Die große Flut

Von Römern und Griechen haben wir langsam genug. Jetzt drängeln sich Noah und Moses ins Bild. Wie biblische Helden das Blockbusterkino beleben
"Noah" (2014)

© Niko Tavernise

Bibelgeschichten waren lange bloß Bildungsfernsehen. Jetzt kommen sie zurück ins Kino – Julia Helmke über den biblischen Helden im 21. Jahrhundert

Es muss um das Jahr 2010 a. D. gewesen sein. Kino und Fernsehserien nähern sich einander wieder an, Prequels und Sequels gelingen mal mehr, mal weniger, die Suche nach innovativen Geschichten gestaltet sich schwierig. Zielgruppen werden kleinteiliger, die Welt immer unübersichtlicher, viele Genres scheinen auserzählt. Da kommt Avatar von James Cameron in die Kinos: In 3D flattern Paradiesvögel, geschmeidige Luft- und Liebeswesen durch eine bedrohte Schöpfung, die von der Ureinheit allen Seins zeugt. Selbst der versehrte und postmoderne westliche Krieger gesundet und kehrt in den Schoß der ewigen Gottheit zurück. Von einem uralten Anfang, der uns zugleich noch bevorsteht, kündet Avatar. Für manche, die verzweifelt nach einer guten neuen Geschichte suchen, ist das eine Eingebung: Warum nicht wieder auf »Los« zurück? An den Anfang des Kinos und an den Anfang der Welt, so wie es in der jüdisch-christlichen Religions- und Kulturgeschichte überliefert ist. Und so erscheinen nach der üblichen Vorbereitungs- und Drehzeit jetzt, in diesem Jahr, mindestens zwei Großproduktionen von Regisseuren der A-Liga, die sich mit zwei alttestamentlichen Helden des Anfangs beschäftigen: Noah von Darren Aronofsky mit Russell Crowe in der Hauptrolle und Exodus von Ridley Scott mit Christian Bale als Moses. Eine weitere Verfilmung der Moses-Geschichte unter dem Titel Gods and Kings soll ebenfalls unterwegs sein; 2013 hieß es, Steven Spielberg sei bei dem Projekt von Ang Lee abgelöst worden.

Bibelverfilmungen – eine lange Tradition

Vielleicht und wahrscheinlich war es nicht nur der Erfolg von Avatar, sondern eine Eingebung komplexerer Art, die dem Regelwerk Hollywoods folgt: Alle Jahre wieder werden Geschichten mit biblischen Motiven erzählt. In der Geschichte der Literaturverfilmungen nimmt die Zahl der Bibelverfilmungen einen vorderen Platz ein. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts waren es in europäischen Produktionen zunächst Auskopplungen aus dem Neuen Testament wie die Passion Jesu, die sowohl den realistischen Stil der Gebrüder Lumière als auch frühe fantastische »Spezialeffekte« in der Tradition von George Méliès – etwa in der Überblendung von Auferstehung und Himmelfahrt – aufnahmen. Ab den 1920er Jahren überwogen dann Verfilmungen des Alten Testaments. Vor allem solche mit gefährlichen Frauen, die in der Bibel eher eine Nebenrolle spielen, im Kino aber eine oft sehr freie Ausschmückung erfuhren: Salome, Delilah, Esther.

Bei den männlichen Helden ist neben Jesus die Figur des Mose am prominentesten: Die Dramaturgie der Heldenreise, der Aufbruch ins Ungewisse, die Prüfungen, Krisen und Entscheidungen bis hin zur weltgeschichtlichen Wirkung der Zehn Gebote – an der sich Cecil B. DeMille mit mehreren Monumentalfilmen abarbeitete – erscheinen exemplarisch und fast unüberbietbar. Die Person des Noah brauchte dagegen in den früheren Verfilmungen oft eine Nebengeschichte, um einen Film tragen zu können. Beliebt war in den Kinofilmen von 1963 oder auch 1999 eine Verbindung mit der Erzählung der lasterhaften Stadt Sodom, die vernichtet wird, bevor die Sintflut waltet. Eine interessante Kombination und Interpretation, denn im Buch Genesis vergehen nach dem Tod Noahs im 9. Kapitel einige hundert aufregende Jahre – in denen etwa der Turm zu Babel gebaut wird –, bis sich die Geschichte von Abrahams Bruder Lot und seiner Frau, einer Sodomiterin, ereignet.

