Buch-Tipp: Dieter Kosslick – Immer auf dem Teppich bleiben

Dieter Kosslick

Dieter Kosslick

Überwiegend unmagisch

»Kino, Klima, Kulinarik und Festivals«, so summiert der ehemalige Berlinale-Leiter Dieter Kosslick gleich auf der ersten Seite sein berufliches Leben. Woher seine Vorliebe für das Kulinarische kommt, erfährt man erst 136 Seiten später: Wenn man als Fünfjähriger morgens von seiner Mutter durch den Geruch frisch zubereiteter Speisen geweckt wurde und dann als Schlüsselkind seine Tage über einer Backstube verbrachte, dann ist das fast zwangsläufig. Das Klima dagegen (und sein Zusammenhang mit den anderen Begriffen) steht im Mittelpunkt des letzten Buchdrittels: Hier entwirft Kosslick ein Bild von der Zukunft des Kinos im Zeitalter von Pandemie und Streamingdiensten, wobei er immer wieder den »grünen« Aspekt betont. Seine Vorschläge versieht er regelmäßig mit Hinweisen darauf, inwieweit sich die Berlinale während seiner Zeit bereits in diese Richtung bewegt hat. 

Seine berufliche Laufbahn (abgehandelt im ersten Teil, mit Vor- und Rückgriffen) – vom Reden-schreiber des Hamburger SPD-Bürgermeisters Hans-Ulrich Klose 1979 zum Chef der Hamburger Filmförderung, dann der in Nordrhein-Westfalen und schließlich im Jahr 2000 die Berufung zum Berlinale-Direktor – liest sich wie eine ununterbrochene Erfolgsgeschichte. Kosslick musste sich nie irgendwo bewerben (sieht man von seiner allerersten Anstellung nach dem Studium in einer Münchner Werbeagentur ab), sondern wurde immer aufgefordert, eine Tätigkeit zu übernehmen. 

Der Mittelteil gehört dann ganz den »Berlinale-Geschichten«, die sich überwiegend im Anekdotischen erschöpfen. Die im Untertitel des Buches benannten »magischen Momente« beziehen sich hier überwiegend auf die Anwesenheit prominenter Stars, entweder auf der Bühne, dem Roten Teppich oder beim gemeinsamen Essen. Dass Festivals diese mit teilweise aufwändigen Gastgeschenken verwöhnen (ein maßgeschneidertes Jackett für Gérard Depardieu), war mir neu. 

Eigentlich nur zweimal scheint Dramatisches auf, beide Male geht es um Zensur. Zum einen in dem Moment, als bei Kosslicks letzter Berlinale der chinesische Abschlussfilm zurückgezogen wurde (wobei wir hier nichts erfahren, was über die damalige Berichterstattung in den Tageszeitungen hi­n­ausgeht), zum anderen in Bezug auf den Iran, als bei der Rückkehr der dorthin entsandten Mitarbeiterin die Sichtungskopien aus ihrem Gepäck verschwunden sind.

Eine Episode mit George Michael und seinem Sonnenbrillenfimmel ist zwar unterhaltsam, aber ich hätte doch lieber etwas über die ökonomische Seite des Festivals erfahren, die Wünsche von Sponsoren oder mögliche Versuche der Einflussnahme durch den Filmproduzenten Harvey Weinstein – der war immerhin jahrelang prominent im Wettbewerb und mit Eröffnungsfilmen vertreten. Man ahnte das schon, wurde doch das Versprechen im Vorwort, »dieses Buch blickt hinter den Vorhang und plaudert zuweilen aus dem Nähkästchen«, gleich mit der Einschränkung versehen: »natürlich immer mit schwäbischer Diskretion«. Kosslick spricht zwar einmal von »Pannen, Fehlschlägen, Katastrophen«, die es während seiner Berlinale-Zeit gab, betont aber gleich darauf, »die glücklichen Momente überwogen alles«. Aus denen kann der Leser allerdings wenig Erkenntnis gewinnen.

Eine der eindringlichsten Stellen des Buches war für mich jene, wo Kosslick vom ersten Treffen mit den Berlinale-Mitarbeiter*innen berichtet: »Noch nie in meinem Leben saß ich derart schweigenden Mitarbeiter*innen gegenüber… Irgendwann erhob sich eine Kollegin und sagte, ohne mich dabei anzusehen: ›Wissen Sie, wir sind es nicht gewohnt, in Anwesenheit des Direktors zu sprechen.‹«

Ist das nicht ein Widerspruch zu seiner Aussage »der persönliche Kontakt und die wechselseitige Sympathie sind die Garanten des Erfolgs«? Wenn es so einfach wäre, warum blieb dann sein cholerischer Vorgänger Moritz de Hadeln so viele Jahre – einige mehr als Kosslick – im Amt? Aus dem vor vier Jahren erschienenen Buch über ihn habe ich jedenfalls definitiv mehr über die Probleme von Filmfestivals erfahren als hier. Um den Buchtitel beim Wort zu nehmen: Kosslick ist mit seinem Buch auf dem Roten Teppich geblieben, hinter die Kulissen unternimmt er nur kurze Abstecher.

 

Dieter Kosslick: Immer auf dem Teppich bleiben. Von magischen Momenten und der Zukunft des Kinos. Hoffmann und Campe, Hamburg 2021. 320 S., 25 €. (Lesungen sind geplant in Berlin (23.3.), Hamburg (29.3.), Köln (21.4.) und Erlangen (23.4.).

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