Streaming-Tipp: »Utopia«

»Utopia« (Serie, 2020). © Elizabeth Morris/Amazon Prime Video

»Utopia« (Serie, 2020). © Elizabeth Morris/Amazon Prime Video

Eine Pandemie mit Nerds

Schon der Vorspann warnt eindringlich: Diese Serie sei »fiktiv«. Sie habe nichts zu tun mit »der gegenwärtigen Pandemie«. Der Sechsteiler, ein US-Remake der gleichnamigen britischen Serie von 2013, erzählt von einer grippeartigen Seuche, deren Symptome tatsächlich stark an Corona erinnern. Damit nicht genug: Das Virus, von dem der Sechsteiler erzählt, stammt aus dem Labor eines sinistren Pharmabosses, der das Gegenmittel offenbar zu Geld machen will. Auch diese Wendung erinnert an gegenwärtig kursierende Verschwörungsmythen um Bill Gates. Angeblich hat der Microsoftmitbegründer ja das Covid-19-Virus erschaffen, um die Menschheit durch Zwangsimpfungen zu kontrollieren.

Die Serie, bei der die US-Schriftstellerin Gillian Flynn (»Gone Girl«) als Showrunner verantwortlich zeichnet, erzählt von einer mysteriösen Graphic Novel namens »Utopia«. Eine Gruppe junger Nerds verehrt diesen Comic wie eine Weissagung zukünftiger Ereignisse. Glaubhaft wird dieser Kult, weil die soziale Herkunft und die Charaktere dieser Comicfreaks liebevoll ausgeleuchtet werden. Ein einäugiger Prepper, ein Straßenjunge, ein Virologe und ein Mädchen, das keiner haben will, finden sich in einer wunderbar skurrilen Ersatzfamilie. Ihre Aufgabe: die Bioapokalypse stoppen.

Parallelen zu »Stranger Things« sind unübersehbar. Dennoch setzt »Utopia« erfrischende Akzente. So werden die Weltenretter verfolgt von Arby, einem infantil anmutenden Autisten, der in einem Laborexperiment zum perfekten Gehorsam konditioniert wurde. Christopher Denham verkörpert diese Killermaschine ungefähr so, als wäre er der kleine Bruder von Javier Bardem, der in »No Country for old Men« als stoischer Bolzenschussmörder für Verstörung sorgte. Wo eine solche Gefahr ist, wächst bekanntlich auch das Rettende. Keine Geringere als Jessica Hyde (Sasha Lane), die Hauptfigur des »Utopia«-Comics, eilt den Nerds zu Hilfe, und zwar leibhaftig. Das Verwischen der Grenzen zwischen Fiktion und Realität funktioniert, weil der »Utopia«-Comic nicht nur ein buntes Heftchen ist, das gelegentlich vor die Kamera gehalten wird. Die Graphic Novel spielt auch auf der visuellen Erzählebene der Serie eine Schlüsselrolle. Entsprechend differenziert gestaltet sind die Panels. Inspiriert von den düsteren Kinderbuchillustrationen des Briten Arthur Rackham schuf der brasilianische Künstler João Ruas eigens für die Serie surreale Körperfantasien mit einem morbiden Touch von H. R. Giger.

Zusammengehalten wird das schillernde Mosaik der Motive von einem Thrillerplot mit viel schwarzem Humor und einigen deftigen Splatterschocks. John Cusack glänzt als Mad Scientist Kevin Christie, der Thomas Morus' stilbildenden Roman »Utopia« in faschistoider Manier interpretiert, um so die Welt vor drohender Überbevölkerung zu »retten«. So fügen sich in dieser Serie Popkultur mit Nerdtum, Verschwörungstheorien und hochaktueller Pandemiehysterie zu einer ebenso schrillen wie kurzweiligen Mischung.

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