Das Testpublikum: ­Konservative Christen

Die Geschichte der Bibelfilme ist eng verbunden mit dem Einfluss christlicher Gruppierungen auf die Filmindustrie und Filmbewertung. Der Hays Code, der von 1930 bis 1967 die moralischen Standards der amerikanischen Filmproduktion reglementieren sollte, war immer wieder von der katholischen "Legion of Decency" für Kinoboykotte benutzt worden. Nach einer Umgruppierung der Szene ist seit den 1970er Jahren vor allem die mitgliederstarke und finanzkräftige "Catholic League" unter ähnlichen Vorzeichen im Medienbereich weiter tätig; Absicht und Stil lassen sich im Internet aktuell trefflich an den Vorwürfen gegen Stephen Frears’ Philomena – »Alles Lüge!« – ablesen. Im protestantischen Bereich setzt sich seit zwei Jahrzehnten vor allem die "Christian Film & Television Commission" für Filme mit »konservativen« Werten ein. Der nach eigenen Angaben bekannteste explizit christliche Filmkritiker Ted Baehr wird dabei nicht müde zu betonen, dass so bezeichnete Filme nicht nur die positiven Werte von Familie und Religion hochhalten, sondern auch mehr Geld einbringen würden. Kein unwichtiges Argument für eine Produktionsfirma wie Paramount Pictures, die für Noah mehr als 125 Millionen Dollar bereitgestellt hat. In diesem Fall gibt es durchaus das Interesse, das millionenschwere christliche Publikum an die Kinokassen zu bringen. Denn viele der aus europäischer Sicht als evangelikal zu bezeichnenden christlichen Kirchen und Gruppierungen sind immer noch weitgehend zurückhaltend bei dem als »liberal« bezeichneten Hollywoodkino. Sie sehen gerne Filme – und werden von Filmproduktionen biblischer Stoffe oder eben sogenannter Familienfilme bedient, die in Europa oder Deutschland nicht einmal auf den DVD-Markt kommen.

Mel Gibsons Die Passion Christi hat 2004 mit einem Einspielergebnis von 600 Millionen Dollar weltweit erstmals eine Brücke geschlagen. Die Hoffnung, diesen Coup zu wiederholen, lastet aktuell allerdings weniger auf Noah als auf dem Ende Februar 2014 in den USA gestarteten Jesus-Film Son of God, einem Zusammenschnitt aus der Emmy-nominierten History-Channel-Miniserie »The Bible«. Diese hat mit einer höchst erfolgreichen Kommunikationsstrategie, Voraufführungen in Kirchen und einhelligem Lob die Messlatte für Aronofskys Noah-Interpretation sehr hoch gehängt. Noah im Jahr 2014 ist in den USA ein Beispiel dafür, dass weniger das Ob und Wie der filmischen Interpretation einer biblischen Figur und Geschichte im Mittelpunkt steht als vielmehr die Reaktion der jüdischen und christlichen Zielgruppen darauf. Eine nicht unvorhersehbare Entwicklung, die der Regisseur selbst jedoch wohl kaum erwartet hat.

Darren Aronofsky, 1969 in einem konservativ-jüdischen Lehrerhaushalt in Brooklyn geboren, verknüpft seine eigene künstlerische Entwicklung eng mit einer Szene aus der biblischen Genesis. Mit 13 Jahren gewann er einen Gedichtwettbewerb der Vereinten Nationen zum Thema Frieden mit einem Gedicht über die Taube, die als Zeichen der Hoffnung für neues Leben auf der überfluteten Erde einen Olivenzweig im Schnabel trägt. Diese positive Wahrnehmung war für ihn Initialzündung zum Erzählen und Neuinterpretieren von Geschichten. Und wenn man Interviews zu Noah glaubt, bewegte Aronofsky spätestens seit 1998 die Idee, die Geschichte des »düsteren und komplexen Helden« Noah in Szene zu setzen.

