Sky: »Irma Vep«

»Irma Vep« (Miniserie, 2022). © Home Box Office, Inc.

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Gefinkelte Hommage

Schwarzes Leder, Latex oder Samt? Egal. Was zählt, ist, dass der schwarze Catsuit von Irma Vep verführerisch im Scheinwerferlicht schimmert. 1915 drehte Louis Feuillade das Stummfilm-Serial »Les Vampires« über eine Ganovenbande, die in Paris ihr Unwesen treibt. Der Star der Bande ist Irma Vep (ein Anagramm von »Vampire«), eine artistische Diebin, die in vielerlei Verkleidungen, darunter als Mann, auftritt. Bei ihren Raubzügen turnt sie im hautengen Anzug über die Dächer von Paris. Seitdem geistert Irma Vep als erotisches Fantasma durch die Hirne von Millionen Franzosen. Auch Film- und Kunsttheorie haben sich auf Feuillades Klassiker, der Surrealismus und Feminismus vorwegnimmt, gestürzt. Olivier Assayas erwies bereits 1996 mit seinem Spielfilm »Irma Vep«, der von den chaotischen Dreharbeiten für ein Remake handelte, seinem Lieblingsfetisch eine gefinkelte Hommage. Nun treibt er mit einem in acht Folgen ausbuchstabierten Remake seines Remakes das selbstreflexive Vexierspiel auf die Spitze. Mit Mise en abyme, Autofiktion und Selbstzitaten ist sein beschwingtes Sittenbild also erst recht ein Fall für das Seminar.

In der Serie selbst geht es also um das Drehen eines Serien-Remakes von »Irma Vep«. Dementsprechend hört man die Figuren über den derzeitigen Zustand der Filmindustrie und den Siegeszug des Streaming sowie – die blasierte neue Assistentin von Filmstar Mira kommt geradewegs aus dem Filmstudium – über »woke« Themen parlieren. Ähnlich wie in Truffauts »Die amerikanische Nacht« erfährt das Geschwätz durch die quasidokumentarische Schilderung von Praxis und Ökonomie des Filmbetriebs seine Erdung. Auch das gallige Porträt des Geldgebers des ganzen Zaubers, des Vertreters eines Luxuskonzerns, der den Star als Werbegesicht für ein neues Parfüm gewinnen will und die absehbar erfolglose Filmkunstserie als Betriebsunkosten eingepreist hat – für den Regisseur die ultimative Demütigung –, scheint direkt aus dem Leben gegriffen. Alicia Vikander, die Filmstar Mira spielt, ist seit Jahren Markenbotschafterin für Vuitton.

Assayas' Kunst besteht vor allem darin, dass man im fließenden Übergang zwischen Urszenen von 1916, die via Smartphone der Filmcrew als Vorbild dienen, neuen Szenen, und dem Getriebe der Dreharbeiten nie den Überblick verliert. Im Zentrum steht – nach Maggie Cheung 1996 in Latex – Vikander als Amerikanerin Mira Harberg, die als katzenhafte Irma Vep in Samt und Seide umherschleicht. Mit diesem ungewohnten Pariser Arthouse-Abenteuer will Mira, Actionstar des Blockbusterkinos, Abstand zu einer unglücklichen Affäre gewinnen. Doch als Projektionsfläche und Objekt der Begierde von Männern wie Frauen verliert die engelhafte Schauspielerin zwischen Realität und Illusion die Orientierung.

In der Figur von Regisseur Vidal – 1996 Jean-Pierre Léaud, jetzt der abwechselnd verdruckste und cholerische Vincent Macaigne – entblößt Assayas erneut gnadenlos die eigenen Neurosen, beschwört gar das geisterhafte Alter Ego seiner Ex-Ehefrau Maggie Cheung. Vidals depressives Gemüt ist nicht nur für die Versicherungsgesellschaft der Filmproduktion ein Problem. Vincent Lacoste als Detektiv auf Irma Veps Spuren gibt als Schauspieler Edmond, der mit dem Regisseur ständig über seine Rolle diskutieren und Bettszenen mit seiner mitspielenden Ex-Freundin fordert, einen kindlich verschlagenen Hanswurst und wird mit brutalem Slapstick traktiert. Hinreißend burlesk ist Lars Eidinger als deutscher Schauspieler Gottfried, der, gestylt wie ein Rockstar der späten Siebziger, das cracksüchtige Enfant terrible gibt.

Auch mit dem polierten Look und dem eklektizistischen Soundtrack kreiert Assayas virtuos die Atmosphäre einer Parallelwelt angespannter Kreativer, die in dieser work in progress-Geschichte zwischen Kunst, Kosten und Nervenzusammenbruch permanent auf dem Hochseil tanzen. Und trotz aller narzisstischer Macken ist bei Assayas dabei stets die Liebe zu seinen Schauspielern und die Begeisterung für den Zauber der Lichtspiele spürbar.

OV-Trailer

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