Fessle mich! – BDSM im Film

Marcus Stiglegger über das komplizierte Verhältnis von Film und Sadomasochismus
»Secretary« (2002)

Die Bestsellerverfilmung Fifty Shades of Grey hat das Thema Bondage-Sex ins Gespräch gebracht. Das Kino hat damit schon reichlich Erfahrungen gesammelt

Sexualität und Kino verschmelzen in unterschiedlicher Form. Da wären zum einen die Filme mit Sex, in denen simulierte Sexakte als ästhetischer Schauwert dienen wie in dem Achtziger-Jahre-Klassiker 9 1/2 Wochen oder eine Form physischer Kommunikation zwischen den Charakteren stiften wie in Betty Blue, auch aus den Achtzigern. Dann gibt es Filme über Sex, in denen Sexakte als Geschäft gezeigt werden (Showgirls von Paul Verhoeven) oder als Diskursmaterial dienen, etwa in Catherine Breillats Romance von 1999 oder Lars von Triers Nymphomaniac aus dem vorletzten Jahr. Drittens kann man »erotische Filme« als eigenes Genre betrachten – in diese Kategore fallen etwa Just Jaeckins Welterfolge Emanuela (1974) und Die Geschichte der O (1975). Den schwersten Stand hat zweifellos der Hardcorefilm, der reale Sexakte meist nur in einem rudimentären Erzählrahmen präsentiert.

Betrachtet man Beispiele der ersten drei Spielarten, wird deutlich, was für eine bedeutende Rolle dem sadomasochistischen Psychodrama in erotischen Fiktionen, in der Literatur wie im Film, zukommt –  Fifty Shades of Grey ist da weder neu noch originell. Verweise auf sadomasochistische Bildwelten und Rituale finden sich seit Jahrzehnten in Filmen unterschiedlichster nationaler Herkunft, im Autoren- wie im gehobenen Publikumskino: in Der letzte Tango in Paris (1972), Maîtresse (1975), Der Käfig (1985), Lulu – Die Geschichte einer Frau (1990), Tokio Dekadenz (1992), Secretary – Womit kann ich dienen? (2002) oder Romance 2 – Anatomie einer Frau (2004).

Im Zentrum steht das sexualpsychologische Rollenspiel, das diese Filme zu einer eigenen Form der Erzählung erheben und geschlechtertheoretisch unterfüttern oder pointieren. Oft – vor allem im pornografischen Film – wird die filmische Inszenierung von Sexualität im Zusammenhang gesehen mit einer Aktivierung der männlichen Schaulust und einer »phallozentrischen«, auf Penetration fixierten Sexualität. Das Motiv des omnipotenten Mannes, der von allen Frauen, denen er begegnet, hemmungslos begehrt wird, lässt diese Inszenierungen zum Wunsch- oder Traumgeschehen werden.

Eine Rolle spielen auch patriarchale Machtstrukturen, die entweder den Mann in der eindeutig dominanten Position zeigen oder die sexuell autonome Frau als Bedrohung dieser Dominanzposition beschwören. Vor allem im amerikanischen Kino finden sich solche Szenarien, inzwischen getarnt als Erzählung weiblichen Begehrens wie in der »Shades of Grey«-Romanserie.

Transgressive Sexualität – transgressives Kino?

Wer über die sexuelle Grenzüberschreitung des Sadomasochismus nachdenkt, wird irgendwann auf die Transgressionsphilosophie des Schriftstellers Georges Bataille stoßen, der selbst eine Reihe sadomasochistischer Erzählungen – »Das obszöne Werk« – hinterlassen hat. Batailles Begriff der Transgression bezeichnet einen Zustand jenseits von Moral und ethischen Grenzen. Im Gegensatz zu Todeswunsch, Hass und Aggression sind für Bataille das einzige fruchtbare Medium der Transgression die vielfältigen Riten der Sexualität. Seine Utopie der aktiven, positiven Transgression steht in krassem Gegensatz zu den Orgien im Werk des Skandalautors Marquis de Sade, in denen der Zerstörungsrausch der »sadistischen Souveräne« zelebriert wird  – Bataille ist eher ein Vorläufer der enthemmten Körperfeier, wie sie der sexuellen Revolution der 1960er Jahre vorschwebte. Der »praktische« Sadomasochismus, der nach de Sade und dem später geborenen Kollegen Leopold von Sacher-Masoch benannt wurde, mag zwischen diesen Polen oszillieren, getragen wird er allerdings von der allseitigen Freiwilligkeit der Teilnahme an der bizarren cérémonie d’amour.

Der populäre Hollywoodfilm transportiert wenig von diesem sadomasochistischen Ritual, das von seinen intellektuellen Anhängern durchaus als »heilig« betrachtet wird. 9 1/2 Wochen von Adrian Lyne, das prominenteste Beispiel einer Ende der 1980er Jahre modischen Spielart des erotischen Films, macht die Lust an der Unterwerfung wie heute Shades of Grey zum Popereignis, zur domestizierten Farce – ganz im Gegensatz zu dem lakonischen, harten Roman von Elizabeth McNeil (»9 1/2 Weeks«, deutsch: »Neun Wochen und drei Tage«, 1978), der Lyne als Vorlage diente. Es ist aber nicht zu bestreiten, dass sich der Sadomasochismus als eher angedeutetes Phänomen seinen Platz in der Filmgeschichte längst erkämpft hat.

Die Inspiration des filmischen Sadomasochismus bleiben die klassischen Autoren der erotischen Literatur: de Sade, Pauline Réage, Henry Miller, Sacher-Masoch, Alain Robbe-Grillet und seine Ehefrau Cathérine, eine berühmte Pariser Domina, die unter dem Pseudonym Jeanne de Berg publizierte. Man kann die von de Sade inspirierten Filme in drei Kategorien einteilen: jene, die direkt Bezug auf de Sades Vermächtnis nehmen, solche, die sich eher frei des Phänomens des Sadismus annehmen, und schließlich Filme, die unterschwellig sadomasochistische Motive verarbeiten.

Einige Regisseure haben sich direkt mit de Sades Romanen auseinandergesetzt, mehrfach der Spanier Jess Franco, der in seinem kitschig-exploitativen Kostümfilm Marquis de Sade: Justine von 1969 Klaus Kinski als den Autor selbst auftreten lässt, oder Cy Endfield in seinem aufwendigen Sittengemälde De Sade (1969), in dem Keir Dullea Episoden aus dem Leben des Schriftstellers nachspielt.

Die stilistisch interessanteste direkte Sade-Adaption ist Claude Piersons Film Justine – Lustschreie hinter Klostermauern (1972), der aus dem Dilemma, dass die eigentliche Qualität von de Sades Werk in der Verwendung von Worten besteht, den Schluss zieht, den Bildern eine traumgleiche Atmosphäre zu unterlegen. So sehr Pierson Qual und Folter ästhetisiert, so sehr enthebt er sie durch die Ästhetisierung ihres naturalistischen Bezuges. Die Tragödie der tugendhaften Justine wird zum reinen, entrückten Ritual, zum Sinnbild einer Initiation ins Leiden angesichts einer radikal materialistischen Welt.

Pier Paolo Pasolini nutzte ein Werk de Sades einige Jahre später als allegorische Grundlage seiner Kritik am latenten Faschismus der italienischen Nachkriegsgesellschaft: Die 120 Tage von Sodom (1975). Auf diesen Roman hatte sich bereits der Surrealist Luis Buñuel am Ende von Das goldene Zeitalter (1930) bezogen, als er eine Jesusfigur als »einzigen Überlebenden der Orgie« auftreten ließ. Die Surrealisten bedienten sich der de Sade’schen Szenarien als eines möglichen »Traumtextes«, aber nie mit direkter politischer Implikation.

Erotik jenseits der Zensur

Mitte der 1960er, als die von der Zensur gezogenen Grenzen systematisch attackiert wurden, flammte das Interesse an den »verfemten« Büchern erneut auf. Die späten Erben des Surrealismus, die Begründer des Panik-Theaters Alejandro Jodorowsky, Roland Topor und Fernando Arrabal, nutzten Film, Theater, Literatur und Comic-Kunst, um mit sadomasochistischen Bezügen Rituale der Entfremdung und Auflehnung zu zelebrieren. Das begann mit Fando und Lis (1968), Jodorowskys assoziativer Filmcollage nach Arrabals Theaterstück, in dem sich ein in Amour fou verbundenes Pärchen auf die Suche nach der utopischen Stadt Tar begibt und verschiedene entbehrungsreiche Prüfungen durchlaufen muss. Der Schriftsteller Roland Topor schrieb in den 1980er Jahren das Drehbuch zu dem bizarren Puppenfilm Marquis (1989), in dem de Sade mit Hundekopf auftritt und mit seinem sprechenden Penis diskutiert. Zu den Nachfolgern dieser neosurrealistischen Bewegung gehört der deutsche Filmemacher Peter Fleischmann, der in seiner sexuellen Gesellschaftssatire Dorotheas Rache (1974) seine jugendliche Rebellin unter anderem in die Katakomben einer Domina führt. Eines collagenhaft-surrealen Stils bedienten sich später auch Monika Treut und Elfi Mikesch in Verführung: Die grausame Frau (1985), einer Adaption von Sacher-Masochs 1870 erschienenem emblematischem Roman »Venus im Pelz«.

