücke als stock music verwandt wurden, als Gebrauchsmusik aus dem Archivbestand. 1951 re-emigrierte er nach Deutschland und revidierte das Motto seines berühmtesten Schlagers: Seine Lieder gab's eben doch nicht nur einmal, sie kamen wieder, nicht zuletzt in BRD-Remakes seiner großen Erfolge „Der Kongress tanzt“ und „Die Drei von der Tankstelle“.

Vor gut einem Jahrzehnt erwarb die Berliner Akademie der Künste seinen Nachlass. Zwei Jahre später widmete sie ihm eine kleine Ausstellung. Auf Premierenfotos tauchte er meist nur als der Unscheinbare an der Seite von Stars wie Harvey, Willy Fritsch, Hans Albers und den Comedian Harmonists auf. Inzwischen hat er einen Stern auf dem Boulevard der Stars am Potsdamer Platz; Helma Sanders-Brahms drehte einen bemerkenswerten Dokumentarfilm über ihn.

Die Ausstellung spiegelte ein faszinierendes kulturelles Umfeld der Begegnungen, Einflüsse, Zusammenarbeiten und Genres wider. Heymann komponierte auch fürs Theater und Couplets fürs Kabarett. Letzteres fand ich besonders bemerkenswert: Seine Musik ist behände, sie griff sozusagen kommentierend in das aktuelle Zeitgeschehen ein. Er arbeitete nicht nur mit Textdichtern wie dem raffinierten Robert Gilbert zusammen, sondern vertonte auch Autoren wie Walter Mehring und Kurt Tucholsky, die das Publikum nicht so leicht aus der Realität entfliehen lassen wollten. Heymanns Stil ist augenblicklich wieder erkennbar, selbst wenn Peter Alexander seine Stücke singt: ein heiteres, zuversichtliches Voranschreiten; manches klingt wie Marschmusik, ist es aber nicht wirklich. Die Melancholie bleibt wohldosiert. Es nimmt nicht Wunder, dass Dagmar Manzel, die ein schönes Album mit Stücken seines Freunds und Kollegen Friedrich Holländer aufgenommen hat, eine vorzügliche Heymann-Interpretin ist. Seine Musik ist entrückt, aber nicht antiquiert, von einholbarer Frische. Unser Äquivalent des Great American Song Book, das sich mit jeder guten Interpretation erneuert und verjüngt. Heymann kann wieder Zeitgenosse werden. Cascaro und die Big Band haben eine schwierige, lohnende, wunderbare Aufgabe heute Abend.

 

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt