Bücher-Tipp: Lars von Trier

Krisenerscheinungen: Zwei neue Bücher erkunden das provozierende Werk des dänischen Skandalregisseurs Lars von Trier

Nymphomaniac, Lars von Triers großangelegter Filmessay über Begehren, Sexualität und Identität, der auf persönlich-obsessive Weise die Grenzen des Arthouse-Kinos auslotete, war einer der Feuilletonaufreger des vergangenen Jahres. Das ist ein guter Anlass, sich journalistisch und wissenschaftlich mit dem dänischen Quertreiber auseinanderzusetzen. Der stets agile und geschätzte Populärkulturanalytiker Georg Seeßlen präsentiert in der Reihe »Sexual Politics« des Bertz-und-Fischer-Verlages ein bebildertes 220-Seiten-Taschenbuch über das zentrale Thema: »Lars von Trier goes Porno«. Seine Ausführungen »(Nicht nur) über Nymph()maniac erkunden das Werk des Regisseurs, seinen engen Bezug zur Pornografie (als Produzent, in früheren Filmen) sowie sein oft diskutiertes Geschlechtermodell. Die zweite Hälfte des Buches bietet dann eine ausführliche Darstellung der beiden Filme mit unzähligen Ideen, die allerdings – und das muss man wohl kritisieren – nie final zu einem schlüssigen Diskurs verdichtet werden.

Georg Seeßlen: Lars von Trier goes Porno. Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2014, 222 S., 12,90 Euro.

Den komplett konträren Weg geht der Berliner Filmwissenschaftler Andreas Jacke in seinem Opus Magnum »Krisen-Rezeption oder was Sie schon immer über Lars von Trier wissen wollten, aber bisher Jacques Derrida nicht zu fragen wagten«. Er untersucht das Werk des Ausnahmeregisseurs rückblickend von Nymphomaniac her, den er als Abschluss der »Trilogie der Depression« begreift (nach Anti-Christ und Melancholia). Überhaupt sind für Jacke Triers Filme Ausdruck von Krisen und deren kreativer Bewältigung – eine Strategie, die nicht selten »in pessimistischen Fatalismus« mündet. Trier selbst hat die Auseinandersetzung mit der Philosophie stets gesucht, und Jacke ermöglicht ihm den Austausch mit Derrida, einem weit optimistischeren ethischen Philosophen. Nach einer Einführung in Derridas Denken geht es im Hauptteil des 300-seitigen Werkes um motivische Spuren, die im Abgleich mit Derridas Ansätzen erkundet werden – von Biografischem über die frühe »Europa«-Trilogie, die »Goldherz«-Trilogie und die »USA«-Filme bis hin zum aktuellen Werk.

Jackes Vorzug ist die Kontingenz seines Verfahrens: Er erschließt Triers Werk mit einem philosophischen Diskurs, der nicht immer affirmativ zu den Filmen steht. Dabei bleibt seine Argumentation erfreulich nah an der mise en scène und bezieht zahlreiche filmhistorische Aspekte mit ein. Weniger launig als Slavoj Žižeks Filmbücher, aber ähnlich geistreich und inspirierend, richtet sich Jackes Buch an den fortgeschrittenen Cinephilen, während Seeßlens Entwurf auch dem Einsteiger in Triers Werk zugänglich sein sollte.

Andreas Jacke: Krisen-Rezeption. Königshausen & Neumann, Würzburg 2014. 314 S., 39,80 €.

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