Inselblick

Ist es unfair, dass wir Amokläufe nach ihren Schauplätzen benennen? Das Gedächtnis der Öffentlichkeit assoziiert sie fortan unweigerlich; die Bluttat bleibt ein nicht zu tilgender Schandfleck in der Stadtgeschichte. Allerdings haben auch die Alternativen beträchtliche Nachteile. Amokläufe nach den Tätern zu nennen, würde nur nachträglich deren Geltungssucht schmeicheln. Und die zu beklagenden Opfer sind meist zu zahlreich.

Isla Vista liegt an einem malerischen Küstenstreifen und strahlt ansonsten jene synthetische Beschaulichkeit aus, die vielen Orten in Südkalifornien gemeinsam ist. Mit knapp 20000 Einwohnern auf 5,7 Quadratmetern gehört sie zu den am dichtesten besiedelten Gemeinden des Bundesstaates. Niemand Berühmtes stammt von hier; für eine kurze Zeit lebte Ende der 60er Jahre der Warhol-Star Edie Sedgwick in Isla Vista. Ein Gutteil der Einwohner studiert an der hiesigen Universität. Das alljährliche studentische Enthemmungsritual des Spring Break lief vor einigen Wochen so sehr aus dem Ruder, dass die Polizei einschreiten und über 100 Teilnehmer verhafteten musste.

Isla Vista hat eine history of violence: Bereits im Februar 2001 lief dort der Sohn eines TV-Regisseurs Amok. Seit dem 23. Mai ist die Stadt erneut in den Schlagzeilen, weil der 22jährige Elliot Rodger an diesem Tag sieben Menschen tötete und 13 weitere verletzte. Dazu hatte er sich mit einem Messer und zwei Handfeuerwaffen gerüstet. Der junge Mann, dessen Vater ein britischer Dokumentarfilmer ist und an „Die Tribute von Panem“ als Regieassistent mitwirkte (auch seine aus Malaysia stammende Mutter ist im Filmgeschäft), wollte ein Zeichen setzen. Den Blutrausch hatte er in einem rund 140seitigen Manifest sowie einem letzten Video angekündigt, mit denen er die Öffentlichkeit nötigt, sich wieder vorrangig mit dem Täter und nicht mit dem Opfern zu beschäftigen. Der ehemalige Student beansprucht in diesen zwei Vermächtnissen die Deutungshoheit über seine Taten und geriert sich als souveräner Interpret der Kränkungen, die ihm widerfahren sind. Sein Leben begreift er als die Chronik einer existenziellen Zurückweisung. Kein Mädchen habe sich jemals für ihn interessiert, mit seinen 22 Jahren sei er noch immer Jungfrau, nicht einmal ein Kuss sei ihm je geschenkt worden. Für diese Ungerechtigkeit werde er sich am weiblichen Geschlecht rächen. Es wird deutlich, dass er Frauen nur als Objekte betrachten kann, die sich ihm verweigern. Seine Selbstwahrnehmung ist bizarr: Er rühmt sich, ein perfekter Gentleman zu sein, ein alpha male, dem die Mädchen eigentlich nachrennen müssten. Die Worte, mit denen er seinem Hass Ausdruck verleiht, sind abscheulich, aus seinen Gewaltphantasien spricht ein beklemmender Nihilismus. Seit seinem neunten Lebensjahr war Elliott in Therapie, nachdem bei ihm das Asperger-Syndron diagnostiziert wurde. Er fiel schon vor seinem Amoklauf durch gewalttätige Übergriffe auf. Sein Elternhaus wird als liebevoll geschildert.

Es gab in den USA die üblichen, reflexhaften Reaktionen. Der bigotte Radiomoderator Rush Limbaugh beispielsweise würde gern das liberal-sittenlose Hollywood als Anstifter des Blutbades zur Rechenschaft ziehen – nicht von ungefähr habe Rodgers Vater ja an Filmen mitgewirkt, die Gewalt unter Jugendlichen verherrlichten. Auch die Journalistin Ann Hornaday will in der „Washington Post“ Hollywood eine Mitschuld anlasten, demonstriert dabei aber weit mehr Sachverstand und Augenmaß: Sie beklagt eine sexistische Monokultur, die sich beispielhaft in Filmen wie „Neighors“ von Judd Apatow zeige. Auch wenn man ihr darin nicht unbedingt folgen will - immerhin fand dessen 40-vear-old virgin Steve Carell eine friedlichere Lösung für sein Problem; aber US-Kritiker dürfen wohl nicht mehr darauf vertrauen, dass der Assoziationsradius ihrer Leser über aktuelle angelaufene Filme hinausreicht -, lässt sich ihr Befund nicht ganz von der Hand weisen. Die Bilder, die amerikanische Medien von Sexualität zeichnen, senden widersprüchliche Botschaften aus. Einerseits sind sie noch im einschnürenden Puritanismus verwurzelt (wollen etwa dem Fernsehzuschauer weismachen, dass Charlie Harpers Gespielinnen im Bett grundsätzlich den BH anbehalten), während gleichzeitig die Pornoindustrie größere Umsätze als die Filmproduktion verbucht, in dem sie das Schaufenster zu einer Welt silikonstrotzender Willigkeit öffnet..

