Hugo Blick: Düster und gewagt

»Black Earth Rising« (Serie, 2018). © Sophie Mutevelian/Des Willie/BBC/Netflix

Hugo Blick in »Black Earth Rising« (Serie, 2018). © Sophie Mutevelian/Des Willie/BBC/Netflix

Es kann vorkommen, dass das Schauen einer TV-Serie des Briten Hugo Blick einem den Atem raubt. Verursacht vielleicht ob der frappanten Qualität der Drehbücher. Der eleganten Dialoge. Der unerhört präzisen, durchdachten Inszenierung. Am wahrscheinlichsten aber weil Hugo Blick, der seine Karriere als Schauspieler begann, die Vorschriften handelsüblicher Lehrwerke über das Drehbuchschreiben gern gründlich missachtet.

Bei Blick gehorchen die Wendepunkte der Geschichte, nicht umgekehrt. Für die Figuren gibt es keine Schonung. Gerade glaubt man, der Achtteiler »Black Earth Rising« bewege sich in Richtung Courtroom-Drama, da verliert die vermeintliche Hauptfigur ihr Leben. Das Blatt wendet sich. Nicht nur einmal.

Am Ende der ersten Staffel der Melanchomödie »Sensitive Skin« in 2005 verstarb, gerade als das Happy End vollendet schien, eine der beiden Hauptfiguren. 2011 in der Krimiserie »The Shadow Line« durchkreuzte Blick rigoros die von Dutzendware geprägten Erwartungen des Publikums. Die Guten müssen immer gewinnen? Wer hat das bestimmt? Düsteres Leitmotiv in Blicks Serie »Black Earth Rising« (2018) ist Leonard Cohens »You Want It Darker« – kein leeres Versprechen.

In der Arte-Mediathek ist noch bis zum 3. Dezember »The Honourable Woman« aus dem Jahr 2014 abrufbar, nach mehreren erfolgreichen Mockumentary- und tragikomischen Serien Blicks Wechsel zum Politthriller. Und gleich ein echtes Wagnis: Die Handlung entfaltet sich vor dem Hintergrund des israelisch-palästinensischen Konflikts, spielt im Gazastreifen und in der Westbank, in London, Washington, Utrecht.

Schon der Einstieg ist harte Kost: Nessa und Ephra Stein sitzen mit ihrem Vater im Hotelrestaurant, als ein Kellner den Vater mit der Brötchenzange ersticht. Weil Eli Stein Israel mit Waffen beliefert, ist er Opfer eines Attentäters geworden.

29 Jahre später leitet Nessa Stein das Unternehmen, ihr Bruder die zugehörige gemeinnützige Stiftung. Von Waffen hat man auf IT-Technik umgestellt, bemüht sich um Aussöhnung zwischen Israel und Palästina, fördert großzügig Projekte in beiden Ländern. Gerade in der Planung ist das Vorhaben, Israel und Palästina mit Glasfaserkabeln zu verbinden. Der Zuschlag für die Bauarbeiten sollte an Samir Meshal gehen. Doch der wird tot aufgefunden. Selbstmord. So zumindest der erste Befund.

Virtuos strickt Blick eine Fülle ausgetüftelter Intrigen auf mehreren Erzähl- und Zeitebenen. Damit wird er der Komplexität des Themas vollauf gerecht, liefert weder Schuldzuweisungen noch einfache Lösungen. Die Voraussetzungen: akribische Recherche und Einfühlungsvermögen.

Blick fungiert stets als Regisseur in eigener Sache, pflegt einen unprätentiösen und gerade darin gekonnten Stil. Bei ihm registriert die Kamera, wird nicht selbst zum Akteur, nicht hektisch herumgeschubst, um Action vorzutäuschen. Die Wirkung schneller Schnitte wäre hier nur destruktiv.

Typisch: Blicks elliptische Inszenierung. Er überspringt, was andere für wesentlich halten würden, wendet die Kamera ab vom Geschehen, filmt stattdessen die Reaktionen von Beteiligten, lässt Raum für Fantasie. Er richtet die Aufmerksamkeit auf scheinbar Nebensächliches und legt, in engem Zusammenspiel mit den immer exzellenten, häufig bühnenerfahrenen Hauptdarstellern, dessen versteckte Bedeutung bloß.

Die Personaleinheit von Autor und Regisseur ist bei Blick ein Glücksfall. Außer mit den offensichtlichen Themen – in »Black Earth Rising« der Völkermord in Ruanda und dessen Folgen – befasst er sich mehrbödig mit Ethik, Moral, Wertesystemen, und das weiß er meisterhaft in Handlung, Dialoge, Bilder umzusetzen.

Blicks Serie »Sensitive Skin« übrigens ist eine Freude für Cinephile. Als leidenschaftliche Kinogänger zitieren die Hauptfigur Davina und ihr Gatte ständig Filmtitel und -szenen, um ihre Sätze zu illustrieren. Auch Metascherze finden sich: Davinas Nachbarin träumt von einer Nacht mit Roger Moore. Gespielt wird sie von Jean Marsh, die in der Serie »Simon Templar« mit Moore mehrfach die Szene teilte.

Serien von Hugo Blick

Sensitive Skin Großbritannien 2005–2007. Cr, P und R: Hugo Blick. Da: Joanna Lumley, Denis Lawson, James Lance, Oliver Cotton, Anthony Head. F: 2 Staffeln, 12 Episoden. A: Originalfassung bei Freevee. Das kanadische Remake mit Kim Cattrall u.a. bei Amazon, Apple TV, Google Play.

The Shadow Line Großbritannien 2011. Cr, P und R: Hugo Blick. Da: Chiwetel Ejiofor, Christopher Eccleston, Kierston Wareing, Rafe Spall, Stephen Rea. F: 1 Staffel, 7 Episoden. A: Apple TV.

The Honourable Woman Großbritannien 2014. Cr, P und R: Hugo Blick. Da: Maggie Gyllenhaal, Andrew Buchan, Lubna Azabal, Stephen Rea, Janet McTeer, Eve Best. F: 1 Staffel, 9 Episoden (in der britischen Schnittfassung 8). A: Arte Mediathek.

Black Earth Rising Großbritannien 2018. Cr, P und R: Hugo Blick. Da: Michaela Cole, John Goodman, Harriet Walter, Abena Ayivor, Tamara Tunie, Noma Dumezweni, Hugo Blick. F: 1 Staffel, 8 Episoden. A: Netflix.

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