Andalusische Träume

In Südspanien stieß ich auf nicht einmal eine Handvoll Kinos. Obwohl ich mir die großen Städte mit redlicher touristischer Gründlichkeit erwanderte, entdeckte ich kaum eines. Sind sie dem Antlitz spanischer Innenstädte verzichtbar?

Dabei fing es in Malaga vielversprechend an. Dort lag ein Kino gleich neben den Ruinen des antiken römischen Theaters. Es liefen der neue Film von Céline Sciamma sowie, noch vor dem Frankreichstart, »Adults in the Room« von Costa-Gavras. In Sevilla findet in den nächsten Tagen ein bedeutendes Festival statt, gewiss nicht an geheimem Ort, aber im Zentrum der Provinzhauptstadt fand ich keine Spur normalen Kinobetriebs. In Cordoba stand ich vor der Tür eines Lichtspielhauses, das den schönen Namen Fuenseca trug, aber allem Anschein nach den Betrieb eingestellt hatte. In Granada hingegen lag unweit des Platzes, an dem die Bouquinisten erst spätabends ihre Stände schließen, ein Kino, in dem »Amazing Grace« lief, der Dokumentarfilm über Aretha Franklins Gospelkonzerte Anfang der 70er in Los Angeles, sowie eine heimische Produktion.

Dieser vermeintliche Mangel an Kinokultur beschäftigte mich offenbar so sehr, dass ich in meinen Träumen danach trachtete, ihn wettzumachen. Nacht für Nacht begegnete ich illustren Filmemachern. Besonders drängten sie sich auf der dritten Station der Reise, in Jerez. In meinem Traum fand ich mich in einem Familienhotel wieder, das der Regisseur Philippe de Broca in der französischen Provinz gemeinsam mit seiner Frau Michelle betrieb, die auch die Produzentin vieler seiner Filme gewesen war. Die Höflichkeit verbot es mir, beide darauf hinzuweisen, dass sie eigentlich schon tot seien. Der Beweis wäre allerdings auch schwer zu erbringen gewesen, denn wann hat man im Traum schon mal Wikipedia oder die IMDb zur Hand?

Ich denke zwar immer mal wieder an de Broca, aber dass er so in meinem Kopf herumspukte, erstaunt mich doch. Die Anwesenheit eines anderen Gastes kamm ich mir leichter erklären. Im Hotel waren auch Costa-Gavras (er hatte es rechtzeitig aus Malaga nach Frankreich geschafft) und seine Frau Michèle Ray Gavras abgestiegen, die ebenfalls Mitproduzentin der Filme ihres Gatten ist. Die Paare verstanden sich blendend. Nun führt auf den ersten Blick ein weiter Weg von dem Werk des Komödienspezialisten (»Abenteuer in Rio«, »Der Unverbesserliche« etc.) zu dem des engagierten Politfilmers (»Z«, »Missing« etc.), andererseits erinnerte ich mich daran, dass sie beide vor ihren Regiekarrieren hochgeschätzte Assistenten gewesen waren. Und im französischen Kino versteht man sich ja auch jenseits von Hierarchien und Snobismus.

Es traf sich, dass Francesco Rosi ebenfalls in dem Hotel auftauchte. Er interessierte sich indes weder für seinen Gastgeber noch für seinen Konkurrenten auf dem Terrain des europäischen Politthrillers. Vielmehr suchte er Michel Ciment, den Doyen der französischen Filmkritik, der mehrere Bücher über ihn veröffentlicht hat. Auch in diesem Regisseur gegenüber verschwieg ich aus Taktgefühl, dass er nicht mehr lebte, sondern erklärte ihm vielmehr, sein Freund sei gerade beschäftigt und führe ein Interview mit seinem US-Kollegen James Gray. Rosi war sichtlich gekränkt, was insofern überflüssig war, da ich aus einer Veranstaltung mit ihm und Michel wusste, dass Gray ein großer Bewunderer des Italieners ist. Rosi, dessen Anwesenheit in meinen andalusischen Träumen ich in bei anderer Gelegenheit erklären werde, zog missmutig von dannen. Daraufhin ging ich ins Restaurant des Hotels zurück, wo die zwei Paare derweil beim Digestif angelangt waren. Zufällig hatte ich Costa-Gavras' Memoiren in meinem Reisegepäck, war aber zu schüchtern, ihn zu bitten, sie für mich zu signieren. Dazu hätte ich eine zweite Chance in einem Fortsetzungstraum gehabt – das Hotel war hellhörig und die Aktivitäten der Zimmernachbarn rissen mich regelmäßig sanft aus dem Schlaf –, was jedoch fehlschlug, da Monsieur Costa nun plötzlich Arzt war und zu einer wichtigen Operation gerufen wurde.

Alles ziemlich verstiegen, meinen Sie? Da kann ich Ihnen nicht widersprechen. Die Traumdeutung überlasse ich ohnehin lieber Ihnen. Aber die Chronistenpflicht hält mich an, von meinen weiteren suenos zu berichten. Ich kam ganz schön 'rum in ihnen. Einmal fand ich mich in Panem wieder, von dem ich zunächst glaubte, es sei für eine Fernsehadaption aufgeboten worden. Dann jedoch musste ich feststellen, dass die Tribute zur neuen Staatsform Österreichs geworden waren und war heilfroh, dass ich so rasch wieder aufwachte. Der europäische Autorenfilm ließ mir auch in den folgenden Nächten keine Ruhe. In Cordoba träumte ich von der Begegnung mit einem fiktiven Schweizer Regisseur, der einen Dokumentarfilm über Missbrauch gedreht hatte und mir anvertraute, dass er nun bei der Montage unter massiven politischen Druck geraten sei. Mich ergriff eine heftige Journalisten-Paranoia, und ich hatte große Angst, dass mir jemand anderes diesen Scoop wegschnappen könne. Im Nachhinein erscheint mir dieser Traum als der absurdeste, denn wann wird je einem Film aus der Schweiz ein Hauch von Sensation anhaften?

Anscheinend musste ich in meinen Nächten auch einen gewissen Mangel an Informationen kompensieren, da ich das Internet ja weitgehend mied. In Granada schlug ich im Traum eine Zeitungsseite mit Meldungen aus dem Filmgeschäft auf. Eine Schlagzeile fiel mir sofort ins Auge: »Agnès Vardas Memoiren sollen postum erscheinen – Sie plante eine Verschwendungsklage gegen 'Rabbi Jacob'!« Schon träumend zweifelte ich daran, ob es ein solches Rechtsgesuchen überhaupt gibt, und warum Madame Agnès es anstrengen wollte. Viel triftiger wäre gewesen, davon zu träumen, dass die Erfinder der Abenteuer des Rabbiners eine Plagiatsklage gegen die Macher von »Monsieur Claude und seine Töchter« einreichen, denn die hätte Erfolgschancen. Da ich überdies an eine Gegnerschaft zwischen Madame Agnès und Louis de Funès nicht recht glauben wollte (vielmehr könnte man sich gut vorstellen, dass sie sich insgeheim köstlich über ihn amüsierte), blätterte ich weiter. Die weiteren Traumnachrichten waren jedoch nicht so interessant, als dass ich mich beim Aufwachen noch an sie erinnerte.

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