Ein düsterer und ­komplexer Held

Eine gewisse Logik hat das, wenn man Aronofskys Arbeiten betrachtet. Bereits in seinem ersten Film, dem experimentellen Sci-Fi-Thriller Pi, geht es darum, die Welt im Innersten zu verstehen: Der geniale und paranoide Mathematiker Maximilian Cohen versucht dies anhand von Zahlen und ruft eine jüdische Splittergruppe auf den Plan, die in seinen Berechnungen einen Bibelcode der Tora vermuten. Cohen (hebräisch: Priester) endet im Wahnsinn und in der Zerstörung, nicht viel anders als die drogen- und liebessüchtigen Hauptfiguren des preisgekrönten Nachfolgefilms Requiem for a Dream nach dem Roman von Hubert Selby mit der überaus erfolgreichen Filmmelodie »Lux aeterna« von Clint Mansell, die auch gerne Trailern zu Filmen wie Der Herr der Ringe: Die zwei Türme oder The Da Vinci Code – Sakrileg unterlegt wurde. Die religiöse Konnotation dieser Musik zieht sich durch Aronofskys Werk – Mansell hat all seine Filme, bis hin zu Noah, mit hochemotionalen Scores ausgestattet.

Mit The Fountain lieferte Aronofsky 2006 eine ambivalent aufgenommene Zeitreise durch ein ganzes Jahrtausend, verbunden mit der Hoffnung auf Überwindung des Todes und dem Versprechen des ewigen Lebens (dank eines heiligen Baumes, wie in Avatar). In den preisgekrönten Filmen The Wrestler (2008) und Black Swan (2010) konzentriert sich die Betrachtung dann: auf ganz und gar irdische Charaktere, die um Lebenssinn ringen und den eigenen Körper über die Schmerzgrenze hinaus bis an den realen Tod bringen.

Und nun Noah. Eine Figur, die bestimmt ist, die Welt zu retten und zugleich ihrer Zerstörung beizuwohnen. Ein Mensch, der direkte Weisung von Gott erhält und sich dabei den eigenen Abgründen zu stellen hat. Die stehen nicht in der Bibel. Und hier könnte die Idee eines Regisseurs mit den Bildern kollidieren, die bestimmte christliche Gruppen sich von dem, was ein Film und das Kino leisten sollen, machen. Noah baut eine Arche, um der moralischen Selbstzerstörung der Menschen und der Zerstörung der natürlichen Ressourcen einen neuen Anfang entgegenzusetzen. Er ringt mit sich, er ringt mit Gott.

Zu viel Noah, zu wenig Gott?

Als Noah sich selbst überwindet, kann er – mit Hilfe seiner Familie und seines Gottes – auch die überwinden, die nicht die Welt, sondern sich selbst retten wollen. Christlichen Zuschauern enthielt eine Testversion des Films zu wenig Gottvertrauen und zu viel Noah, von jüdischen Testzuschauern gab es kaum Aussagen dazu. Dass in nachgedrehten Dialogen Zweifler noch gnädig gestimmt werden sollten, indem klargestellt wurde, dass die wichtigen Unterstützer des Archebaus, Noahs Sohn und dessen Freundin, ordentlich miteinander verheiratet sind und nicht einfach so zusammenleben, ist eine unfreiwillig komische Randnotiz.

Unkomisch und radikal ist indes die noch unbeantwortete Frage nach einem geschichtlich notwendigen Point Zero, nach einem vielleicht sogar zu erhoffenden bewussten Eingriff Gottes in diese Welt, einer Apokalypse, um »einen neuen Himmel und eine neue Erde« zu schaffen. Eine Frage, die Noah zeitgenössisch und aktuell macht, auch in theologischer Hinsicht. Die Paramount hat sich kurzerhand von so viel möglichem Mut distanziert. Noah ist kein Bibelfilm mehr, sondern bloß »inspiriert von der Bibel«; für einige arabische Staaten reicht dies immer noch aus, den Film nicht zu zeigen.

Nach so viel Aufmerksamkeit für die religiösen Gefühle des Publikums eine Vermutung: Wie reagieren wohl evangelische Christen in Deutschland auf Noah? Es wird keine geschlossenen Gemeindeabende im Kino geben und keinen Aufschrei. Evangelische Helden sind Dietrich Bonhoeffer oder Sophie Scholl, Noah gehört nicht wirklich dazu. »Zu viel Special Effects und Action« wird eine Kritik lauten, vielleicht aber gibt es auch ein freundliches Interesse an dem Film und seinem Regisseur, der es wagt, sich explizit mit dem Glauben an Gott auseinanderzusetzen und mit Gottes Wirken in dieser Welt, der Religion und Gewalt thematisiert – und deren Überwindung. Und das alles nicht in Arthouse, sondern auf der ganz großen Leinwand.

Noah startet am 3.4., Exodus soll am 25.12. anlaufen
 

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