B-Western: Showdown der gebrochenen Helden

»Die Todesschlucht von Laramie« (1956)

»Die Todesschlucht von Laramie« (1956)

Die faszinierende, unbekannte Welt des amerikanischen B-Westerns der 50er und 60er

Beim Filmfestival von Venedig hat der Western mit den neuen Filmen der Coen-Brüder und von Jacques Audiard eine kleine Renaissance erlebt. Die Liebe zu diesem Genre scheint ungebrochen. Die komplexe Geschichte des Genres, auf der auch die Venedig-Filme basieren, ist lebendig im cinephilen Alltag. Es gibr zurzeit kaum eine Filmgattung, die auf dem DVD- und Blu-ray-Markt mit so vielen Neuerscheinungen von alten, klassischen Filmen aufwarten kann wie der Western. DVD-Labels wie Koch Media, Filmjuwelen, White Pearl Classics oder Western Perlen lassen mit ihren Wiederveröffentlichungen und Neuentdeckungen von kleinen und vergessenen Western vor allem aus den 50er und frühen 60er Jahren die Geschichte des Westerns in einem neuen Licht erscheinen. Zu diesem Thema ist kürzlich auch ein Buch erschienen: Gregor Hausers »Mündungsfeuer«, eine kenntnisreiche labour of love über »Die 50 besten B-Western der 50er Jahre und ihre Stars«.

Es versetzt in Erstaunen, dass man selbst als Cinephiler beim Betrachten dieser vielen wieder zugänglichen Filme erkennen muss, dass der gute alte amerikanische Western tatsächlich ein terrain vague ist, eine geradezu unbekannte filmische Gattung. Natürlich, man kennt die großen Western von John Ford, Raoul Walsh, Howard Hawks und William A. Wellman, auch die Westernperlen von Anthony Mann, Budd Boetticher, Sam Fuller, Nicholas Ray, Jack Arnold oder Joseph H. Lewis. Aber all diese Filme, die uns häufig durch die französischen Kritiker der Autorentheorie vermittelt wurden, bilden nur die Spitze des Eisbergs. Was ist mit Westernspezialisten wie Lesley Selander, Sidney Salkow, George Sherman, Lew Landers oder Joe Kane, dem hyperaktiven Topregisseur des kleinen Republic-Studios? Was ist mit den jüngeren wagemutigen Filmemachern wie Joseph Pevney, Alan H. Miner oder Paul Wendkos? Man kann jetzt den Humus eines Genres entdecken, der die Meisterwerke erst ermöglicht hat, einen vielschichtigen Kosmos aus vitalen kleinen Filmen und größeren Produktionen, die von der Filmgeschichte verschluckt wurden. Ein neues Bild von einem traditionellen Genre entsteht dabei.

Im Folgenden werden zehn Filme vorgestellt: Sie sind nach persönlicher Vorliebe ausgewählt, aber auch nach exemplarischen Gesichtspunkten, was Regisseure, Darsteller, Themen und Stile betrifft. Zehn kleine Western, die man größtenteils als B-Western bezeichnen könnte. Aber nach dem Krieg und vor allem mit dem Aufkommen des Fernsehens sind die Grenzen zwischen A-Produktionen und B-Pictures, was Personal und Budget betrifft, durchlässiger geworden. Zehn Filme, die zwischen 1951 und 1963 in die Kinos gekommen sind, der älteste, »Der große Zug nach Santa Fé«, handelt von der Jugend, im jüngsten Film, »Stadt ohne Sheriff«, geht es um den Tod.

Die Zeitspanne von den frühen 50ern bis in die 60er ist auch bemerkenswert, weil hier auf inspirierende Weise die Stummfilmzeit auf das Fernsehzeitalter trifft. Viele der Filmemacher haben ihr Handwerk noch beim Stummfilm gelernt und arbeiteten in den 50ern mit jungen Schauspielern und neuen Produktionsmethoden, die vom Fernsehen kamen. Aus dieser Kombination resultieren eine lustvolle, ökonomische Erzählweise und eine besondere visuelle Qualität. Seriell produziert, sind die kleinen Western stets in sich geschlossen. Manchmal gleichen sie Gedichten, manchmal Romanheften, manchmal Rock-ʼnʼ-Roll-Songs. Manchmal ist gar ein Hauch von Shakespeare zu spüren in diesem großen Kino der kleinen Form. So stark kodiert wie das Tanztheater oder die Oper, verhandeln sie moralische und philosophische Fragen auch über Amerika hinaus, immer historisch und aktuell zugleich.

Die 50er Jahre in den USA, gerade auch die biedere Eisenhower-Ära, erscheinen im Spiegel dieser Western oft als eine unter der Technicolor-Oberfläche zerrissene Dekade. Der Zweite Weltkrieg und die Erfahrung des Koreakriegs hallen nach, etwa in Allan Dwans »Am Tode vorbei«, in dem die Frauen das Regime von den Männern übernommen haben, die sich im Krieg aufreiben.