Das tatsächliche Geschehen im hermetischen Reich der bezahlten Schmerzen thematisierte Barbet Schroeder in seinem Drama ­MaÎtresse (1975), in dem ein junger Einbrecher (Gérard Depardieu) von einer schönen Domina (Bulle Ogier) initiiert wird. Der Dokumentarfilm Exhibition No. 2 (1978) ließ dann sowohl »Herren« als auch »Sklaven« zu Wort kommen, doch in seiner distanzierten Haltung gelingt dem Regisseur François Davy kaum eine Annäherung an die sich ausgesprochen inhuman und unemotional gebärdende Domina. Immerhin gewährt er einen Einblick in die psychische Verfassung ihres freiwilligen Sklaven, der offen über sein Bedürfnis nach Schmerz und Demütigung spricht: Ausgerechnet seine realen Erfahrungen mit politisch motivierter Folter hätten diese Leidenschaft in ihm geweckt.

Der Modefotograf Just Jaeckin schuf 1975 den emblematischen Höhepunkt der »glücklichen Sklaverei« mit seiner Romanadaption Die Geschichte der O, einem manieristischen, vieldeutig-komplexen Filmgedicht in gleitenden, weichzeichnenden Einstellungen. Der kommerziell äußerst erfolgreiche Film mit Corinne Clery als O und Udo Kier in der Rolle des Geliebten, der die junge Frau mit ihrem Einverständnis dem dominanten Sir Stephen zur »Ausbildung« übergibt, hält sich inhaltlich zwar eng an die literarische Vorlage, kann aber nie die wahrhafte Natur der angedeuteten Schmerzen vermitteln: Während der Text von Pauline Réage sprachästhetisch immer den »Anstand« wahrt und auch erschreckendste Details in einer oft abstrakten Hochsprache beschreibt, rettet sich der Film in die schamhafte Abblende, etwa in der Szene, in der O gebrandmarkt wird.

Jenseits dieser sehr direkten Annäherung an den Sadomasochismus brachte der Drang der sechziger und siebziger Jahre zur Transgression auch subversive Elemente auf die Leinwand. Vor allem historische Stoffe dienen wie bereits in der Literatur als Medium unerfüllter erotischer Machtfantasien. Das Inquisitionsdrama Der Hexenjäger (1968) von Michael Reeves und Ken Russells auf dem antiklerikalen Roman von Aldous Huxley basierende Katholizismusgroteske Die Teufel (1971) verbanden auf oft beklemmend suggestive Weise historische Settings mit sadomasochistischen Szenarien, wobei anzumerken ist, dass in diesen Filmen der Geist de Sades von der hässlichsten, inhumansten Seite weht: Keines der hier gezeigten Opfer befindet sich freiwillig in der misslichen Lage, von der Losung »safe – sane – consensual« der realen SM-Szene keine Spur.

Die missverständlichste Adaption sadomasochistischer Szenarien für den Film lieferten die »Sadiconazista«-Filme der siebziger Jahre: Sie stellten eine direkte Verbindung zwischen sexueller Perversion und politischer Barbarei her. Nach diesem einfach strukturierten freudianischen Modell ist etwa die Welt des SS-Bordells in Salon Kitty (1976) von Tinto Brass beschaffen. Liliana Cavani inszenierte einen destruktiven Pseudo-Sadomasochismus in Der Nachtportier (1974). In diesem vom Film noir inspirierten Psychothriller trifft eine ehemalige Insassin eines Konzentrationslagers (Charlotte Rampling) nach dem Krieg ihren Peiniger und Liebhaber (Dirk Bogarde) wieder und beginnt eine sadomasochistische Beziehung, in der sich die Machtverhältnisse teilweise umkehren.

Kritik am »Sexualfaschismus«

Die historisch und sexualpsychologisch problematische Verbindung von totalitärer Politik und sadomasochistischer Veranlagung zieht sich bis heute durch unterschiedliche Diskurse. So diente sie einer feministischen Strömung der 1980er Jahre als undifferenzierter Kampfbegriff – »Sexualfaschismus« –, oft gepaart mit der Behauptung, der Sadomasochismus verherrliche Gewalt gegen Frauen. Unberücksichtigt bleibt dabei die Tatsache, dass es sich beim sadomasochistischen Akt um einen beiderseits freiwilligen handelt, was man von einer totalitären Täter-Opfer-Beziehung nicht behaupten kann. Unterschieden werden muss auch zwischen einer im Historischen angesiedelten sexuellen Fantasie und der Geschichte selbst, in der das Opfer der herrschenden Instanz auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Gerade ein Film wie Der Nachtportier zeigt beide Phänomene: zunächst das historisch verortete Zwangsverhältnis, dann den freiwilligen sexuellen Akt, in dem die Protagonistin zudem das Verhältnis umkehren kann.

