Noch nicht fertig

Üblicherweise wird diese Geschichte als Niederlage erzählt. Sie steht unter dem Vorzeichen von Abglanz und Scheitern. Ohne Enttäuschungen und Demütigungen kommt sie nicht aus; alles andere wäre eine Lüge. Selbstverständlich wird auch in Stewart O'Nans neuem Roman "West of Sunset" aus F. Scott Fitzgeralds letzten Lebensjahren keine Erfolgsgeschichte.

Aber er entdeckt etwas zutiefst Heroisches in dem zweiten (streng genommen sogar dritten) Aufenthalt des Schriftstellers in Hollywood. Beim ersten war er noch berühmt und wurde hofiert. 1937 jedoch ist er beinahe schon abgeschrieben, gehört einer bereits fernen Vergangenheit an. Joan Crawford erkennt ihn nicht wieder, als er ihr die Tür in der Kantine von MGM aufhält. Beim ersten Rendezvous mit der jungen Kolumnistin Sheilah Graham, die seine letzte große Liebe werden wird, trägt er einen Smoking, dessen Schnitt 1925 in Mode war. Das Studio hat ihn ohne hohe Erwartungen verpflichtet. Er soll die Dialoge einer College-Komödie mit Robert Taylor und Vivien Leigh aufpäppeln, ein Sujet, auf das er sich vor Jahrzehnten gut verstand. Ihm eilt der Ruf voraus, ein Wrack zu sein. Er selbst hat viel dazu beigetragen. Kein anderer Schriftsteller hat seine Leser so rückhaltlos am eigenen, wirtschaftlichen wie spirituellen Niedergang teilhaben lassen wie er. Keiner hat sich literarischer so souverän über den eigenen Bankrott Rechenschaft abgelegt. Dass Fitzgerald ein heilloser Alkoholiker ist, das wissen die Studiobosse aus langer Erfahrung, disqualifiziert ihn indes nicht für die Drehbucharbeit.

O'Nan denkt dieses Kapitel in Fitzgeralds Biographie nicht von seinem Ende her. Er schildert es als hoffnungsvollen Neubeginn (oder zumindest als Phase des Übergangs). Der Schriftsteller kommt nicht nur aus Geldnot an die Westküste. Er will frühere Fehler wiedergutmachen. Und das Kino birgt für ihn noch immer ein Versprechen der Lebendigkeit. Natürlich hat er hier keine so rauschhafte Zukunft mehr vor sich wie ein Jahrzehnt zuvor. Niemand traut ihm mehr zu, dass ihm Großes gelingen wird. Er reist mit reduzierten Erwartungen an, mit demütigem Ehrgeiz. Er ist gewillt, aus Rückschlägen zu lernen. Das Drehbuchschreiben nimmt er ganz ernst, sein Ehrgeiz zielt darauf, es als eine eigene Kunstform zu beherrschen. Er mag längst ein verschlissener Romantiker sein, aber er spürt in sich noch die Möglichkeiten.

Beim Lesen des Romans musste ich bisweilen daran denken, dass Fitzgerald aktuell zum Stichwortgeber einer hochgelobten TV-Serie geworden ist: "Show me a hero". (Bei ihm geht der Satz weiter: „...and I'll show you a tragedy.") Ohnehin macht er 75 Jahre nach seinem Tod wieder viel von sich reden. Baz Luhrmans Verfilmung seines bekanntesten Romans hat seinem Ruhm nicht nachhaltig beschädigen können. In der neuen Ausgabe von Ernest Hemingways " Paris - Ein Fest fürs Leben" wird er hinreichend rehabilitiert (die unschmeichelhafte Rolle, die ihm sein Rivale in der gekürzten Fassung zuwies, hat mich stets geniert). Im letzten Sommer wurde in den USA eine verschollene Kurzgeschichte von 1939 wiederentdeckt, die ihn als großen Humoristen zeigt; in England erschien unlängst Sarah Churchwells glänzende Monographie über die Entstehung von »Der große Gatsby«; in Deutschland wurden gerade einige seiner Erzählungen neu aufgelegt und vor einigen Wochen feierte in Dresden eine Opernadaption von »Gatsby« Premiere. Ich würde mich freuen, wenn auch »Zärtlich ist die Nacht« hier zu Lande endlich die Anerkennung zuteil würde, die ihm gebührt. Ich kenne keinen besseren Roman über Ver- und Entzauberung, über Charisma und Verlust.

