Ausgelagerter Glanz

Manche Filmnationen haben Sorgen, die ihren Nachbarn wie pure Luxusprobleme erscheinen müssen. Unlängst klagte der britische Regisseur Edgar Wright (Shaun of the Dead), dass dank prächtiger Steuergeschenke die Studios im Großraum London vollends von großen Hollywoodproduktionen in Beschlag genommen würden. Längst reichten die Kapazitäten von Pinewood, Ealing und anderen Filmateliers nicht mehr aus, um auch heimischen Produktionen die nötige Infrastruktur bieten zu können. Von solchen Engpässen wagt die Geschäftsleitung der Babelsberger Studios wohl nicht mal zu träumen.

Auch der italienischen Filmindustrie geht es angeblich gut. Obwohl das Land die schlimmste Rezession seiner Geschichte durchleidet und die staatlichen Fördermittel um ein Viertel gekürzt wurden, verzeichnet die Branche einen Profitzuwachs von erfreulichen 5,6 Prozent (der sich offenbar vornehmlich schwer exportierbaren Komödien verdankt) und erreicht das italienische Kino einen Marktanteil von 31 Prozent. Für Venedig hat Festivalleiter Alberto Barbera in diesem Jahr sage und schreibe 177 heimische Filme gesichtet. Niemand kann voraussagen, wie lange diese Konjunktur anhält. Auf keinen Fall jedoch lässt sie sich vergleichen mit dem heroischen Aufschwung, den das italienische Kino zwischen Mitte der 50er und Mitte der 70er Jahre erlebte. Die Anzahl der Produktionen verdoppelte sich in dieser Zeit ebenso wie der eigene Marktanteil (mit 62 Prozent überragte er weit die Konkurrenz aus den USA); 1969 wurden in Italien so viele Kinokarten verkauft wie in Deutschland, England und Frankreich zusammen. Kaum zu glauben.

Rom erhielt damals den Kosenamen Hollywood am Tiber. Dieses Goldene Zeitalter ist eng mit den legendären Studios von Cinecittà verknüpft. Die Filmstadt an der Via Tuscolana war nicht nur eine Goldschmiede in eigener Sache, sondern auch der bevorzugte Außenposten Hollywoods in Europa. Die großzügigen Ateliers und weiträumigen Außengelände eigneten sich prächtig für Monumentalfilme wie Ben-Hur oder Cleopatra. Diese Strahlkraft hat Cinecittà längst verloren. Vor zwei Jahren wurden Gerüchte laut, das Studio stünde vor dem Aus und die Leitung wolle die Liegenschaften versilbern (siehe Artikel in der »Welt«). Das ansonsten visionsarme Management kündigte die Eröffnung eines Vergnügungsparks an. Gewerkschaften und Filmemacher protestierten gegen den Plan, der ihnen wie der Diebstahl des berühmten Markenzeichens erschien. Mit 250 Millionen Euro sollte es dreieinhalb mal mehr Geld verschlingen, als die Eigentümer bislang investiert haben, um die Infrastruktur des Studios wieder konkurrenzfähig zu machen.

Nachdem der Termin mehrmals verschoben werden musste, öffnete "Cinecittà World" nun Ende Juli die Tore. Es liegt 25 Kilometer südwestlich vom eigentlichen Studio, auf dem Gelände der Studios, die einst dem Produzenten Dino de Laurentiis gehörten, bevor der sich zur Steuerflucht genötigt sah. Im Vorfeld war zu erfahren, dass der berühmte Szenenbildner Dante Ferretti federführend die Dekors entworfen und Ennio Morricone die Hintergrundmusik komponiert hat. Das ließ erst mal vermuten, das Vorhaben sei einem gewissen Traditionsbewusstsein verpflichtet. Also doch kein Ausverkauf des Mythos? Auf der Website und auf eigenen YouTube-Kanal lässt sich ein Eindruck gewinnen, was die Besucher erwartet.

Der Themenpark trägt Cinecittà zwar im Namen, sein Thema ist es nicht. Die Verbindungen zur Studiogeschichte ist betont vage. Man betritt den Park durch ein Tor, das an "Cabiria" gemahnt, den ersten Welterfolg des italienischen Kinos (der allerdings in Turin gedreht wurde). Ferretti hat eine "typisch" New Yorker Straße entworfen (die jedoch nichts mit seinen Bauten für Gangs of New York zu tun hat). Unter den acht Filmsets gibt es eine Westernstadt (obwohl die Italowestern hauptsächlich in Andalusien entstanden) und ein U-Boot (nicht auszuschließen, dass unter den über 3000 in Cinecittà gedreht Filmen auch solche über den U-Boot-Krieg sind). Auf die naheliegende Idee hingegen, das Wagenrennen aus Ben-Hur als Vorlage einer Show zu nehmen, ist anscheinend niemand gekommen. Auch eine Hommage an Fellinis Lieblingsatelier, das "Teatro 5" wird man vergeblich suchen. Erstaunlich, wie konsequent der Park es vermeidet, den Genius des Ortes zu beschwören. Aber vielleicht wird in einem der vier Restaurants ja Pasta serviert, die nach Sophia Loren oder Ugo Tognazzi benannt ist.

Das Konzept spiegelt womöglich triftig das Desinteresse der Studioleitung am Kerngeschäft. Aber vielleicht hat es sich daran erinnert, dass der Siegeszug des frühen Kinos über Jahrmärkte und Rummelplätze führte. Zu den Hauptattraktionen gehört eine Achterbahn. Sie wirkt imposant, konkurrenzfähig. Wer sich trotz all dieser Sensationen langweilten sollte, wird sich gewiss davon trösten lassen, dass es überall kostenlosen WLAN-Empfang gibt. Und in der Nachbarschaft befindet sich für alle Fälle auch noch ein Designer-Outlet.

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