Disney+: »Reservation Dogs«

»Reservation Dogs« (Serie, 2021). © FX Productions, LLC

»Reservation Dogs« (Serie, 2021). © FX Productions, LLC

Was würde Sitting Bull tun?

Eine Serie, die mit der krachigen Präpunk-Hymne »I Wanna Be Your Dog« der Stooges und dem Überfall Jugendlicher auf einen mit Chipstüten beladenen Truck beginnt, kann nicht ganz schlecht sein. Die Dramedy »Reservation Dogs« über eine Clique krimineller indigener Teenager im US-Bundesstaat Oklahoma, die bald die Fronten wechseln und auf eigene Faust und nach ihren Regeln für Gerechtigkeit im Reservat sorgen, übertrifft diese Hoffnungen in dieser und den folgenden sieben Folgen noch. Was vor allem daran liegt, dass die Macher um Sterlin Harjo und Taika Waititi so ziemlich jede Erwartung bravourös unterwandern. Die Serie ist ein ungeschönter Blick auf den Alltag amerikanischer Ureinwohner, ohne sich dabei in deren Trauma zu suhlen oder andere Stereotype zu reproduzieren. Stattdessen nutzt sie schwarzen, oft surrealen Witz, wie ihn Waititi auch in seiner Nazisatire »Jojo Rabbit« und der Vampir-Comedyserie »What We Do in the Shadows« bewiesen hat, um über eine Jugend abseits des weißen Mainstreams zu erzählen.

Im Mittelpunkt stehen vier Jugendliche – Bear (D'Pharaoh Woon-A-Tai), Willie Jack (Paulina Alexis), Cheese (Lane Factor) und Elora (Devery Jacobs) – die in einem Reservat im ländlichen Mittleren Westen aufwachsen und alles tun, um dort rauszukommen, inklusive Überfälle. Davon erhoffen sie sich das nötige Bargeld, das sie nach Kalifornien, das Land ihrer Träume, bringen soll. Ihr Freund Daniel hatte die Idee zuerst aufgebracht, bevor er vor einem Jahr auf tragische Weise ums Leben kam. Wie, wird erst im Laufe der je knapp halbstündigen Episoden enthüllt, die seit 13. Oktober bei Disney+ zu sehen sind. Mit dem Exodus wollen sie auch ihm die letzte Ehre erweisen.

Zuvor müssen sie sich mit einer rivalisierenden Jugendgang herumschlagen, die wenig zimperlich ist, wenn es darum geht, wer auf den Straßen im Reservat das Sagen hat. Als die Widersacher aus dem Auto heraus das Feuer auf Bear und seine Freunde eröffnen, erweisen sich die Schusswaffen als Paintballs, eine erste Warnung aus Farbflecken. Bear geht trotzdem zu Boden und hat eine kurze Vision von einem Ureinwohner auf hohem Ross, den er fragt, ob er etwa Sitting Bull oder ein anderer berühmter Häuptling sei. Aber dieser Geist, der ihm noch öfter erscheinen wird, ist nur ein etwas prahlerischer Allerweltskrieger aus der zweiten Reihe.

So spielt die Serie immer wieder mit Versatzstücken, der Verweis im Titel auf Tarantinos Gangsterfilm »Reservoir Dogs« lässt es bereits erahnen, um so eine rotzig-authentische Geschichte aus erster Hand zu erzählen. Sterlin Harjo greift auf eigene Jugenderfahrungen in der Seminole Nation zurück, und auch die anderen Drehbuchautor:innen und Regisseur:innen sowie das gesamte Ensemble haben indigene Wurzeln. Das Ergebnis ist weit mehr als ein gut gemeintes inklusives Repräsentationsprojekt, sondern eine smarte, oft sehr berührende Auseinandersetzung mit der jugendlichen Suche nach Identität.

Einiges am Reservatsalltag erscheint durchaus vertraut aus anderen Teenagerserien, die Vorstadttristesse etwa oder das Ausloten von Grenzen. Interessant ist dabei, dass die Kids zwar in Sachen Popkultur und Genderdiskurs auf dem neuesten Stand sind, es ihnen aber weit weniger um Sex, Drogen und Klamotten geht als anderen Serienjugendlichen, etwa in Generation oder dem in gänzlich anderem sozialem Milieu angesiedelten »Gossip Girl«-Reboot. Auch ihr Verhältnis zu den Erwachsenen ist erstaunlich wenig aufsässig. Bear sehnt sich nach der Aufmerksamkeit seines Vaters, der mehr mit den eigenen Rapper-Ambitionen beschäftigt ist. Als der stille Cheese im Krankenhaus von einer bettlägerigen Alten für ihren Enkel gehalten wird, fügt er sich spontan in die neue Rolle, setzt sich neben sie und hört ihren Geschichten vom Leben früher zu. Und schmuggelt sie später, so viel Rebellion muss sein, im Rollstuhl aus dem Gebäude, um ihr den Abendhimmel zu zeigen.

OV-Trailer

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