Fitzgeralds letzte Jahre in Hollywood sind eigentlich ein hinreichend erschlossenes Terrain. Sie gehören zur Folklore der Filmmetropole. Sheilah Graham hat diverse Memoiren über diese Zeit verfasst, sein zeitweiliger Co-Autor Budd Schulberg einen faszinierenden Schlüsselroman ("The Disenchanted") über ihre verhängnisvolle Zusammenarbeit geschrieben. Von Aaron Latham liegt eine materialreiche Studie (»Crazy Sundays«) vor. Fitzgerald selbst legt in »Der letzte Tycoon« und den trefflichen Pat-Hobby-Stories Zeugnis ab über sie. Unlängst hat seine letzte Sekretärin ihre Erinnerungen an ihre Zusammenarbeit veröffentlicht. Stewart O'Nans Buch scheint auf den ersten Blick nicht viel Neues hinzufügen. Die auftretenden Figuren, darunter Bogart, Hemingway und Dietrich, entsprechen eine Spur zu deutlich der eigenen Legende. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Dorothy Parker ausschließlich druckreif sarkastische Bonmots von sich gab. Überdies unterlaufen ihm geflissentlich Fehler und Anachronismen: Ein paar Säulen erinnern Fitzgerald an Cecil B. De Milles Samson-Film, der etliche Jahre nach seinem Tod entstand; von "vorzeitigem Anti-Faschismus" war erst während der McCarthy-Ära die Rede. Aber das Buch entwindet sich regelmäßig der eigenen Entbehrlichkeit. Den Studiobetrieb schildert es lebhaft. Fitzgerald ist voller Verwunderung, dass es nach der Wirtschaftskrise aller Welt schlecht ging, nur MGM nicht. Die Tore der diverse Studios begreift er als deren wichtigste architektonische Struktur. Als aufmerksamem Beobachter fällt ihm auf, dass Ende der 30er das Auto die Straßen von Los Angeles beherrscht, während es bei seinem letzten Besuch noch einen einigermaßen funktionierende öffentlichen Straßenverkehr gab. Erstaunlich ist, mit welcher Zurückhaltung O'Nan sich in seinen Helden hineinversetzt: Er kennt und versteht ihn genau ("Why was he surprised when other people were desperate?"), aber er wird nie "sein“ Fitzgerald. Allerdings stattet er ihn mit beträchtlicher Gelassenheit aus.

Ende März soll bei Rowohlt die deutsche Übersetzung seines Romans erscheinen. So lange können, aber müssen sie nicht warten. Es gibt kaum geeignetere Bücher, um das nächste Jahr in Angriff zu nehmen. Denn insgeheim handelt es davon, wie man kontinuierlich Krisen bewältigt. Der Fitzgerald der landläufigen Überlieferung (da trägt Hemingway eine erkleckliche Mitschuld) wird als lebensuntüchtig beschrieben. Tatsächlich bäumt er sich in den letzten Jahren noch einmal auf. Trotz konstanter Schuldgefühle, wahlweise gegenüber seiner Frau Zelda oder seiner Geliebten, gelingen ihm erstaunliche Leistungen. Er tilgt seinen enormen Schuldenberg, kann die hohen Studiengebühren seiner Tochter und den teuren Aufenthalt seiner schizophrenen Frau in einem Sanatorium bezahlen. Er legt nicht nur einen bewundernswerten Fleiß an den Tag, sondern entwickelt eine stupende Kreativität. Er steht jeden Tag zu nachtschlafender Zeit auf, um Kurzgeschichten für Magazine zu schreiben und sich dann in die Tretmühle der Studios zu begeben. Später sind das meist nur noch Zuliefertätigkeiten ("It was like cooking eggs to order"), aber trotz aller Entmutigungen darf er die Bilanz ziehen, dass seine Dialoge zwei Darstellerinnen zu Oscarnominierungen verhalfen (Vivien Leigh gewann ihn sogar für »Vom Winde verweht«). Am Schluss verfasst er ein ziemlich bestrickendes Drehbuch nach einer eigenen Vorlage (der Kurzgeschichte "Wiedersehen mit Babylon"), das allerdings so nie verfilmt wurde. Und er arbeitet kontinuierlich an »Der letzte Tycoon«, der womöglich noch besser geworden wäre als »Zärtlich ist die Nacht«, wenn er ihn denn hätte beenden können. Als Fitzgerald im Dezember 1940 seinen letzten Herzinfarkt erleidet, geht ihm bei Stewart O'Nan ein erschütternder, empörter Gedanke durch den Kopf: "But I'm not done."

 

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