Filme gegen Rassismus

Über Polizeigewalt, schwarzen Protest und die Logik der Bilder
»Fruitvale Station« (2013). © DCM

»Fruitvale Station« (2013). © DCM

Der Polizist, der George Floyd tötete, wusste, dass er gefilmt wurde. Er hörte die Bitten der Zeugen, von dem Mann abzulassen. Es war ihm egal. Was sagt das über eine Gesellschaft? Und wie geht man mit solchen Dokumenten um? Tim Lindemann stellt Filme vor, die sich mit der Polizeigewalt gegen Schwarze auseinandersetzen – alle aus den letzten Jahren

8 Minuten und sechsundvierzig Sekunden. Der Timecode des Videos, das den Mord an George Floyd zeigt, wurde in diesem Jahr ebenso wie die letzten Worte des Opfers –­ »I can't breathe« – zum Symbol für die brutalen Auswüchse des systemischen Rassismus in den USA und dem Rest der Welt. Acht Minuten und sechsundvierzig Sekunden verharrten Politiker, Demonstranten und Fernsehmoderatoren auf der ganzen Welt im Gedenken an die Dauer, für die Floyds Mörder, der Polizist Derek Chauvin, sein Knie auf den Hals des Afroamerikaners presste. Man kann es als ­zynisch empfinden, dass es erneut ein Video von solch unvorstellbarer ­Grausamkeit benötigte, um die realen Auswirkungen rassistischer Polizeigewalt einer breiten, weißen Öffentlichkeit verständlich zu machen. Spätestens seitdem die schwere Misshandlung Rodney Kings 1991 auf Video festgehalten wurde und die Ausstrahlung in Los Angeles für regelrechte Aufstände, riots, sorgte, scheinen weitreichende Reaktionen auf dieses gesellschaftliche Unrecht an das Auftauchen solcher Aufnahmen gebunden zu sein.

Kein Wunder also, dass sich das afroamerikanische Kino in den letzten ­Jahren intensiv sowohl mit den Auswirkungen von Polizeigewalt auf die schwarze­ Community als auch mit der problematischen Allgegenwart von Bewegtbildern, die verwundete schwarze Körper, schwarze Männer im Todeskampf zeigen, auseinandergesetzt hat. Die Videos haben einen problematischen Doppel­charakter: Zum einen legen sie Zeugnis über rassistische Unterdrückung ab, auf der anderen Seite setzen sie ihr Publikum immer wieder aufs Neue der traumatisierenden Gewalt aus. Im Nachklang der Fälle Trayvon Martin, Eric Garner und Michael Brown Jr. sowie den darauffolgenden Demonstrationen und Aufständen entstanden Filme, die Polizeigewalt gegen Schwarze in den Kontext eines gesellschaftlichen Alltagsrassismus stellen und zugleich einen selbstreflexiven Fokus auf das mediale oder unmittelbare witnessing, das »Miterleben« der Taten legen.

Man merkt diesen Filmen oft an, dass sie unter dem Druck stehen, gegenläufigen Ansprüchen gerecht zu werden. So soll afroamerikanischer Alltag einerseits nicht auf Gewalterfahrungen reduziert, die omnipräsente Bedrohung aber dennoch spürbar werden. Die Filme wollen ein schwarzes Publikum auf Augenhöhe ansprechen, aber auch nicht-schwarze Zuschauer für Rassismus sensibilisieren. Einigen jungen Filmemachern gelang das mit ihren Debüt-Spielfilmen zuletzt auf beeindruckende, wenn auch gänzlich unterschiedliche Weise. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie sich mit der Macht der Bilder auseinandersetzen – wie nähert man sich den zufälligen, heute übers Internet verbreiteten Aufnahmen rassistischer Polizeigewalt, ohne sie bloß zu reproduzieren?

Der vielleicht bekannteste und zugleich bewegendste Beitrag der letzten Jahre stammt vom »Black Panther«-­Regisseur Ryan Coogler. In seinem Spielfilmdebüt »Nächster Halt: Fruitvale Station« (2013) rekapituliert er den letzten Tag im Leben des jungen Vaters Oscar Grant ­(Michael B. Jordan), der am Silvesterabend 2009 grundlos von ­Polizisten erschossen wurde. Das Video der wirklichen Tat stellt Coogler an den Anfang seines Films, dann beginnt er mit der Vorgeschichte. So entsteht ein Meisterwerk in neorealistischer Tradition, das trotz ruhiger Bilder und knapper Laufzeit eine größtmögliche emotionale Wirkung erzeugt. Ohne übermäßig zu dramatisieren, zeigt Coogler seinen Protagonisten beim Spielen mit seiner Tochter, beim abendlichen ­Familienessen und schließlich bei den Neujahrsfeierlichkeiten kurz vor seinem Tod. Gerade weil wir wissen, was folgen wird, nehmen diese alltäglichen Vorgänge eine kaum zu ertragende Schicksalhaftigkeit an. 

