Richard Stanley – Ein Porträt

Hexenmeister des Kinos
Richard Stanley

Richard Stanley

Er hat nur wenige Filme ­gemacht. Jahrelang war er ­abgetaucht. Jetzt erscheint ­Richard Stanleys Lovecraft-Adaption »Die Farbe aus dem All«. Und Sascha Westphal sagt, ­warum das ein Grund zur Freude ist

Die Straße gleicht einer in der Sonne liegenden Schlange. Rechts und links nichts als rötlicher Sand. Dieser Landstrich in Namibia ist ein Glutofen, in dem die Menschen lethargisch oder aggressiv werden, den Tod herbeisehnen oder sich ihm wild in die Arme werfen. Über dem Asphalt steht die Luft in Schlieren. Die sich schwarz vor dem Horizont abzeichnende Gestalt hat etwas von einer Fata Morgana. Sie wirkt mit ihrem langen Mantel und dem breitkrempigen Hut irreal. Ein Bote aus einer anderen Welt, aus einem Reich, das, wie sich in einer späteren Szene von Richard Stanleys »Dust Devil« zeigen wird, vielleicht hinter den Spiegeln liegt.

Figuren wie der »Dust Devil«, dieser dämonische Stellvertreter des Todes auf Erden, sind im Werk des 1966 im südafrikanischen Fishhook geborenen Filmemachers Richard Stanley allgegenwärtig. Sie tauchen in den frühen Musikvideos, die er für die Band Fields of the Nephilim gedreht hat, ebenso auf wie in späteren Kurzfilmen. Mal sind sie wie in seinem 1990 uraufgeführten Spielfilmdebüt »M.A.R.K. 13 – Hardware« Nebenfiguren, die aber den Gang der Ereignisse in Bewegung setzen. Mal stehen sie wie der von Robert Burke gespielte Serienkiller in »Dust Devil« im Zentrum der Erzählung. Und zumindest einmal, in »Children of the Kingdom«, Stanleys Beitrag zur Kompilation »Europe: 99 Euro-Films 2«, hat er selbst eine dieser rätselhaften Figuren gespielt, die ihre Gestalt ändern können. Sie sind Wanderer zwischen den Welten, die Stanley, wie er häufig in Interviews erwähnt, in seinen Träumen erschienen sind. Zugleich sind sie Abgesandte der Kinogeschichte.

Spätestens seit den 60er Jahren gehören Drifter, die ruhelos durch die Welt ziehen, zu den zentralen Figuren des US-amerikanischen und europäischen Genrekinos. In den Italowestern von Sergio Leone und Sergio Corbucci waren sie Ausdruck einer nihilistischen und materialistischen Sicht auf die Welt. Clint Eastwoods »Mann ohne Namen« nutzte die anarchischen Zustände im sogenannten Wilden Westen geschickt für seine Zwecke. In seinen Regiewerken hat Eastwood diese Figur wieder aufgegriffen, aber in einen religiös geprägten Kontext gestellt. Der High Plains Drifter aus »Ein Fremder ohne Namen« und der »Pale Rider« waren Rächer aus einem biblischen Schattenreich, Abgesandte eines Gottes, der die Ordnung wiederherstellen wollte. Nicht zufällig lässt der Drifter alle Häuser der kleinen Stadt rot anmalen. Es ist der Geist des Alten Testaments, der mit ihm Einzug ins Sündenbabel der Neuen Welt hält. Wie Stanleys Drifter war auch Eastwoods namenloser Fremder eine übernatürliche Erscheinung, deren menschliches Antlitz nur eine Maske war.

»No flesh shall be spared«, »Kein Fleisch soll verschont bleiben«: Dieser Satz, der einmal in »M.A.R.K. 13« fällt, stammt zwar aus einer englischen Übersetzung des Evangeliums nach Markus. Aber in Stanleys von okkulten und manichäischen Ideen geprägtem Œuvre nimmt er einen anderen, einen eher häretischen Klang an. 

»No flesh shall be spared«, das ist auch die Überzeugung all derer, die dem Glauben der 1244 von der Inquisition praktisch ausgelöschten Katharer anhängen. Einem Glauben, der die materielle Welt als eine Schöpfung Satans sieht. Der göttliche Geist ist gefangen im Fleisch, das überwunden werden muss. So gesehen ist der mörderische Cyborg in Stanleys Sci-Fi-Horror-Mash-up, das in einer postapokalyptischen Welt spielt, in der die von Krebs verseuchten und radioaktiv verstrahlten Menschen in wenigen Städten leben, eben nicht nur eine Bedrohung. Er ist auch das Werkzeug einer Macht, die sich gegen die Herrschaft des Fleisches stellt. Und so ist es zu Beginn des Films einer dieser namenlosen Drifter, der den Kopf des Cyborg in einem Minenfeld entdeckt und in die Stadt bringt, wo er schließlich in die Hände einer Künstlerin gerät, die ihn in eine Skulptur aus Schrott einbaut. Nachdem Mark 13 wieder zum Leben erwacht ist, wendet sich das Kunstwerk gegen seine eigene Schöpferin, die es nun vernichten will.

