Unbeugsame Romantik

Dem späteren Regisseur Jean Negulesco, der bei »A Farewell to Arms« für die Storyboards zuständig war und den zweiten Stab befehligte, verdanken wir eine der schönsten Anekdoten über Frank Borzage: Während im Hintergrund Hunderte von Statisten auf ihre Regieanweisungen warteten, interessierte der sich nur dafür, wie ein Regentropfen von einem Blatt auf Gary Cooper hinunterfiel. Dem Rückzug aus Caporetto, einer der eindrücklichsten Episoden in Ernest Hemingways Roman, verleiht Borzage in seiner Verfilmung nur sachten epischen Atem. Die Präzision, mit der Cooper in eine Regenpfütze trat, war ihm schon Drama genug.

Borzage mochte sich selbst die stürmischsten historischen Ereignisse vornehmlich als Kulisse für eine Liebesgeschichte vorstellen. Sie ist bei ihm stets eine Verschwörung gegen die Zeit, die Epoche, gegen den Rest der Welt. Die Ausschließlichkeit seines Blicks ist geradezu klaustrophob. Aber mit den Liebenden passiert wirklich etwas bei ihm, das kommt im Kino gar nicht so häufig vor, wie man meint; sie werden machtvoll ergriffen. Von seinen Darstellern verlangte er ein eindringlich zugeneigtes Körperspiel; man findet kaum ein Standbild aus seinen Filmen, auf dem die Blicke und Gesten der Liebenden nicht von tiefster Ergriffenheit zeugen. Selbst wenn raumgreifende Kamerafahrten ihnen vorauseilen, folgen sie doch entschlossen deren Gedanken, Sehnsucht und Begehren.

Das Berliner Arsenal stellt diesen Hollywoodpionier, der regelmäßig aus der Mode kommt und stets die Wiederentdeckung lohnt, ab morgen (1.September) mit einer Retrospektive vor. Der 1893 im Mormonenstaat Utah geborene Borzage musste früh die Familie mit ernähren, arbeitete mit 13 Jahren in einer Silbermine, bevor er sich einer fahrenden Schauspieltruppe anschloss. Von 1912 an spielte er erste kleine, ab 1914 auch größere Hauptrollen. Zwei Jahre später debütierte er bereits als Regisseur. Aus dieser Frühzeit ist Einiges in Berlin zu sehen. Gegen Ende der Stummfilmära, als das visuelle Erzählen sich aufs Schönste entwickelt hatte, war er - einer Umfrage unter seinen Kollegen zufolge - der am meisten geschätzte Regisseur Hollywoods; noch vor King Vidor und Ernst Lubitsch. 1927 erhielt er für »Seventh Heaven« den ersten Regie-Oscar überhaupt. Dieses Melo hat eine ungeheure internationale Ausstrahlung, in Asien, insbesondere Shanghai, entstehen zahlreiche Remakes. Henry King dreht in Hollywood zehn Jahre später eine Tonfilmversion, die auf faszinierend einnehmende Weise scheitert.

Obwohl Borzage im Verlauf seiner Karriere für diverse Studios und in unterschiedlichen Genres arbeitete, ist sein Werk von erstaunlicher Geschlossenheit. Selten schmiegt er sich einem Studiostil an, in seiner großen Zeit bei der Fox Ende der 20er prägt er ihn vielmehr mit, als zwischen Murnau, Ford, Hawks und ihm die Einflüsse hin und her gehen. In den vierziger Jahren verblasst sein Ruhm, seine Alkoholsucht trägt ihm zeitweilig das Stigma ein, ausgebrannt zu sein. Mit »Moonrise« erweist er sich 1948 noch einmal als ein Filmemacher, der künstlerisch auf der Höhe seiner Zeit steht und die Helldunkel-Dramaturgie des Film noir mühelos auf seinen Melodramenstil überträgt. Nach dem Misserfolg des Films zieht er sich für zehn Jahre aus dem Kino zurück. Kurz vor seinem Tod 1962 versucht er ein fruchtloses Comeback mit »China Doll«, einer ziemlich kuriosen Variante von »Seventh Heaven«, mit einigen erstaunlich hartgesottenen Dialogen. Einen Bibelfilm dreht er auch noch, damals das Gnadenbrot einst illustrer Pioniere.

