Netflix: »Rustin«

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Flamboyanz war wichtig

Martin Luther King ist die Galionsfigur der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Seine Mitstreiter aber sind oft wenig bekannt. In »Rustin« wird nun ein Aktivist gewürdigt, der lange übersehen wurde: Bayard Rustin (1912 – 1987). Er gehörte zu Kings Beratern und war als Pazifist und Gandhi-Anhänger einer der intellektuellen Architekten der gewaltfreien Bewegung. Und er war ehemaliger Kommunist und offen schwul. Besonders letzteres führte dazu, dass er dem Rampenlicht ferngehalten wurde. Als Hauptorganisator des »Marsches auf Washington« 1963, einer riesigen Demonstration vor dem Lincoln Memorial in Washington, verschaffte er der Bürgerrechtsbewegung jenen entscheidenden Schub, der schließlich zur Verabschiedung des Civil Rights Act 1964 führte.

Die Handlung ist, abgesehen von einigen Rückblenden, auf die Monate vor diesem Großereignis am 28. August, bei dem 250 000 Menschen friedlich für ein Ende der Rassendiskriminierung demonstrierten, beschränkt. Da war Rustin, ein seit Jahrzehnten international umtriebiger Aktivist, bereits seit einiger Zeit kaltgestellt, auf Betreiben des Abgeordneten Adam Clayton Powell, der Rustins Homosexualität und politische Vergangenheit als nachteilig für die Bewegung betrachtete. Doch Rustin lässt nicht locker, greift seinen bereits 1941 entwickelten Plan eines Marsches auf Washington auf und findet neue, junge Verbündete. Er versöhnt sich mit MLK, der ihn hatte fallen lassen, und setzt seine ganze Kraft für die Organisation des Marsches ein. Und natürlich hält er sich nicht an die Absprache, keine »kompromittierenden« Dinge zu tun.

Der Film, produziert von Barack und Michelle Obama, will auch ein Who's Who der Bürgerrechtsbewegung sein, deren Prominente unter anderem von Jeffrey Wright und Chris Rock verkörpert werden. Gewürdigt werden, leider flüchtig, auch die Aktivistinnen Ella Baker und Anna Hedgeman. Der Fokus liegt auf Rustin, der als Macher und Strippenzieher ganz in seinem Element ist, durch die Büros wirbelt und seine Mitarbeiter motiviert.

Seine Homosexualität ist dort kein Thema – und dennoch als möglicher Skandal in den Hinterköpfen präsent. Deshalb ist für ihn die Demonstration auch ein großer privater Sieg. Denn in der Dynamik der Ereignisse und in der Konzentration auf das Ziel wird sein Schwulsein am Ende an Bedeutung verloren haben.

In dieser Insiderperspektive auf den Machtpoker hinter den Kulissen kommt zwar gelegentlich die Bigotterie anderer Bürgerrechtler zum Vorschein. MLK selbst aber wird gänzlich aus der Schusslinie gehalten. Dabei waren die vielen Affären des Pastors ein ebenso offenes Geheimnis wie Rustins Männergeschichten.

Colman Domingo in der Hauptrolle ist hervorragend. Als Schauspieler, Tänzer, Sänger und Autor ein Multitalent, gelingt es ihm als Rustin geradezu spielerisch, die Menschen für sich einzunehmen. Wenn im Film wie im Lehrbuch die Strategie von Aktivisten vorgeführt werden, macht George C. Wolfe, von Haus aus Theaterregisseur, klar, dass es einen flamboyanten Außenseiter wie Rustin brauchte, um die Sache voranzutreiben.

Seine Gegner trickst er gerne mittels K. o.- Labern aus, und mit seiner Bravade zieht er viele Freiwillige in seinen Bann. Er genießt eine gewisse Narrenfreiheit, und wenn er nebenbei Sätze fallen lässt wie »On the day that I was born black, I was also born a homosexual. They either have to believe in freedom and justice for all or they don't«, wirkt das nicht pathetisch, sondern schlicht einleuchtend.

Überhaupt ist es erfrischend, wie unprätentiös Rustins Liebeleien in das Geschehen einfließen und deutlich wird, wie, als unerwarteter Nebeneffekt der Bürgerrechtsbewegung, auch die Emanzipation der Homosexuellen vorangebracht wurde. Rustin arbeitete in seinen letzten Lebensjahren als Anwalt für LGBT-Fälle und verstarb 1987.

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