Netflix: »Virgin River«

»Virgin River« (Staffel 3, 2021). © Netflix

»Virgin River« (Staffel 3, 2021). © Netflix

Alltag im Paradies

Virgin River ist ein Paradies. Zumindest kommt es dem, was man sich auf der Erde als paradiesisch vorstellt, ziemlich nahe. Umgeben von dichten Wäldern ohne Netzempfang, an einem malerischen Fluss gelegen, der in einen See mündet, ist das kleine Virgin River ein Ort reiner Menschlichkeit. Man hilft sich gegenseitig, ohne auch nur daran zu denken, Geld dafür zu nehmen, das Wetter ist wechselhaft unbedrohlich und die Arbeit weniger Last als sinnvolle Beschäftigung im Alltag.

Kein Wunder, dass Doc Mullins auch mit 72 nicht daran denkt aufzuhören. Und auch die Krankenschwester, die zu seiner Unterstützung eingestellt wurde, nicht beschäftigen will. Doch das ändert sich schnell. Denn Mel Monroe (Alexandra Breckenridge) ist ein wahrhafter Engel ohne Flügel, was auch Jack (Martin Henderson), Exmarine und Betreiber der einzigen Bar in Virgin River, schon bei der ersten Begegnung feststellt.

So einfach, könnte man meinen, so klar. Wie füllt man drei Staffeln mit jeweils zehn Folgen mit diesem Stoff? Ganz einfach, man stattet das Paradies aus. Denn der Ort reiner Menschlichkeit ist erst komplett, wenn es alle Facetten des Schicksals gibt, Hoffnungen ebenso wie Rückschläge, Lügen, Windigkeiten, Trauer und Leid. Um den Frieden wirklich schätzen zu können, braucht es kriminelle Energie. In dieser Mischung kann man dann zusehen, wie der Reigen beginnt, sich zu bewegen.

Sue Tenney nimmt die Vorstellung vom Paradies ernst. Dass der sündenfreie Raum, in dem alles wohleingerichtet ist, unglaubliche Langeweile erzeugt, wusste schon Hieronymus Bosch, als er den Garten der Lüste malte. Spannung entsteht im Widerstreit der Gefühle. Das Beruhigende an »Virgin River« aber ist, dass hier, anders als im konfliktgeladenen Drama, die Menschen Probleme eher schnell lösen, einfach weil sie miteinander reden. Dass man in »Virgin River« kaum über den Alltagsdialog hinausgeht und sich mit gefeilten Sätzen oder profunden Lebensweisheiten zurückhält, ist eben der Idee geschuldet, den Alltag ernst zu nehmen. Den Alltag im Paradies.

Die dritte Staffel endet mit einem ganzen Strauß von Cliffhangern, als hätte man Angst, die Zuschauer würden die Pause bis zur vierten nicht überstehen, dabei ist die schon zugesagt. Wie dem auch sei, es ist ein Missverständnis zu denken, man schaut diese Serie in der Hoffnung auf eine finale Lösung. Das Paradies wird seine Tore irgendwann schließen, aber ein Ende kann es nicht geben. Und das ist auch ein Vorteil, denn wenn man sich die großen Serien anschaut, von »Downton Abbey« über »Breaking Bad« bis zu »Game of Thrones«, waren die finalen Folgen oft von einer unglaublichen Hilflosigkeit. »Virgin River« öffnet den Kreis und erlaubt einem für kurze Zeit dazuzugehören, mitzufiebern und sich an den Erkenntnissen der Einzelnen zu freuen oder mit ihnen zu weinen. Mehr nicht, aber auch nicht weniger. Und es fühlt sich gut an, nicht zu wissen, wie es im Einzelnen weitergeht. Denn nur so ist garantiert, dass es weitergeht.

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