Ohrenschein

Ausstellungsbesucherin im Berliner Ostbahnhof. © Marcus Justus Schöler

Vermutlich ist mein Gewerbe nicht das einzige, das bisweilen Anlass zum Fremdschämen liefert. Ich nehme an, es gibt sogar eine ganze Reihe von Berufszweigen, in denen man sich in aller Öffentlichkeit oder zumindest doch vor Fachpublikum blamieren kann.

Dass sich zur Abwechslung mal ein Anderer bei einer Dummheit ertappen lässt, mag im ersten Augenblick beruhigend wirken, eine wirkliche Entlastung ist es nicht. Ich denke dabei besonders an einen Fauxpas, den ein Kollege als Moderator einer Diskussion im hiesigen Filmmuseum beging. Der Verband der Kommunalen Kinos veranstaltete ein Symposium zum Thema Synchronisation, auf dem es zu einer kapitalen Peinlichkeit kam. Auf dem Podium saßen neben besagtem Journalisten einige Sprecher, darunter die famose Katja Nottke, die ihre Stimme unter anderen Michelle Pfeiffer leiht.

Das Fremdschämen setzte gleich zum Auftakt des Gespräches ein, als sie vom Moderator darauf hingewiesen wurde, dass sie nun aber ganz und gar nicht wie Michelle Pfeiffer aussähe. Die Synchronsprecherin war für einen Moment um Worte verlegen. Meiner Erinnerung nach reagierte Frau Nottke dann jedoch unangemessen souverän. Mal ganz abgesehen von der Taktlosigkeit, die im Tonfall des Moderators anklang: Was soll man darauf erwidern? Synchronsprecher müssen nicht aussehen wie Filmstars. Andernfalls würden sie ja vielleicht selbst welche – oder, da wir in Deutschland zu einer gewissen Bescheidenheit angehalten sind, Fernsehstars. Zwar gibt es tatsächlich Karrieren, die zweigleisig vor der Kamera und dem Mikrofon glückten, man denke an Hellmuth Lange, Hansjörg Felmy oder Harald Leipnitz. Und Harry Wüstenhagen hatte ziemliche Ähnlichkeit mit Pierre Richard. (Warum beginnen all diese Vornamen nur mit H? Heinz Engelmann gehört fast auch in diese Liste.)

Aber in der Regel ist die Synchronstimme ein vom Aussehen gewissermaßen unabhängiges Instrument. Immerhin gehörte Clark Gables langjährige Feststimme Siegfried Schürenberg, der Kennern der Edgar-Wallace-Filme als vertrottelter Sir John vertraut ist. Als ich Scott Glenn bei einem Interview einmal erzählte, seine deutsche Synchronstimme in »Das Schweigen der Lämmer« habe auch Ben Kingsley in »Gandhi« gesprochen, reagierte er reichlich verstört. Diese Diskrepanz zwischen Stimmklang und Antlitz hat der Branche in Deutschland natürlich nie nachhaltig geschadet. Das wusste kaum jemand mehr zu schätzen als Bud Spencer, der unlängst auf seiner Facebook-Seite den Tod seines Sprechers Wolfgang Hess bekanntgab. So eng kann eine diese Verbundenheit sein.Natürlich führen Synchronschauspieler eine Schattenexistenz. Umso überraschender ist es für Kinogänger, sie einmal zu Gesicht zu bekommen.

Reisende, die mit der Bahn unterwegs sind, haben momentan und noch bis zum 8. August die Gelegenheit dazu. In ausgewählten Bahnhöfen ist die Ausstellung »Faces behind the Voices« des Fotografen Marco Justus Schöler zu sehen, der 30 Synchronsprecher porträtiert hat. Am morgigen Montag (23. Mai) endet sie im Berliner Ostbahnhof und wandert sodann nach Lübeck, Mannheim, Frankfurt, Kiel und Bremen. Das Konzept ist trügerisch simpel: Schöler hat ihre Gesichter vor gleichbleibend beige-grauem Hintergrund in schwarzer Kleidung aufgenommen; allesamt blicken sie offensiv in die Kamera. Manche von ihnen sehen nicht viel anders aus als die Passanten, die ihrer auf diese Weise nun inne werden. Es sind markante und auch sehr schöne Charaktere darunter. Das Licht hebt Wangen und Stirn hervor (sie wirken indes alle ziemlich braungebrannt), gibt ihnen den Hauch eines Geheimnisses und verschweigt ihr Alter nicht. Schöler verleiht ihnen eine entschiedene Sichtbarkeit; ihre Augen funkeln.

