Freevee: »Primo«

»Primo« (Serie, 2023). © Jeff Neumann/Amazon Freevee

© Jeff Neumann/Amazon Freevee

Solo unter Onkeln

Eine häufig aufgemachte Gleichung: Konventionelle US-Sender verlieren Zuschauer, weil diese zu den Streamingkanälen abwandern. Nicht völlig falsch, aber es gibt noch andere Alternativen. Beispielsweise verzeichneten die spanischsprachigen linearen Vollprogramme Telemundo und Univision in 2022 signifikante Zuwächse bei Zuschauern und Werbebuchungen. Latinos machen um die achtzehn Prozent der US-Bevölkerung aus. Ihr Anteil steigt.

Sie werden mittlerweile gezielt umworben, auch von Programmanbietern. Im kurzlebigen Netflix-Remake des 70er-Jahre-Sitcom-Klassikers »One Day at a Time« rückte anders als im Original eine kubanisch-amerikanische Familie in den Mittelpunkt. Beim deutschen Amazon-Kanal Freevee startet im Mai »Primo«. Die Sitcom, ursprünglich für das Network ABC entwickelt, basiert auf den Jugenderinnerungen ihres Schöpfers, des mexikanisch-amerikanischen Ex-Lehrers, Journalisten und Schriftstellers Shea Serrano.

Dessen Alter Ego Rafa Gonzales ist sechzehn und lebt zusammen mit seiner alleinerziehenden Mutter Drea und fünf Onkeln. Seit Kindertagen ersetzt Drea ihren Brüdern die Mutter. Das hat sich nicht geändert. Alle fünf sind Kindsköpfe geblieben und stolpern ständig in irgendwelche Kalamitäten. Der Schwerenöter Rollie muss regelmäßig aus der Haft ausgelöst werden, der Esoteriker Mondo lebt hauptsächlich im Wald. Mike war beim Militär und wirft sich noch immer gern in Kämpferpose. Nur um sich im nächsten Moment wehzutun. Dann muss Drea wieder her und ihn verarzten.

Ryan ist Bankangestellter, was er gern betont. Jay besitzt ein Gartenbauunternehmen und ist verheiratet, lungert aber dauernd bei Drea herum. Seine Frau sieht man nur in Gastauftritten. Auch Jay ist keine Leuchte. An seinem Firmenauto wirbt er mit dem Spruch »Gon(zales) Girl«. Eine Anspielung auf den Film »Gone Girl«, die natürlich niemand versteht.

Die neue Nachbarin Mya hat mit ihren Eltern eine Zeit lang in Deutschland gelebt. Aus diesem Umstand beziehen die Autoren den Stoff für mürbe Running Gags – in Deutschland isst man nur Würstchen und hört Death Metal. Einmal schwärmt Mya – in der Originalfassung deutsch radebrechend – vom »Spargelfest«. Amüsant an der ansonsten humorfreien Szene ist nur die Preistafel für »Spargelspieße«, wahlweise mit »Currywurstsoße«, »Jägersoße« oder anderen unpassenden Zutaten. Der Scherz kann nur im Standbild wahrgenommen werden.

Das Muster ist vertraut: Ein Teenager ist cleverer als seine erwachsene Umgebung, muss Entscheidungen für den späteren Lebensweg treffen, erlebt verunsichert die erste Liebe. »Boy Meets World«, »Family Ties«, »Everybody Hates Chris«. Alles schon einmal durchgespielt. Gewitzelt wird darüber, dass Drea kein mexikanisches Essen kochen kann. Kitzligere Themen wie Rassismus bleiben ausgespart. Die Pointen sind flach, vorhersehbar, manchmal auch schon nicht mehr ganz frisch.

OV-Trailer

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