Der Sezessionskrieg als erster moderner Krieg, der die USA bis heute so sehr prägt, ist häufig Sujet der Filme: der Bürgerkrieg als Ausdruck jeglicher innerer Spaltung. Die Western der 50er handeln weniger von der Eroberung der Frontier im Westen, jener geheimnisvollen Sehnsuchtsgrenze, als von internen Grenzen. Von Gegensätzen auch zwischen den Geschlechtern, den Generationen, den Traditionen.

Audie Murphy, der enigmatischste Star der kleinen Western, der so etwas wie die gebrochene Unschuld Amerikas verkörpert, war der höchstdekorierte Soldat des Zweiten Weltkriegs; der unnachahmliche Neville Brand, Darsteller von Schurken und Neurotikern, wurde ebenfalls für seine Tapferkeit im Krieg ausgezeichnet.

Es versetzt nun aber auch in Erstaunen, dass in den B-Western bei aller Zerrissenheit, bei aller unterschwelligen Düsternis, bei aller Gewalttätigkeit sich am Ende doch ein menschliches, ein schönes Amerikabild durchsetzt. Das liegt auch an den Helden, darunter manche Frau, die nicht nur Helden sind, sondern oft gebrochen, zwiespältig, zögernd. Helden, die keine einfachen Antworten kennen. In den Figuren von Joel McCrea, Jock Mahoney oder Rory Calhoun wird der Westerner in bescheidener B-Film-Manier zur äshetischen und ethischen Instanz. Diese kleinen alten Western wirken oft genug wie ein vielschichtiger und verstörender Kommentar zur gegenwärtigen Lage der USA.

»Der Große Zug nach Santa Fé«

Ein pädagogischer Western, inspiriert von Rudyard Kiplings berühmtem Roman »Captains Courageous«. Die éducation sentimentale des verwöhnten Sprosses eines Eisenbahnmagnaten durch einen rauen, anständigen Cowboy während eines Viehzugs gen Westen. Das weite Land des Südwestens tritt an die Stelle des Meeres in Kiplings Roman. In der Wildnis lernt der verzogene Schnösel und angehende Kapitalist Fairness, Ehrlichkeit und Geduld, und er erfährt die relative Wertlosigkeit des Geldes. Ein reiner Männerwestern ist das, in dem es um den Zusammenhalt einer Mannschaft geht.

Kurt Neumann hat den Film für die Universal gedreht: in einem stilisierten Technicolor, das die Natürlichkeit einzufangen sucht. Der aus Deutschland stammende Neumann ist hauptsächlich bekannt für seine Tarzanfilme und »Die Fliege« , Filme, die von artifizieller Naturerfahrung handeln. In den 50ern hat Neumann gelegentlich Abstecher ins deutsche Kino gemacht, etwa mit dem Zirkusmelo »Die Drei vom Varieté«.

In »Der große Zug nach Santa Fé« gibt Dean Stockwell beeindruckend den verlorenen Sohn, später hat er eine lange Karriere gemacht und bei Lynch und Wenders gespielt. Für den Cowboy, den sich jeder Junge wohl als Vater wünscht, weil er engagiert, ernsthaft und doch lässig erzieht, konnte es nur einen Darsteller geben: Joel McCrea, den Westerndarsteller par excellence. In den 30er und 40er Jahren war McCrea ein Star in Horrorfilmen, Melos und Komödien, von Preston Sturges etwa. Nach dem Krieg hat er eigentlich nur noch Western gemacht. Seine berühmte Sterbeszene in Peckinpahs »Sacramento« markiert das Ende des klassischen Westerns.

»Am Tode vorbei«

Ein unglaublicher Frauenwestern, in eine Reihe zu stellen mit Nicholas Rays »Johnny Guitar« oder Lina Wertmüllers »Mein Körper für ein Pokerspiel«. Ein actiongeladenes Americana über den harten Konkurrenzkampf unter Frauen, aber auch über eine starke weibliche Solidarität. Der Film spielt während des Sezessionskriegs in Border City, einer Stadt genau an der Grenze zwischen den Nordstaaten und der Konföderation. Ein Ort auf Messers Schneide, in dem ein seltsames, auch gewalttätiges Matriarchat in Person einer matronenhaften Bürgermeisterin für Ordnung sorgt.

»Am Tode vorbei« wurde in rasantem Schwarz-Weiß von Allan Dwan für Republic inszeniert. Dwan gehört neben John Ford, Henry King, Raoul Walsh und Victor Fleming zu den Pionieren und Meistern des amerikanischen Kinos. Von 1914 bis Anfang der 60er Jahre hat er als Regisseur gearbeitet und vitale, selbstsichere, aber stets unaufdringliche Filme über das Wesen Amerikas gedreht.