Angesichts von Stanleys fortwährenden Kämpfen mit und gegen die Filmindustrie hat diese Konstellation in »M.A.R.K. 13« fast schon etwas Prophetisches. In gut drei Jahrzehnten konnte er gerade einmal drei Spielfilme und zwei lange Dokumentationen realisieren. Nachdem die Produzenten ihn 1995 vom Set seiner Adaption von H.G. Wells' Klassiker »The Island of Dr. Moreau« gefeuert und durch John Frankenheimer ersetzt hatten, hat es beinahe 25 Jahre gedauert, bis er mit der Lovecraft-Verfilmung »Die Farbe aus dem All« (Color Out of Space) einen neuen Spielfilm drehen konnte. Aber schon die Produktions- und Verleihgeschichte von »Dust Devil« war von Reibereien, Missverständnissen und Enttäuschungen geprägt.

Als die britische Produktionsfirma Palace in den frühen 90ern von Polygram gekauft wurde, war das Schicksal von Stanleys zweitem Film praktisch besiegelt. Die neuen Bosse hatten kein Interesse an dem Film, der gerade in der Wüste Namibias gedreht wurde, und beschnitten das Budget drastisch. Nach dem Ende der Dreharbeiten war kein Geld mehr für die Postproduktion da. Das Negativmaterial und der Ton steckten bei verschiedenen Firmen fest. Parallel dazu hat Miramax, das koproduzierende US-Studio, ohne Stanleys Wissen eine eigene, rigoros gekürzte Version des Films herausgebracht, die von desaströsem Unverständnis für seine Vision zeugt. Aus der komplexen Geschichte um den afrikanischen Mythos eines dämonischen Seelenfängers wurde ein kaum nachvollziehbarer Serienkiller-Film, der von dem Erfolg von Jonathan Demmes »Schweigen der Lämmer« profitieren sollte. Es hat Jahre gedauert, bis Stanley schließlich mit eigenem Geld seinen Final Cut von »Dust Devil« anfertigen konnte, und dann hat es noch einmal Jahre gedauert, die Rechte zu klären.

In der jüngeren Filmgeschichte ist Stanleys Version von »Dust Devil« ein einzigartiges Werk. Seine magisch-okkulten Dimensionen erschließen sich erst wirklich, wenn man es im Kontext von Stanleys Dokumentationen »The Secret Glory« (2001), »The White Darkness« (2002) und »L'autre monde (2013) betrachtet. Stanley hat in den 80ern in Südafrika angefangen, Anthropologie zu studieren, und bezeichnet sich auch heute noch als Filmemacher und Anthropologe. Sein Interesse gilt dabei vor allem den Überbleibseln archaischer, vorchristlicher Religionen und Rituale. Schon in seinem ersten kurzen Dokumentarfilm »Voice of the Moon« (1990), den er während der Kampfhandlungen in Afghanistan beim Abzug der sowjetischen Truppen gedreht hat, zeigt Stanley eine Kultur, die sich über Jahrhunderte dem Einfluss westlicher wie muslimischer Strömungen weitgehend entzogen hat. In der halblangen Dokumentation »The White Darkness« bildet Stanley verschiedene Voodoo-Zeremonien ab und wirkt so den (popkulturellen) Legenden rund um diesen Glauben entgegen. »L'autre monde« ist wiederum der Versuch, eine eigene Begegnung mit dem Übernatürlichen filmisch aufzuarbeiten und so beim Publikum ein Bewusstsein für das Okkulte zu wecken. Der Film folgt dem berühmten Zitat aus Shakespeares »Hamlet«, nach dem es mehr Dinge im Himmel und auf Erde gebe, »als eure Schulweisheit sich träumt«.

Vor diesem Hintergrund eröffnet sich eine Perspektive auf Stanleys Kino, die über klassische Genrekategorien hinausgeht. So erzählt »Dust Devil« eben nicht nur von einem übernatürlichen Wesen, das rituelle Morde begeht. Die Bilder und Schnitte selbst haben einen rituellen Charakter. Stanley greift auf Überblendungen und Doppelbelichtungen zurück, die ein Tor zu einer anderen Welt öffnen. Einmal blickt die Kamera durch einen Spiegel auf Robert Burkes namenlosen Killer und fährt ein Stück zurück. Hinter dem Spiegel liegt ein schwarzer Gang in eine andere Welt. Die Bilder, die Stanley für den Dualismus von Licht und Dunkel, Geist und Körper, Gut und Böse findet, bringen unsere rationalen Erklärungsmodelle der Welt ins Wanken, wenn nicht gar zum Einsturz.

