Buch-Tipp: Lisa Gotto, Dominik Graf – Kino unter Druck

Kreativität und Widerstand

Auf den ersten Blick mag es verwundern, dass sich der fleißige Filmregisseur Dominik Graf als Filmhistoriker mit der Geschichte des osteuropäischen Films in den Zeiten des Kalten Krieges befasst. Andererseits hat er schon häufiger von den Perlen dieser besonderen Phase des Kinos geschwärmt, in der es »in einer Weise in jedem Moment um alles geht, dass es einem den Atem verschlägt«. Doch die Textsammlung »Kino unter Druck« ist zugleich leidenschaftliche Liebeserklärung ans osteuropäische Kino und wütende Kampfansage gegen die deutsche »Funktionsfilmkultur«, der jede Vieldeutigkeit und Lebenskraft von den Fördergremien ausgetrieben wird, in deren wirtschaftlicher »Zensur« – anders als in Osteuropa – die wilden, interessanten Ideen gar nicht erst umgesetzt werden.

Das Buch ist als Pingpong-Spiel angelegt, wie ein dialogischer Briefwechsel zwischen Graf und der in Wien lehrenden Film- und Medienwissenschaftlerin Lisa Gotto, vor allem im einleitenden Austausch über die Dialektik von einschränkender Zensur und befreiender Kreativität, aber auch in den darauffolgenden Texten zu einzelnen Filmen (wobei viele der Graf-Texte bereits in der ebenfalls im Alexander-Verlag erschienenen Textsammlung »Schläft ein Lied in allen Dingen« versammelt sind). »Das Kino müsste ein Lichtmuseum sein, in dem sich die Verbindungen zwischen den Filmen wie beim Gang durch eine Ausstellung ergeben«, schreibt Lisa Gotto, und genau solche Assoziationen stiften die analysierenden und schwärmerischen Texte über 15 besondere Filme aus der Tschechoslowakei, Polen und Ungarn, von Andrzej Wajda, Krzysztof Zanussi, Zbynek Brynych (der deutschen Krimiserien wie »Derrick«, »Der Kommissar« und »Der Alte« in den Siebzigerjahren einen wilden Frischekick verpasst hat), mit besonderem Augenmerk auf dem weiblichen Blick von Agnieszka Holland, Věra Chytilová, Márta Mészàros und Judit Elek. Viel Verschüttetes wird da geborgen, viel Lust gemacht auf Filme, wie Chytilovás Frühwerk »Ein Sack voller Flöhe«, der 2019 immerhin auf MUBI zu sehen war und mit dokumentarischem Flair ganz konsequent aus subjektiver Perspektive erzählt ist, ein Zeugnis von »Rebellion und Aufbegehren wie der feine Sprühnebel einer sich ankündigenden gewaltigen Gischt«.

 


Lisa Gotto, Dominik Graf: Kino unter Druck. Filmkultur hinter dem Eisernen Vorhang. Alexander Verlag Berlin, 2021. 160 S., 16,90 €.

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