Nach wie vor die beste Wahl

Ich vermute, James Mason ist ein so bezwingender Schurkendarsteller, weil er von der Annahme ausgeht, die meisten Menschen seien im Einklang mit ihren Motiven. Diese Gabe zur Ambiguität erhält in Hollywood noch stärkere, auch differenziertere Konturen. In der kulturellen Deplatzierung gewinnt die Arroganz seiner Figuren an Schärfe. Er ist ein Meister der vergifteten Höflichkeit.

Wenige Gesten genügen ihm, um Überlegenheit und Herablassung zu demonstrieren. In »Der unsichtbare Dritte« lässt sein Blick unter hochgezogenen Augenbrauen keinen Zweifel, dass er nur duldsam ist. Er blickt richtig bekümmert drein angesichts der Torheit seines Gegenspielers Cary Grant. Diese Haltung formuliert Mason schon in »Der Fall Cicero« (Five Fingers) mustergültig aus (der heute und morgen im Filmpodium Zürich läuft). Da spielt er den Diener des britischen Botschafters in Ankara, der während des Weltkriegs Geheimdokumente an die Nazis verkauft. Raffinement, Professionalität und formvollendete Manieren verleihen dem Spion amoralische Autorität. Der Legende nach hängte sich der reale Cicero ein Foto seines Alter egos über den Kamin, nachdem er den Film gesehen hatte.

Die Kehrseite der Überlegenheit ist eine zuweilen köstliche Einsamkeit. Masons Charaktere sind sich selbst das Maß aller Dinge. Viele der geschliffenen, zynischen Dialoge scheint er vornehmlich an sich selbst zu richten. Er ist sicher, dass ihr Esprit und Anspielungsreichtum seinem Gegenüber entgehen muss. Das mutet beinahe wie eine filmische Entsprechung des Beiseitesprechens im Theater an, bei dem sich eine Figur kurzzeitig aus der Handlung löst. Aber Mason besitzt immer genug Verführungskraft, das Publikum auf Abwege zu führen, die es sonst nie beschreiten würde. Es ist ein beträchtliches Risiko, sechs Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs einen Nazi-Spion zum Helden eines Hollywoodfilms zu machen. (Als er ein Jahr zuvor die Titelrolle in »Rommel, der Wüstenfuchs« verkörpert, ist das weit weniger verfänglich – immerhin wurde der Feldmarschall von seinen alliierten Gegnern respektiert und lässt sich zudem als Sympathisant der Widerstandsbewegung leichter nobilitieren.) Der von mondänem Ehrgeiz verzehrte Cicero aber fasziniert die amerikanischen Kinogänger, weil er eine Eigenschaft besitzt, die alle großen Mason-Charaktere auszeichnet: bezwingende Intelligenz. So errät er beispielsweise mühelos, welche Kombination der deutsche Botschaftsattaché für seinen Safe gewählt hat - das Datum von Hitlers Machtergreifung,

Kein Star zu sein, dessen treue Fans gebieterisch auf der Erfüllung eines einzigen Rollenfachs bestehen, eröffnet ihm ungekannte Freiräume, eine stolze Autonomie. Mason erhebt die Ambivalenz zur schönen Kunst. (Ich mag ihn jedoch auch sehr in dem Sandalenfilm »Der Untergang des Römischen Reiches«, den er als gelehrter Sklave durch das heroische Vertrauen in die menschliche Vernunft adelt.) Er übernimmt die Rolle des Humbert Humbert in Kubricks Verfilmung von »Lolita«, vor der zuvor seine alten Rivalen Laurence Olivier und David Niven zurückgeschreckt sind. Bei aller Verworfenheit und Perversion entdeckt er eine melancholische, kultivierte Wärme, die wohl auch über die Vorstellungskraft seines Regisseurs hinausgeht.

