Bücher-Tipp: Der jüdische Film

Es gibt etwas aufzuarbeiten

Jüdischer Film: Mit gleich fünf Büchern zum Thema innerhalb von neun Monaten kann man wohl einen Nachholbedarf konstatieren. Den gibt es offensichtlich auch beim damit zusammenhängenden Komplex Antisemitismus in Deutschland, wie man erschreckenderweise infolge des Massakers vom 7. Oktober erfahren musste. So sei hiermit auch nachdrücklich auf die beiden Ausstellungen in Frankfurt am Main und in Berlin hingewiesen, die sich derzeit – komplementär Ost (Berlin) und West (Frankfurt) behandelnd – diesem Thema widmen. Beide sind leider nur noch bis zum 14. Januar zu sehen.

Der Katalog zur Frankfurter Ausstellung »Eine jüdische Filmgeschichte der Bundesrepublik« empfiehlt sich als gut zu lesender Einstieg in die Thematik, mit kurzen Texten, die zum Auftakt zahlreiche Akteure vorstellen, bekannte wie Artur Brauner ebenso wie unbekannte, etwa die Agentin Elli Silman, deren Memoiren ebenso verschollen sind wie alle privaten Unterlagen zu Erik Charell. Andere Texte widmen sich zentralen Momenten (Artur Brauner verlässt zwei Mal den Gloria-Filmball, weil auch Veit Harlan eingeladen wurde) und analysieren Schlüsselszenen aus Filmen wie Peter Lorres »Der Verlorene«. Mit Namen wie Karl Fruchtmann, Imo Moszko­wicz und Maria Matray wird auch der Fernsehbereich miteinbezogen. 

Das Begleitbuch zur Ausstellung »Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR« im Jüdischen Museum Berlin enthält zum Thema einen vierseitigen Text von Lisa Schoß, »Jüdische Erfahrung im Film der DDR«. In der Ausstellung selbst gibt es eine von der Autorin erstellte Montage mit 38 Ausschnitten aus DEFA-Film- und Fernsehproduktionen zu sehen, darüber hinaus kann man im letzten Ausstellungsraum unter elf Interviews auch eines mit dem Regisseur Peter Kahane (Die Architekten, 1989) hören, der in 35 Minuten detaillierte biografische Auskunft gibt. 

Die wissenschaftliche Vertiefung beginnt man am besten mit dem Sammelband »Einblendungen«. Die 41 kurzen Texte sind Miniaturen, die den Blick auf Details lenken, von diesen aber oft aufs größere Ganze kommen, darunter Koffer in den Filmen von Peter Lilienthal oder der Nerzmantel, der Artur Brauners Startkapital ins Filmgeschäft war.

Eine Reihe der Autoren sind auch im Sammelband »Jüdischer Film« vertreten, der »ein neues Forschungsfeld im deutschsprachigen Raum« (so sein Untertitel) skizziert, basierend auf dem Blankensee-Colloquium im Januar 2020. Eine grundsätzliche Darstellung, die mit Begriffsproblematisierungen und historischen Entwicklungslinien beginnt und dann Einzeluntersuchungen präsentiert, darunter 12 Uhr mittags im Kontext der biografischen Erfahrungen des Emigranten Fred Zinnemann, »Jewish Queerness« in der Streamingserie »Transparent«, im Fernsehbereich Karl Fruchtmanns »Zeugen. Aussagen zum Mord an einem Volk« und die frühen TV-Arbeiten Peter Lilienthals, Literaturverfilmungen anhand zweier Romane Jurek Beckers sowie die Rolle jüdischer Filmfestivals. Gut lesbar, sollte das Buch auch den nicht akademischen Leser ansprechen. Das gilt auch für die enorm beeindruckende Dissertation von Lisa Schoß zur »Darstellung jüdischer Erfahrung im Film der DDR«. Schon die detaillierten Ausführungen über die wechselnde Bedeutung des Begriffs Antifaschismus in der DDR eröffnen dem Leser neue Perspektiven. Und wenn es später um »das Feindbild Israel« geht, ist man ganz in der Gegenwart angekommen.

 


Johannes Praetorius-Rhein/ Lea Wohl von Haselberg (Hg.): Einblendungen. Elemente einer jüdischen Filmgeschichte der Bundesrepublik. Neofelis-Verlag, Berlin 2023. 183 S., 14 €.

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Lea Wohl von Haselberg/ Lucy Alejandra Pizana Pérez (Hg.): Jüdischer Film. Ein neues Forschungsfeld im deutschsprachigen Raum. Edition text + kritik, München 2022. 342 S., 39 €.

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Lisa Schoß: Von verschiedenen Standpunkten. Die Darstellung jüdischer Erfahrung im Film der DDR. DEFA-Stiftung/Bertz + Fischer-Verlag, Berlin 2023. 654 S., 43 €.

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Lea Wohl von Haselberg/ Johannes Praetorius-Rhein/ Erik Riedel/Mirjam Wenzel (Hg.): Ausgeblendet/Eingeblendet. Eine jüdische Filmgeschichte der Bundesrepublik. Jüdisches Museum Frankfurt/Carl-HanserVerlag, München 2023. 263 S., 28 €.

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Tamar Lewinsky/Martina Lüdicke/Theresia Ziehe (Hg.): Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR. Jüdisches Museum Berlin/Ch.-Links-Verlag, Berlin 2023. 271 S., 28 €.

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