So kann man »Fruitvale Station« vor allem als ­Kommentar zur Unausweichlichkeit der schwarzen Gewalt­erfahrung verstehen: Der Film porträtiert gewissermaßen einen unschuldig zum Tode Verurteilten, der noch nichts von seinem Geschick weiß. Zudem erzeugt Cooglers Film trotz seiner minimalistischen Machart ein erschütterndes Bild der rassistischen Mechanismen von Polizeigewalt: Die als gewaltbereite Gang auftretende Polizeitruppe ist zu keinem Zeitpunkt an Deeskalation interessiert. Einem hoffnungsvollen Ausklang verweigert sich der Film vehement – was bleibt, sind Trauer, Wut und Unverständnis.

»Monsters and Men« (2018), der direkt von dem Mord an Eric Garner am 17. Juli 2014 auf Staten Island – der asthmakranke Mann starb durch einen Würgegriff, chokehold, auch er rief »I can't breathe« – beeinflusst zu sein scheint, stellt ebenfalls die Entstehung eines Videos in den Mittelpunkt seiner Story. In diesem Debüt des Regisseurs Reinaldo Marcus Green entspinnen sich drei miteinander verbundene Geschichten um die Tötung des schwarzen Ladenbesitzers Big D durch Polizeibeamte. Wir folgen zunächst dem jungen Manny (Anthony Ramos), der die Tat mit seinem Handy gefilmt hat. Hier steht vor allem das moralische Dilemma des Zeugen im Vordergrund: Mit der Veröffentlichung des Handyvideos geraten Manny und seine Familie selbst in den Fokus der brutalen Cops. Es ist ein wenig unglücklich, dass der Film genau dann, als es für Manny brenzlig wird, zur Geschichte von Dennis (John David Washington) wechselt, einem schwarzen Polizisten, dem der strukturelle Rassismus der Polizei allmählich bewusst wird. 

Interessant aber ist, wie das Tatvideo zum roten ­Faden wird, der die Episoden miteinander verknüpft und zu den intensiven Szenen führt, die die letzte ­Episode dieses Triptychons ausmachen. Hier steht der Teenager Zyrick (Kelvin Harrison Jr.) im Fokus, der als hoffnungsvolles Jung­talent im Baseball kurz vor seinem großen Durchbruch steht. Als nach Big D's Tod Proteste in der Stadt ausbrechen, schließt sich Zyrick den jungen Demonstranten trotz der Warnungen seines Vaters an. Eindrücklich bebildert Green den Verlauf eines friedlichen Protestmarsches, der von der aufgepeitschten Bereitschaftspolizei mit Tränengas attackiert wird. 

Dieses visuelle Motiv greift die Regisseurin ­Melina Matsoukas mit ihrem Spielfilmdebüt »Queen & Slim« (2019) auf. Allerdings wählt sie einen ganz anderen Zugang als den kühlen Realismus von »Monsters and Men«. Matsoukas' perfekt durchgestyltes Roadmovie nimmt die alltägliche Situation der rassistischen Polizeikontrolle zum Ausgangspunkt für eine düster-romantische Gangsterfantasie à la »Bonnie und Clyde«. Als Ernest ­(Daniel Kaluuya) Angela (Jodie Turner-Smith) nach einem eher mäßigen Date zu Hause absetzen will, werden die beiden von einem aggressiven Verkehrspolizisten kontrolliert. Es kommt zu einer folgenschweren Rangelei, im Zuge derer Ernest den Cop erschießt. Nach anfänglichem Schock entschließen sich Ernest und Angela, die einander kaum kennen, gemeinsam unterzutauchen und nach Kuba zu fliehen. Ohne ihr Wissen avancieren sie während ihrer Flucht zu Ikonen des schwarzen Widerstands – das Video ihrer Konfrontation geht um die Welt und inspiriert Proteste, die brutal niedergeschlagen werden.

Matsoukas' Film wurde kontrovers rezipiert, scheint er auf den ersten Blick doch die Flucht der beiden Gangster-wider-Willen mit lässiger Musik und Videoclip-Optik zu verherrlichen. Tatsächlich aber weist »Queen & Slim« gerade mit seiner Traum-​Optik und der spekulativen Story auf die Diskrepanz zur Wirklichkeit hin: Im echten Leben erwartet die schwarzen Opfer von Polizeigewalt eben keine Fahrt in den Sonnenuntergang im schicken Cabrio – das macht das Ende des Films auch deutlich. Zudem, so argumentiert die Filmkritikerin Maya Phillips, befreie »Queen & Slim« im Gegensatz zu den meisten anderen hier genannten Filme seine schwarzen Protagonisten von der moralischen Last, dem Problem, wie mit den Bildern der Gewalt umzugehen ist. Der »Eskapismus«, die Flucht in Genreversatzstücke, dient dazu, dem endlosen Trauma der schwarzen Community entgegenzutreten und es zumindest für den Moment zu überwinden.