Das Verhältnis seiner Charaktere zu den Frauen hat sich seit seiner Ankunft in Hollywood ohnehin gewandelt. Die Beziehung zu der von Danielle Darrieux gespielten Gräfin in »Cicero« ist ein Spiel um Dominanz, das seinen besonderen Reiz aus ihrer sozialen Differenz bezieht. Der eleganteste aller Spionagefilme ist zugleich eine Tragikomödie gesellschaftlichen Dünkels. Zwar ist Mason auch in »Der unsichtbare Dritte« - und noch zweieinhalb Jahrzehnte später in »The Verdict« (im Februar in Zürich zu sehen) - ein Manipulator, der Frauen als Köder in seinen Intrigen einsetzt. Aber ihrer Loyalität kann er sich nie gewiss sein.

Die Gewalt, die er in den britischen Melodramen gegenüber ihnen ausübte, richtet sich nun zusehends gegen ihn. Von »Cicero« an sind es die Frauen, die ihn ohrfeigen. Shelley Winters schlägt als Lolitas Mutter mit seinem Tagebuch auf ihn ein, nachdem sie lesen muss, dass er in Wahrheit ihre Tochter liebt. Auch scheint er verletzbarer geworden zu sein. In »Ein neuer Stern am Himmel« und Nicholas Rays »Bigger than life« (Eine Handvoll Hoffnung, am 29. 1. im Filmpodium) ist er so krank, dass die Ehefrauen die Verantwortung für sein Leben übernehmen müssen. Eine seiner faszinierendsten Charakterstudien gelingt ihm in Sidney Lumets Verfilmung von John Le Carrés »Anruf für einen Toten«, wo er einen Geheimdienstbeamten spielt, den die Nymphomanie seiner Frau Höllenqualen leiden lässt. Trotzdem mag er das enge Band, das zwischen ihnen besteht, nicht lösen. Es scheint, als wolle Mason in den reifen Rollen Abbitte leisten für seine früheren Leinwandvergehen.

Aus seiner Autobiographie "Before I forget" spricht große, wohl auch falsche Bescheidenheit. Mit nachgerade masochistischem Eifer zitiert er vor allem Verrisse. Dabei hat er so große Bewunderung wie kein zweiter Filmstar ausgelöst. Auf der Weltausstellung von Montreal wird er 1967 als "Filmschauspieler des Jahrhunderts" ausgezeichnet. Für Sidney Lumet ist er nach Spencer Tracy der beste Darsteller, der je vor eine Filmkamera getreten ist. Mason beherrscht die Kunst der Nuance, er stiehlt Szenen, ohne dass seine Partner es merken. Seine Darstellungen folgen einer subtilen Rhetorik. Sein Körperspiel ist agil; die Verlegenheit jedes Schauspielers, was er mit seinen Händen anstellen soll, pariert er stets phantasievoll. Masons vorzüglichstes Instrument ist freilich seine Stimme.

Guillermo Cabrera Infante schreibt in seinem Nachruf: "Mit einer Aussprache, die man so natürlich wie einen Bach über die Kiesel seiner Zähne rollen hörte, war James Mason eine der großen englischen Stimmen. Der Schurke oder Held Mason murmelte mit samtener Sanftheit, hinter der sich eine Schlange verbergen konnte. Sein Stimmton reichte nicht für das Theater, und hätte es den Tonfilm nicht gegeben, hätte er zum Radio gehen müssen." Masons Diktion ist aristokratisch, aber nicht geziert. Er moduliert seine Stimme zwischen den Registern. Sie kann rau klingen, distanziert und dann wieder zärtlich. Selbst wenn sie leise ist, besitzt sie Nachdruck.

Eine alte Hollywoodregel besagt, dass ehrliche Figuren schnell sprechen, weil sie keine Zeit zum Abwägen brauchen. Mason setzt sie außer Kraft, in dem er sich Zeit nimmt, die Wirkung seiner Worte abzuschätzen. Aber seine Stimme ist sich stets dessen sicher, was die Worte behaupten. Man möchte fast glauben, Hollywoods Drehbuchautoren hätten besondere Sorge getragen, ihnen einen eigenen Resonanzraum der Kultiviertheit, Verfeinerung zu schaffen. Mason selbst fand seine Stimme übrigens zu nasal und ihr Spektrum zu begrenzt. Aber sie nimmt jeden Dialogsatz unwiderruflich in Besitz.

 

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