Prominenz

Ein Vorzug des öffentlichen Nahverkehrs, der gemeinhin viel zu gering geschätzt wird, sind die Wartezeiten. Bei gewissen Berliner Buslinien (ich denke da besonders an die M46) muss man sich auf auf gehörige einstellen, da ihre Verspätung zwar chronisch, aber nicht berechenbar ist. Diese Zeit will nicht vergeudet sein. So wird man, sofern keine Lektüre zur Hand ist, im Stehen zum Flaneur.

In dieser Woche erregten insbesondere drei Plakate meine Aufmerksamkeit. Wie schon im letzten Jahr fiel mir auf, dass auch hier zu Lande für das „Zurich Film Festival“ geworben wird. Von diesem Ereignis nahmen ausländische Medien bisher ja nur Kenntnis, wenn dort mal ein Roman Polanski ausgezeichnet werden soll, statt dessen aber von der eidgenössischen Polizei in Gewahrsam genommen wird. Hofft man in Zürich nun auf einen Festivaltourismus, gewissermaßen als Ausgleich für das angeblich rückläufige Aufkommen an Steuerflüchtlingen?

Wie dem auch sei: Irgendjemand hat in Zürich wohl viel Geld übrig. Auch der deutsche Verleih Constantin ist nicht knausrig, was die Plakatierung zum Start von „Schossgebete“ angeht. Vor ihr gibt es kein Entkommen. Dabei erfährt man auf dem Poster bemerkenswert wenig über den Film. Ist vielleicht auch nicht nötig. Der Roman von Charlotte Roche war ein Bestseller und damit eilt dem Filmstart wohl schon Fama genug voraus. Allerdings gibt es einen großen Unsichtbaren auf dem Poster: Sönke Wortmann. Gewiss, der ist nur Regisseur. Aber bislang stand ich in dem Glauben, mit seinem Namen ließe sich eine erkleckliche Menge Kinokarten verkaufen. Haben Roche, Lavinia Wilson und Jürgen Vogel etwa heimtückischerweise in ihren Verträgen festgelegt, dass nur mit ihren Namen geworben werden darf? Oder lief es nicht rund zwischen ihm, der Produktion oder dem Verleih? Will der Regisseur sich nachträglich vom Film distanzieren? Geheimhalten lässt sich seine Mitwirkung allerdings nicht, wie Wortmann beim Lesen der Kritiken mit Schrecken feststellen wird. In seiner Einsilbigkeit erinnert das Plakat an jenes zu „Herr Lehmann“, auf dem vor einigen Jahren in feister Genügsamkeit nur die Namen Buck, Ulmen und Regener standen. Offenbar hatte sich jemand beim Verleih an das schöne Diktum von Albert Camus erinnert, berühmt sei, wer keinen Vornamen braucht.

Ob es sich bei Daarum um einen Vor- oder Nachnamen handelt, konnte ich während meines stationären Flanierens nicht ermitteln. Diese junge Dame ziert in Berlin ebenfalls eine Menge Litfaßsäulen und Bushaltestellen. „Du zeigst mir die großen Momente und das kleine Schwarze“ ist über ihrem hübschen Konterfei zu lesen. Daarum ist dabei, eine ganz neue Art von Prominenz zu erringen: Sie hat einen eigenen Kanal auf Youtube, auf dem sie Modetipps gibt. Aus einer Reportage erfuhr ich unlängst, dass sie neben diversen anderen Phänomenen dort eine große Anhängerschaft ansammeln und diese Spielart des Ruhms weitgehend auf der Nahbarkeit der Idole beruht. So darf man zweifellos auch das „Du“ des Slogans verstehen. Offenbar lässt sich damit gutes Geld verdienen. Youtube ist es jedenfalls eine Werbekampagne wert. 813417 Fans kann Daarum bereits zählen. Während ich auf meinen Bus wartete, kamen bestimmt noch ein oder zwei hinzu.

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