DVD-Tipp: »Gerda«

© Capelight Pictures

Das triste Russland

Tagsüber ist Lera Soziologiestudentin. Übermüdet sitzt sie in den Vorlesungen ihrer Uni. Nachts nennt sich die zierliche junge Frau Gerda und arbeitet in einem Stripclub. Bei den Männern ist sie beliebt, sie verlangen immer wieder nach einem Privattanz. Das macht ihre Kolleginnen wütend, sie wird beschimpft und beleidigt. Wenn Lera dann nach Hause kommt, in eine dieser Wohnzellen des typisch sowjetischen Neubaugebietes, hat der betrunkene Vater wieder einmal die Tür eingetreten. Dabei hat er sie und ihre Mutter längst verlassen.

»Gerda« ist der dritte Spielfilm der 1978 geborenen, einstigen Schauspielerin Natalja Kudrjaschowa, deren Debüt »Pionier Heroes« vor sieben Jahren auf der Berlinale lief. Der Film lebt von seiner Hauptdarstellerin, dem belorrussischen Model Anastasiya Krasovskaya. Sie überstrahlt mit ihrem bildschönen Gesicht und den intensiven blauen Augen die allgemeine Tristesse, wirkt in ihr fast überirdisch.

Die Regisseurin verstärkt diesen Eindruck mit eingestreuten, surrealen Bildern, die dramaturgisch nicht zwingend sind und bemüht wirken. Stark ist der Film immer dann, wenn Lera versucht, ihre soziale Umfrage zum Lebensstandard in Russland durchzuführen. Zu den Fragen gehört, ob man lieber in der Sowjetunion oder vor der Revolution leben möchte, wie viel Geld man verdient und was man finanziell anstrebt. Wenn Lera an den schweren Wohnungstüren klopft, wird sie ignoriert, beschimpft oder von traurigen Gestalten hereingelassen, die ihre Fragen oft nicht beantworten. Das Russlandbild des Films passt gar nicht zur offiziellen putinschen Propaganda. Die Menschen überleben höchstens, wenn sie realitätsfremde Träume oder (Wahn-)Vorstellungen haben wie Leras labile Mutter. Leras Mischung aus Zerbrechlichkeit und innerer Kraft macht ihre Figur aus. Anastasiya Krasovskaya erhielt für ihr Spiel 2021 den Preis als Beste Darstellerin in Locarno. In Russland interessiert man sich kaum für »Gerda«. Als der Film dort im Oktober 2021 ins Kino kam, sahen ihn gerade einmal 11 000 Zuschauer.




VÖ: 15. Juli 2022

Bestellmöglichkeit (DVD/Blu-ray)

 

 

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