Wenn Maya Deren und Kenneth Anger statt Experimentalfilmen B-Pictures für Hollywood-Studios gedreht hätten, dann sähen sie wahrscheinlich wie »Dust Devil «oder »Mother of Toads«, Stanleys Beitrag zur Horror-Anthologie »The Theatre Bizarre«, aus. Stanley gelingt es, die Grenzen zwischen kommerziellen Genreproduktionen, experimentellen Kunstfilmen, anthropologischen Beobachtungen und magischen Ritualen konsequent zu verwischen. Mit ihrer bitterbösen Pointe ist seine freie Verfilmung von Clark Ashton Smiths Kurzgeschichte »Mother of Toads« fast schon ein Lehrbeispiel für die perfekte Dramaturgie eines Kurzfilms. Aber sie variiert nicht nur äußerst gekonnt das klassische Horror­motiv vom naiven Forscher, der in den Bannkreis des Bösen gerät und ihm schließlich zum Opfer fällt. Stanleys Kurzfilm erzählt allein durch die Schauplätze im Umland von ­Montségur auch eine Geschichte von den okkulten Strömungen, die in dieser einst von den Katharern beherrschten Region fortleben. Die Orte haben hier wie in »Dust Devil« eine magische Bedeutung, die einem auf den ersten Blick zwar entgeht, aber die Filme atmosphärisch durchdringt. Die Welt hinter den Kinobildern bleibt verborgen und ist doch immer präsent.

Mit »Color Out of Space« hat Richard Stanley nun seinen ersten reinen Horrorfilm gedreht. Seine Adaption der gleichnamigen Erzählung H. P. Lovecrafts beginnt zwar mit einem magischen Ritual, durch das die ­Teenagerin Lavinia Gardner ihre Mutter Theresa von ihrer Krebserkrankung heilen will. Doch spätestens in dem Augenblick, in dem ein Meteorit in der Nähe des abgelegenen Farmhauses einschlägt, verliert jede Form von weißer oder auch schwarzer Magie ihre Macht. Mit dem Meteoriten dringt eine außerirdische Macht in die Welt der Gardners ein, der sich keines der Familienmitglieder entziehen kann. Die »Farbe aus dem All« verändert mehr als nur die Vegetation auf der Farm, die plötzlich violett und grünlich zu strahlen beginnt. Sie bringt auch die zerstörerischsten Seiten der Menschen zum Vorschein. So wendet sich Lavinias Magie schließlich gegen sie selbst. Bei einem Ritual, das sie schützen soll, verletzt sie sich. Und ihr von Nicolas Cage gespielter Vater Nathan entpuppt sich unterm Einfluss der extraterrestrischen Farbe als cholerischer Trinker, der zwischen Apathie und Gewaltausbrüchen schwankt.

Stanley bleibt überraschend nah an Lovecrafts Erzählung. Er modernisiert sie nur sehr vorsichtig, um den kaum zu fassenden Schrecken in unserer Gegenwart zu verankern. Wie dem bahnbrechenden Autor geht es auch ihm vor allem um eine Atmosphäre schier unfassbaren Entsetzens, ein fast körperliches Gefühl des Widerwillens. In Bildern, deren irreale Schönheit – das Funkeln der Farben hat zunächst etwas Betörendes – schließlich das Grauen hervorbringt, kommt Stanley dem Lovecraft'schen Horror näher als die meisten Filmemacher, die sich bisher an dessen Erzählungen und Romanen versucht haben. Anders als Lovecraft, der in seiner Geschichte einfach nur von zerstörerischen Kräften einer außerirdischen Macht erzählt, zieht Stanley noch eine zweite Ebene ein. Im Zimmer von Lavinias Bruder Benny hängt in großen farbigen Lettern eben jener Bibelvers aus »M.A.R.K. 13 – Hardware«: »No flesh shall be spared.« Das kann man als ironisches Selbstzitat, als postmodernen Witz, verstehen. Doch dafür ist »Color Out of Space« viel zu ernst und düster. Außerdem bewahrheitet sich dieser Spruch. Denn die strahlende außerirdische Farbe verwandelt schließlich auch das Fleisch. Theresa und ihr jüngster Sohn Jack verschmelzen durch ihren Einfluss sogar zu einem Wesen, das an die Visionen eines David Cronenberg oder die Halbwesen und Monster in Stanleys »The Island of Dr. Moreau« erinnert. Wie der Cyborg »M.A.R.K. 13« ist die Farbe aus dem All ein Agent eben jener Macht, die den Geist aus dem Gefängnis des Körpers befreien will.­

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