Früh wird er von der französischen Kritik gefeiert. Die Surrealisten, der Kommunist Georges Sadoul und der Katholik Henri Agel sind einträchtig in ihrer Begeisterung für ihn. Sie entdeckten sein kühnes Unterlaufen der Konventionen in seinem unbestechlichen Romantizismus; »The River«, der in Frankreich »La femme au corbeau« heißt, genießt dort einen geradezu mythischen Ruf; möglicherweise nicht obwohl, sondern weil er nur als Fragment überliefert ist. Die amerikanische Kritik blickt nach dem Krieg nüchterner auf Borzage. »A Farewell to Arms« etwa stellt eine typische cinéphile Gewissensprüfung dar. Während der eine Hemingways unversöhnlich lakonische Prosa an filmisches Pathos und Sentimentalität verraten wähnt, entdeckt der andere eben darin Borzages Kardinaltugenden: eine intimistische Romantik in der Tradition von Griffith. In der Tat wird in seinem Werk der große Widerstreit im US-Kino, der zwischen Individuum und Gemeinschaft, reichlich exzentrisch ausgetragen. »A Farewell to Arms« ist immerhin eine Apologie der Desertion in Kriegszeiten aus Liebessehnsucht. Bei Borzage herrscht ein konservativer Argwohn gegenüber Masse und Großstadt, der freilich noch kein Beleg einer Zivilisationsfeindlichkeit ist. Seine Hauptfiguren sind instinktive Demokraten, vor der Liebe sind sie gleich. (In "Little Man, what now?" ist die Gleichheit freilich auch eine leminent politische Forderung.) Mit der Augenhöhe hapert es indes: Charles Farrell ist mehr als einen Kopf größer als Janet Gaynor (seine bevorzugten Stummfilmstars), der baumlange Cooper überragt Helen Hayes noch mehr. Das schadet nichts, denn die Liebe lässt seine Figuren über sich hinauswachsen. Der Aufstieg ist ein wiederkehrendes Motiv in seinen Filmen, von eigenwilliger Spiritualität durchdrungen und zugleich von schlichter, kluger Konkretion. Kein Szenenbild kommt ohne Treppe aus. Seine Liebenden drängt es hoch hinaus, auf Dächer oder Elektromasten, in Mansardenwohnungen und die urbanen Adlernester der Wolkenkratzer. Sie heben ab aus dieser Welt.

Trotz ihrer Tendenz zur Realitätsflucht sind Borzages Melos kostbare Zeugnisse ihrer Epoche, da sie die bedrückenden sozialen Verhältnisse mit der gleichen atmosphärischen Prägnanz schildern wie sonst eine pastoralen Liebesidylle. Seine Figuren sind körperlich und seelisch von den Weltkriegen gezeichnet, aus den Härten der Depressionszeit bietet Borzage ihnen keinen bequemen Ausweg. Ahnungsvoll entwirft er in seiner "deutschen" Trilogie eine Vision vom Aufstieg des Faschismus. Sie beginnt in den 30ern mit »Little Man, what now?« (nach Hans Fallada) und »Three Comrades« (nach Erich Maria Remarque) und findet ihren Abschluss im Krieg mit »The Mortal Storm«, dem Eröffnungsfilm der Reihe. Es ist ein sehr amerikanisch gedachtes (Zwischenkriegs-) Deutschland, die Dekors sind meist eine Spur zu luxuriös und die Leute unweigerlich ihren Sonntagsstaat gekleidet. Aber selbst wenn Borzage es wollte, kann er die politische Hellsicht seiner Romanvorlagen nicht ignorieren. Und kaum ein anderer US-Regisseur seiner Generation interessiert sich so nachdrücklich für europäische Schauplätze und Stoffe. Sein Blick auf Paris, Neapel oder Berlin ist folkloristisch; das Budapest seiner "Liliom"-Verfilmung ist ganz bühnenhafte Stilisisierung. Aber die Grissini beim neapolitanischen Festmahl von Gaynor und Farrell in »Street Angel« sind ein hübsches, lokales Detail, das Borzages kulturelle Neugier verrät. Ich bin noch nicht fertig mit ihm und komme in den nächsten Tagen wieder auf ihn zurück.

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