Joyn: »Katakomben«

»Katakomben« (Serie, 2021). © Joyn / Arvid Uhlig

»Katakomben« (Serie, 2021). © Joyn / Arvid Uhlig

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Ein Netzwerk unterirdischer Gänge erstreckt sich in München unter dem Hauptbahnhof. Ein Artikel über diese Parallelwelt, in die sich all jene Drogenabhängige und Obdachlose flüchten, die in Deutschlands aufgeräumtester Großstadt sonst keinen Platz haben, weckte vor ein paar Jahren das Interesse von Autor Florian Kamhuber und Regisseur Jakob M. Erwa – und hat sie schließlich zur passend betitelten Serie »Katakomben« inspiriert.

Mit einem tragischen Vorfall setzt die Handlung ein: Eine natürlich illegale und deswegen umso coolere Party lockt reiche Kids aus der Münchener Schickeria in diese Katakomben, darunter Nellie (Lilly Charlotte Dreesen), die Tochter der Baustadträtin Mahler, ihren Bruder Max (Nick Romeo Reimann) und ihren besten Freund Janosch (Yasin Boynuince). Wer sich in den unterirdischen Gewölben sonst aufhält, interessiert die Feiernden ebenso wenig wie etwa die Bauunternehmerin Lisa Limberger (Marleen Lohse) und ihren Vater, die direkt darüber ein ehrgeiziges, aber nicht unumstrittenes Hochhausprojekt planen.

Das ändert sich, als es bei dem Rave zur Tragödie kommt: Ein Feuer bricht in den Tunneln aus, eine Massenpanik entsteht, und während sich die meisten retten können, kommen Max und zwei seiner Freunde zunächst nicht wieder an die Oberfläche. Eine Schlüsselrolle bei deren Verbleib kommt der jungen Obdachlosen Tyler (Mercedes Müller) zu, die sich unter der Erde unter anderem um die schwerkranke Liljana (Lea Mornar) und ihren kleinen Sohn kümmert. Aber auch die Bundespolizistin Kaltbrunner (Sabine Timoteo), die ihre verschwundene Tochter sucht, und Staatsanwalt Liebknecht (Yung Ngo) sind schnell in den Fall verwickelt. Und Mutter Mahler (Aglaia Szyszkowitz) hat eine ganz eigene Agenda, bei der es nicht nur um ihren Sohn geht.

Der erste Eindruck täuscht bei »Katakomben« gehörig, und das sicherlich nicht unbeabsichtigt. Was Erwa, dessen »Die Mitte der Welt« zu einem der am meisten unterschätzten deutschen Filme der letzten zehn Jahre gehört, und Kamhuber im Sinn haben, ist kein Thriller, und auch die gelegentlich ins Spiel kommenden Horror-Elemente sind eher schmückendes Beiwerk. Vielmehr ist die Serie im Kern ein waschechtes Sozialdrama, das sich ausgehend von der unterirdischen Parallelwelt an etlichen Themen abarbeitet, die von Gentrifizierung und Korruption im Bauwesen bis hin zu Fragen des Gesundheitssystems oder der Oberflächlichkeit der Social Media reichen.

Dass die Sache angesichts von so vielen (und nicht immer gleichermaßen überzeugenden) Sujets und Figuren nicht aus dem Ruder läuft, liegt vor allem an Erwas Regie. Er inszeniert »Katakomben« dicht und temporeich, mit einem starken Fokus aufs Visuelle. Darüber hinaus setzt er die Geschichte mit einer Selbstverständlichkeit in Sachen Diversität um, von der sich die meisten seiner Kollegen noch eine Scheibe abschneiden können. Selbst das Ende passt: in sich rund, aber doch offen genug, um einer möglichen Fortsetzung nicht im Weg zu stehen.

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