Gehetzten Reisenden mögen die Fotografien allein eine Spur zu minimalistisch erscheinen, weshalb sie in ein interaktives Spiel eingespannt werden. Unter den Fotos kann man auf einem Tablet Hörproben abrufen (klappt nicht immer) und erfahren, wem sie jeweils ihre Stimme leihen. Viele Sprecher nutzen diese Möglichkeit, um sich einerseits als Verstellungskünstler zu präsentieren oder sich selbst und ihre Arbeit genauer vorzustellen. Was hätten sie dabei zu verlieren? Es kommen unterschiedliche Selbstverständnisse und Temperamente zu Gehör. Das Spektrum reicht von vollmundiger Begeisterung über den Beruf bis zu Bekenntnissen, aus denen eine existenzielle Kränkung spricht. »Wenn ich das erwähne«, erzählt die Synchronstimme von Sarah Jessica Parker in »Sex and the City« noch einigermaßen munter, »schließen die Leute verträumt die Augen.« Er habe sich irgendwann auf die Synchronisation zurückgezogen, behauptet Joachim Tennstedt, die Feststimme von John Malkovich und anderen. »Ich kenne meine Grenzen,« sagt Claudia Urbschat-Minges, die sich des weiteren unter Wert verkauft: »Mein Potenzial ist meine kaputte Stimme.«

Kecker geben sich da schon einige blutjunge Sprecher, deren Plaudereien nahtlos in den quietschigen Tonfall einschlägiger Trickfilm-Synchronisationen hinübergleiten. Ohnehin wurde es mir mit der Zeit ein wenig zu bunt angesichts der vielen animierten Stimmen, von denen kein Synchronregisseur offenbar je verlangt hat, einen etwas weniger kindischen Tonfall anzuschlagen. Manche Sprecherinnen verfielen mir auch zu leicht ins Register der aufreizenden Verlockung.  Zahlreiche Sprecher waren mir bis dahin unbekannt. Nach der zweiten Auflage von Thomas Bräutigams unverzichtbarem Lexikon »Stars und ihre deutschen Stimmen« hat sich anscheinend eine ganz neue Generation zu Wort gemeldet. Wie stark die Dynastienbildung in diesem Gewerbe voranschreitet, wurde mir in ungekannten Dimensionen deutlich. Dascha Schmitt-Foss, die Tochter von Manfred Lehmann (Bruce Willis, Gérard Depardieu) ist mittlerweile in dessen Fußstapfen getreten. Aber welchen Schmitt-Foss hat sie denn nun geheiratet, Gerrit oder Dennis? Beide sind im gleichen Gewebe tätig.

Dem Genius des Ortes folgend, präsentiert sich die Schau als Kaufanreiz. Bei dem Wort »Einkaufsbahnhof« darf einem schon mulmig werden; gleichviel, ob man die Verwandlung von einem Transit- in einen Unort nun Hartmut Mehdorn oder den Zeitläuften anlasten will. Bevor er auch nur eine Station der Schau in Ohrenschein nehmen kann, wird der Betrachter an die Möglichkeit des Erwerbs von Drucken, Fotoalben nebst USB-Stick und anderer Merchandising-Artikel verwiesen – auf der Seite des Fotografen oder gern auch in der Buchhandlung nebenan. Reisende unter Zeitdruck mögen dafür dankbar sein. Ich sah heute Nachmittag hingegen eine ganze Menge Schaulustiger, die sich Zeit nahmen, um neugierig den Stimmen zu lauschen, die sonst ganz andere Gesichter tragen.

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