Unwägbares Raffinement

"Du kleiner Schlingel hast dir aber Zeit gelassen!" sagte Michel Lonsdale, als er vor zehn Jahren den César für die beste männliche Nebenrolle in »Von Menschen und Göttern« entgegennahm. Diese noble Koketterie setzte der Preisverleihung ein Glanzlicht auf. Sie war mehr als nur verzeihlich. Sie sprach dem Publikum im Théatre du Chatelet aus dem Herzen: Warum nur musste es so lange dauern, bis der damals 79jährige Veteran endlich eine Auszeichnung erhielt?

Der gestern verstorbene Schauspieler gehörte zu den am Höchsten geschätzten Vertretern seines Berufsstandes, hat mehr als zweihundert Filme oder Fernsehspiele durch seine Präsenz bereichert, aber die offizielle Anerkennung der Branche war ihm bis zu diesem Abend versagt geblieben. Zweimal nur war er zuvor für einen César nominiert gewesen, erstmals 15 Jahre zuvor als rätselhafter Geschäftsfreund Michel Serraults in »Nelly und Monsieur Arnaud«, wo er nur einen Kurzauftritt absolvierte (aber was für einen!). Sein Auftritt in Xavier Beauvois' Film über das Martyrium der sieben Trappistenmönche, die 1996 im algerischen Atlasgebirge unter ungeklärten Umständen ermordet wurden, war nicht nur wegen der späten Auszeichnung eine Krönung seiner Karriere. Mit »Von Menschen und Göttern« vollendete der tief religiöse Schauspieler auch einen thematischen Zyklus. Immer wieder hat er Angehörige der Kurie dargestellt, darunter den bibliophilen Abt in »Im Namen der Rose« und den Großinquisitor in »Goyas Geister«, hat Priester, Bischöfe und einmal auch einen Papst verkörpert. Eine Rolle in Costa-Gavras' Hochhuth-Verfilmung »Amen« lehnte er ab, weil ihm der Film zu papstfeindlich erschien.

Sie kennen ihn wahrscheinlich eher unter dem Vornamen Michael. Seine im anglo-amerikanischen Kino bekanntesten Parts spielte Lonsdale in »Der Schakal« (als hartnäckiger Kommissar) und in »Moonraker« (als Hugo Drax, dem Bondschurken mit den am besten dressierten Hunden der Filmgeschichte). Er wuchs zweisprachig auf, als Sohn einer Französin und eines englischen Offiziers, verbrachte seine Kindheit in Paris, der Kanalinsel Jersey und später in Marokko. Dort entdeckte er seine Begeisterung fürs Hollywoodkino. Um sich eine Schauspielausbildung zutrauen zu können, musste der junge Michel erst seine enorme Schüchternheit überwinden. Die wurde eine schöne Grundierung für seine Kunst. Extrovertiert war er auch nie in Rollen, die dies eigentlich verlangten. Vielmehr stattete er sie mit einem Zögern aus, einem auch ironischen Abstand. Seine Bühnenkarriere war, zumal nach der Begegnung mit Peter Brook, glanzvoll. Das mehrmalige Angebot, Mitglied der Comédie francaise zu werden, lehnte er ab: Warum klassische Rollen spielen, in denen andere vor ihm brillierten? Er zog die Innovation vor, war ein begnadeter Duras-Darsteller (auch vor ihrer Kamera, namentlich als Konsul in »India Song«). Im Kino debütierte er in den späten 1950ern. Er arbeitete mit nahezu allen Größen des Autorenkinos, mit Orson Welles, Joseph Losey, Jacques Rivette, Dino Risi, Alain Resnais und später Manoel de Oliveira: ein Nebendarsteller, dessen Charisma ihn hätte Szenen stehlen lassen können, der sich aber nie in den Vordergrund spielen musste. Das ist auch in »München« von Spielberg zu spüren. Im Kern blieb er ein Charakterdarsteller, wandlungsfähig, aber unverwechselbar. Obgleich hochgewachsen, bewahrte er sich eine gewisse Fragilität, die von seiner sanften Stimme unterstrichen wurde.

Ein Hauch des Mysteriösen umgab oft seine Figuren, ein unwägbares Raffinement, eine Ahnung erlesener Perversion. Dieser Zug disponierte ihn für das Fach des Bourgeois, der gern von seiner Bürgerlichkeit erlöst worden wäre. Besonders mochte ich seinen Monsieur Tabard, den Gatten Delphine Seyrigs in »Geraubte Küsse«, der von den Angestellten seines Schuhgeschäfts insgeheim verspottet wird und der für den "kleinen Landschaftsmaler" Hitler gewisse Sympathien hegt. Ulkig fand ich ihn auch als Flagellant in Bunuels »Das Phantom der Freiheit«. Er konnte mit der Zeit gehen, bei Francois Ozon, Catherine Breillat und zuletzt bei Bouli Lanners spielen, war stets mit von der Partie, als Michel oder Michael, wenn im zeitgenössischen Kino etwas Bemerkenswertes geschah.

 

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