Der pornografische Film der siebziger Jahre nahm sich verstärkt des Themas Sadomasochismus an: Regisseure wie Radley Metzger, José Bénazéraf oder Gerard Damiano adaptierten wildeste Visionen der – meist weiblichen – Unterwerfung. Doch ist der Begriff Pornografie in diesem Zusammenhang problematisch. Die Filmwissenschaftlerin Linda Williams unterscheidet in »Hard Core« drei Kategorien der sadomasochistischen Pornografie: den Amateur-Sadomasochismus, den sadomasochistischen Akt als eine unter vielen Nummern im gängigen Pornofilm und den ästhetischen Sadomasochismus. In der letzten Kategorie wird dem Phänomen entsprochen, dass es sich beim sadomasochistischen Psychodrama letztlich immer um eine ausgedehnte Inszenierung, ein Dominanz- und Unterwerfungsszenario handelt, das des visuellen Beweises, wie er im Amateur-Sadomasochismus erbracht wird – die gerötete, geschwollene Haut, der Blutstropfen –, nicht unbedingt bedarf. Der Moment der Bedrohung ist in diesem Kontext wichtiger als die tatsächliche Ausführung. Um einen sadomasochistischen Reiz zu entfalten, muss also die narrative Struktur in das sexuelle Szenario wieder eingeführt werden. Das Spannungsverhältnis zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen der Macht durch Unterdrückung und der Macht des Unterworfenen, insofern diese Unterwerfung freiwillig stattfindet, kann nur in einem komplexen, ausgeklügelten Szenario vermittelt werden. Im Kino haben wir es also meist mit dem ästhetischen Sadomasochismus zu tun.

Das unerfüllte Versprechen

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es nur wenigen Filmen wirklich gelungen ist, das rätselhafte Phänomen der sadomasochistischen Transgression zu ergründen. Fifty Shades of Grey wird da kein Durchbruch sein – schon die Romane rufen bloß gängige SM-Formeln ab, der Trailer wirkt modisch und kalt, und ohnehin ist diese Geschichte nicht für »Fortgeschrittene« gemacht. Effektiver sind Filme, die in analytischer Distanz um ihr Thema kreisen, um Fragmente und Facetten davon spürbar zu machen, oder aber Werke, die ein hermetisches, exklusives Areal erkunden, in dem sich die Protagonisten völlig preisgeben, wie Der Nachtportier oder Im Reich der Sinne (1976). Die positive, befreiende Utopie eines Transgressionsaktes, wie Georges Bataille ihn definierte, zeigt eher Radley Metzgers in Deutschland jüngst verbotener Film The Image (1975): Dort ist die junge Anne, die zunächst von einem dominanten Pärchen  misshandelt wird, nur eine Projektion, eine Fantasie, die sich mit der am Ende stehenden Reife des dominanten Protagonisten verflüchtigt. Das stellvertretende Objekt der Begierde verschwindet im Moment der Überschreitung – als die »Herrin« von Anne endlich selbst zur »Sklavin« werden kann.

In dem international erfolgreichen Szenario von »Shades of Grey« finden solche Metareflexionen nicht statt. Die lustvolle Unterwerfung der unsicheren jungen Frau unter den dominanten, reichen und schönen Sexpartner Christian Grey bleibt eine materialistische bürgerliche Fluchtfantasie. Die Marketingkampagne des Films mit Dakota Johnson und Jamie Dornan baut deutlicher als andere Kinovorläufer das Versprechen der Transgression, der konstruktiven Überschreitung auf. Aber die Gesellschaft, die hier geschildert wird, ist nicht die Welt für Utopien. Es ist die Welt der simulierten Erfüllung. Die Darstellung einer transgressiven Sexualität führt nicht automatisch zu einem transgressiven Kino.

Fifty Shades of Grey startet am 12. Februar und läuft als Special auf der Berlinale. Unsere Kritik folgt in Kürze.

Meinung zum Thema

Kommentare

gibt es eine Filmographie über Erotikfilme im Kino und Fernsehen?
Suche auch nach einem speziellen Film; dreht sich um junges Paar; Roadie
Zitat: "ich will dass man mich sieht"....

Könnte das nicht der Film "Mon bel amour / Töte, was du liebst" von José Pinheiro sein?

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