Auch bei mir mobilisiert die Nachricht über Tragödien wie die von Isla Vista tiefsitzende Vorurteile: gegenüber leichtfertigen Waffengesetzen, gegenüber einer denkfaulen Erzählkultur, die Gewalt als unumgängliches Mittel zur Lösung von Konflikten darstellt und De-Eskalation als dramaturgisch untaugliche Option ausmustert. Ich will nicht soweit gehen zu postulieren, dass Amerika die Verbrecher hervorbringt die es verdient – das verbietet der Respekt vor den Opfern und ihren Angehörigen -, dennoch scheint mir der sehr eigentümliche Fall Elliott Rodgers an ideologische Grundfesten zu rühren: an den Mythos der Verfügbarkeit, durch den sich das land of plenty legitimiert. Alles muss zugänglich sein und darf in Besitz genommen werden - gleichviel, ob Konsumgüter, sexuelle Erfüllung oder halbautomatische Schusswaffen. Mir bereitet schon der imperiale Duktus vieler Blockbuster Unbehagen, angefangen mit den obligatorischen Helikopterflügen über ausländische Städte, die Schauplätze eigentlich nur etablieren sollen, sie tatsächlich aber vereinnahmen. Bevor ich Sie mit derlei unausgegorenem Anti-Amerikanismus' endgültig abschrecke, kehre ich besser nach Isla Vista zurück.

Rodger muss sein Rachefeldzug als eine Erlösung erschienen sein. Es war ihm offenbar unerträglich, dass ihm das Anrecht verwehrt wurde, an etwas teilzuhaben, was all seinen Altersgenossen genießen dürfen. Beim Lesen des Artikels von Ann Hornaday klickte ich sein „Vergeltungsvideo“ an (das seither angeblich von Youtube gelöscht wurde, der link von der Seite der „Washington Post“ führte mich heute morgen aber problemlos noch einmal zu ihm). Bis dahin hatte ich mich nie für solch bizarre Vermächtnisse interessiert, aber die Beschreibungen der Journalistin weckten meine Neugierde und Schaulust. Vielleicht ist es meiner Unkenntnis geschuldet, aber ich hielt das Video für eine Fälschung: für den überlangen Teaser zu einem Psychothriller. Der junge Mann, der da im Volant seines Wagens saß, musste ein Schauspieler sein.

Das Bild ist sorgfältig komponiert, um eine trügerische Idylle zu evozieren. Das warme Licht der Spätnachmittagssonne fällt auf sein Gesicht, im Hintergrund sind Palmen zu sehen, nur das Lenkrad wirkt etwas zu mächtig. Elliott war ein ausnehmend gutaussehender, junger Mann – sein vergebliches Fotogenie erinnert mich ein wenig an ein anderes verlorenes Kind Hollywoods, Sal Mineo. Er muss diese Szene ausführlich geprobt haben, spielt seine eigene Rolle selbstbewusst. Er hat sich gesammelt, seine Tirade kostet ihn keine sichtbare Anstrengung. Eine fast jenseitige Gelassenheit strahlt er aus. Seine Züge wirken erloschen. Seine Stimme erstirbt nicht vor Rührung, dazu ist sein Selbstmitleid zu aggressiv. Er beherrscht auch die falschen Töne, durch die sich ein Leinwandpsychopath zu erkennen gibt, strukturiert die Szene durch Ausbrüche in ein trockenes, freudloses Lachen. Die zweite Hälfte wirkt redundant, er wiederholt sich. Ein Narziss ist dazu verdammt, sich im Kreis zu drehen.

Elliott Rodger war ein schrecklicher, tragischer und gefährlicher Irrläufer. Aber so wenig er sich auch in der Gesellschaft zurechtfand, so sehr war er doch ein Kind seiner Zeit. Er spürte in sich ein Gefühl der Ermächtigung, das er mit unzähligen Menschen teilt: mit all jenen Laien, die dank ihrer im Netz veröffentlichten Clips zu actor-directors ihres Lebens werden. Seinen Abschied aus der Menschheit hat Rodger mit scharfem Blick auf die Reaktion der Medienwelt inszeniert. Das Video sollte in der Konkurrenz um die Aufmerksamkeit bestehen können. Ob er es danach noch einmal begutachtet hat? Daran habe ich keine Zweifel.

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