Der Indie-Geheimtipp »Blindspotting« (2018) stellt als einziger der Filme kein Video, aber das Mitansehen einer rassistischen Gewalttat ins Zentrum seiner Handlung. Das Debüt des Regisseurs Carlos López Estrada widmet sich dem ernsten Thema ungewöhnlicherweise mit einer Portion Humor. Angesiedelt in der kalifornischen Stadt Oakland, entwirft der Film ein sympathisches Kiez-Porträt nicht unähnlich den frühen Brooklyn-Studien von Spike Lee. Die Freunde­ Collin (Daveed Diggs) und Miles (Rafael Casal), die sich seit Kindesbeinen kennen, arbeiten hier für ein Umzugsunternehmen und erleben hautnah die Veränderungen ihrer Stadt mit: Einheimische werden zunehmend von wohlhabenden Hipstern verdrängt. Kurz vor Ablauf seiner Bewährungsstrafe wird Collin Zeuge, wie ein Polizist einem unbewaffneten Schwarzen in den Rücken schießt. Aus Angst vor den Folgen behält er die Geschichte für sich – doch die moralische Zwangslage setzt ihm immer mehr zu. 

»Blindspotting« nähert sich komplexen Themen wie Rassismus, Gentrifizierung und sozialer Ungleichheit mit vergleichsweise leichter Hand, ohne jedoch zu bagatellisieren. So eignet sich der Film trotz einiger Gewaltausbrüche durchaus als Einstieg in die Materie für jüngere Zuschauer, wird die soziale Botschaft doch mit Hip-Hop-Einlagen und humorvollen Dialogen verabreicht. Gleichzeitig gibt der Film Einblicke in das alltägliche Leben mit der Angst: Ganz beiläufig wird hier etwa gezeigt, wie schon die Jüngsten zum möglichst gefahrlosen Verhalten bei Polizeikontrollen erzogen werden müssen. 

»Whose Streets?« (2017). © Sundance Institute/Lucas Alvarado Farrar

Noch konkreter wird es in der Doku »Whose Streets?« (2017) der Filme­macherin Sabaah Folayan, die sich mit den Aufständen nach dem Mord an Michael Brown Jr. 2014 in Ferguson, Missouri, beschäftigt. »Whose Streets?« besteht zum einen aus Interviews mit den Bewohnern Fergusons, zum anderen aus Handyaufnahmen, die Aktionen der militärisch aufgerüsteten Polizei gegen die weitgehend friedlichen Proteste dokumentieren. Der Film nimmt diese Aufstände zum Ausgang seiner Betrachtungen, hat aber auch stets die alltäglichen Repressionen schwarzer US-Bürger im Blick, die letztlich auf die Sklaverei zurückgehen. Folayan verankert die Tragödie im Kontext einer Gesellschaft, in der etwa ein marodes Bildungssystem dafür sorgt, dass Afroamerikaner aus sozialen Brennpunkten oft nicht lesen und schreiben können. »Wenn du nicht lesen kannst, bist du unmündig«, sagt einer ihrer Interviewpartner.

Dadurch, dass Folayan fast ausschließlich die Bewohner Fergusons zu Wort kommen lässt, entsteht ein unmittelbares Porträt der Community, deren Solidarität und Reflektiertheit alle Anschuldigungen, es ginge den Protestlern bloß um Gewalt und Plünderungen, Lügen straft. Die zahlreichen Clips, in denen die Cops mit Tränengas und Gummigeschossen auf Demonstranten losgehen, sind umso schwerer zu ertragen. Aber Folayan gibt auch Grund zur Hoffnung. »Wir erziehen hier eine Generation von Aktivisten«, erklärt Aurellia, eine der Protagonistinnen. »Wenn es jemals Gerechtigkeit geben soll, dann müssen wir unsere Kinder dazu erziehen, dafür zu kämpfen. In ein paar Jahren wird das hoffentlich mehr sein als eine bloße Phase – ihr Lebensinhalt.« 

Den aktuellsten Kommentar zu der langen Geschichte rassistischer Gewalt und ihrer medialen Repräsentation lieferte indes Altmeister Spike Lee: Sein zweiminütiger Kurzfilm »3 Brothers« schneidet die Aufnahmen der Morde an George Floyd und Eric Garner mit einem Clip aus seinem eigenen Spielfilm »Do the Right Thing« von 1989 zusammen, in dem der fiktive Charakter Radio Raheem (Bill Nunn) von Polizisten getötet wird. Raheems Schicksal war damals wiederum beeinflusst von dem realen Mord an dem Graffitikünstler Michael Stewart im Jahr 1983. Das alle Fälle verbindende Motiv ist der chokehold, die Unterbrechung der Luftzufuhr, die bei Festnahmen zur Aufgabe oder Bewusstlosigkeit des Opfers führen soll – eine seit langem umstrittene, in manchen US-Städten verbotene und nun erst recht »emblematisch« gewordene Polizeiroutine. So macht Lee in nur zwei Minuten die scheinbar endlose Wiederholung der immer gleichen Bilder und die damit verbundenen Jahrzehnte der Trauer und Frustration deutlich. In Interviews aber gibt Lee sich optimistisch: »George Floyds Tod hat Menschen auf der ganzen Welt wachgerüttelt. Eine neue Generation kommt auf der Straße zusammen – nicht nur schwarze und braune Menschen – und sagt: Nein, nein, nein!«

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