Stimmen im Ausstand

Anderswo mag diese Nachricht keine hohen Wellen schlagen, aber für die Italiener ist sie weltbewegend: Zwei Wochen lang sind sie gezwungen, neue Kinofilme und TV-Serien im Original mit Untertiteln zu sehen. Die Auswirkungen des Streiks, im dem sich die dortigen Synchronautoren und -sprecher momentan befinden, werden vielen Zuschauern als ein schweres Schicksal empfinden. Untertitelung ist dort praktisch unbekannt und etliche Starttermine mussten verschoben werden.

Die Synchronindustrie ist ein immens wichtiger Faktor im italienischen Filmgeschäft. Im Jahr 1992 beispielsweise waren rund 1200 Leute in dieser Sparte tätig, heute dürften es kaum weniger sein. Berühmte Schauspieler wie Alberto Sordi (er war die Stimme von Oliver Hardy) und Nino Manfredi fingen als doppiatori an, Gian Carlo Giannini lieh zehn Jahre lang Al Pacino seine Stimme. Einige Synchronsprecher sind selbst zu Stars geworden, etwa Oreste Lionello, das Alter ego von Woody Allen. Ein gut beschäftigter Sprecher verdient rund 200000 € im Jahr; Ferrucio Amendola, der Robert De Niro, Sylvester Stallone, Dustin Hoffman und Pacino spricht (mithin das alpine Gegenstück zu Christian Brückner), soll es in Spitzenjahren auf bis zu 4 Millionen bringen. Weshalb sie streiken, habe ich bislang nicht in Erfahrung bringen können.

Das bringt mich auf eine meiner liebsten Theorien. Die drei Länder Europas, in denen die Synchronisation nach wie vor die dominierende Rolle spielt, sind Deutschland, Italien und Spanien. Was sie verbindet, ist der Umstand, dass sie nach dem Aufkommen des Tonfilms von faschistischen Regimes regiert wurden. Dort wurden die Möglichkeiten der Sinnverfälschung, welche die Synchronisation bietet, häufig in den Dienst der Ideologie und nicht zuletzt der Xenophobie gestellt. Auch nach dem Krieg übrigens: Man erinnere sich nur an „Notorious“ von Hitchcock, in dessen erster deutscher Verleihfassung „Weißes Gift“ das Uran durch Drogen ersetzt wurde oder an die berüchtigte Schnittfassung von „Casablanca“, in der keine Nazis vorkommen. In Franco-Spanien spielte die Synchronisation drei Formen der Zensur zu, der politischen, militärischen und katholischen. „Mogambo“ von John Ford ist ein legendäres Beispiel für die haarsträubenden Blüten, die das treiben kann: Aus den Eheleuten Grace Kelly und Donald Sinden wurden plötzlich Geschwister - was das Publikum in heftige sittlicher Verwirrung stürzte, da sie nicht nur fremdgehen, sondern auch miteinander das Bett teilen.

Da erscheinen Länder wie Belgien, Frankreich oder die Niederlande als strahlende Gegenbilder der Aufklärung. Zumindest in den großen Städten kommen dort alle neuen Filme auch in untertitelten Fassungen heraus; bei wiederaufgeführten Klassikern ist das in Frankreich ohnehin die Regel. Aber auch dort ist diese Kultur seit einiger Zeit bedroht. Die gewerkschaftlich organisierten Verfasser von sous-titres erhielten bislang ein Minimum von 4,10 Euro pro Zeile, das nun immer häufiger auf 1,10 Euro, schlimmstenfalls sogar nur 70 Cent gedrückt wird. Eine unrühmliche Rolle spielen dabei die Kopierwerke, die in Folge der Digitalisierung rote Zahlen schreiben und mittlerweile die sous-titrage in All-Inclusive-Paketen zum Spottpreis anbieten. Bei einigen TV-Serien soll es schon vorgekommen sein, dass treue Zuschauer diese Arbeit umsonst anbieten. Dafür gibt es sogar schon einen Fachbegriff: fansubbing. Derlei Sparwut ist absurd: Die Untertitelung kostet nur einen Bruchteil einer Synchronisation, die Kosten liegen für gewöhnlich zwischen 5000 und 6000 Euro.

Für den französischen Autorenfilm ist der Export naturgemäß ein entscheidender Faktor. Wie wichtig den Regisseuren dabei die Untertitelung ist, zeigt das Beispiel Jean-Pierre Jeunets, der mir unlängst bei einem Interviews erzählte, er habe die 3-D-Effekte bei „Die Karte meiner Träume“ präzis auf die spätere Platzierung der Titel abgestimmt. Der Berufsverband der Titel-Verfasser hat im Vorfeld von Cannes eine Petition lanciert (auf die bereits im Frühjahr der britische „Guardian“ hinwies, die während des Festivals aber anscheinend wenig Aufsehen erregte), die bisher von rund 180 Filmemachern unterzeichnet wurde. Unter ihnen befindet sich Roman Polanski, der darauf bestand, David Ives, den Autor der Bühnenvorlage von „Venus im Pelz“, aus den USA einfliegen zu lassen, damit er die Arbeit an den subtitles überwachte.

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