Joan Leslie spielt die Heldin des Films. Als sie nach Border City kommt und den Saloon ihres Bruders übernimmt, wandelt sie sich schnell vom braven Mädchen zum tough girl. Zu ihren erbitterten Gegenspielerinnen zählt Kate, die Frau des legendä­ren Guerillakämpfers Quantrill. Audrey Totter, ein Star des Film noir, gibt diese Kate als glamouröse Furie in Lederjeans und mit streng zurückgekämmtem Platinhaar. Eine beinahe monströse Frau, die verzweifelt um Selbstbestimmung ringt. In den Duellen zwischen Leslie und Totter werden die Aggressivität und zugleich Verletzlichkeit der beiden Frauen offenbar. Besonders schön ist, wie Dwan das Zusammengehörigkeitsgefühl von Joan Leslie und ihren Bardamen zeigt. Die Männer bleiben blass und tragisch in Border City, einem Ort auch an der Grenze zwischen den Geschlechtern.

»Jack Slade kehrt zurück«

Ein Western über jugendliche Rebellen, über eine verlorene amerikanische Jugend. Anarchistisch, alkoholsüchtig und orientierungslos erscheint diese neue Generation, die sich schwertut mit der Leistung, aber auch der Schuld der Väter, die als gewalttätige Pioniere den Westen erobert haben. Von den autoritären Alten werden die Jungen vernachlässigt oder ausgebeutet. Der Film beginnt mit einer aberwitzigen Geschichtsstunde, in der der blutjunge Titelheld einem tumben, blutleeren Professor das Geschichtsbuch aus der Hand schießt.

»Jack Slade kehrt zurück« wurde in plastischen Schwarz-Weiß-Bildern und mit großem Drive von Harold Schuster inszeniert, der seine lange Karriere als Cutter begonnen hat; er wirkte etwa beim Schnitt von Murnaus »Sunrise« mit. Später hat Schuster viele TV-Serienepisoden gedreht. »Jack Slade kehrt zurück« ist ein Sequel zu dem ebenfalls von Schuster inszenierten »Jack Slade« von 1953.

Jon Ericson, bekannt als Barbara Stanwycks jüngerer Bruder in Samuel Fullers »40 Gewehre«, spielt den jungen Slade, der in die Fußstapfen seines verstorbenen Gunfighter-Vaters aus dem Vorläufer tritt. Der Youngster wird von der Detektei Pinkerton als Undercover-Mann bei einer Bande junger Eisenbahnräuber eingeschleust. Diese Bande, zu der auch rebellische Girls gehören, darunter die großartige junge Angie Dickinson, wirkt wie eine Rockergang à la Hell's Angels. Der Wildeste und Fieseste wird von Neville Brand verkörpert: ein Monster, aus den Zeitumständen geboren. Der verunsicherte Slade steht bald zwischen allen Fronten, zumal er sich auch noch in ein Outlaw-Girl verliebt hat. Das ziemlich schmerzliche Ende, das in einer felsigen Seelenlandschaft spielt, zeigt die beiden Liebenden in einer staubigen Wildwest-Amour-fou vereint.

»Die Todesschlucht von Laramie«

Ein grimmiger Western aus dem Hause Republic, ein Postkutschenfilm, natürlich inspiriert von Fords Stagecoach. In einem schäbigen Städtchen kommt zufällig eine Gruppe Reisender zusammen, darunter ein zynischer Bankräuber und ein seltsamer Bankangestellter, ein Politiker, ein Säufer und ein Showgirl, alle enttäuscht vom Leben im Westen und vom amerikanischen Traum. Vielleicht ahnen diese dubiosen Gestalten auch, dass sie sich zu einer letzten Reise aufmachen.

»Die Todesschlucht von Laramie« ist ein Film in Trucolor, Republics eigenem Farbverfahren, das an die Farbcover alter Paperbacks erinnert und hier besonders das dunkelrote Kleid des von Linda Darnell gespielten Showgirls als letztes Signal von Vitalität in einem öden Amerika hervorhebt. Regisseur Lewis Foster hat seine Laufbahn bei den Slapstick-Produktionen von Hal Roach begonnen, die Story zu Capras »Mr. Smith Goes to Washington« geliefert und als Regisseur Americana und Exotica gedreht.

Das Ensemble der Verzweiflung, das Foster hier präsentiert, führt der verlässliche Westernstar Dale Robertson an, der vor allem durch die TV-Serie »Wells Fargo« bekannt wurde. Sein enttäuschter Gun­fighter ist natürlich ein Mann der Tat, im Gegensatz zu einem aufgeblasenen Senator, der phrasenhaft Pazifismus predigt. Als die Kutsche von Indianern überfallen wird, beginnt ein langer Todeskampf für die Reisenden. Lewis Fosters genialer Trick ist es nun, all diesen unsympathischen und lächerlichen Menschen Anstand und Würde wiederzugeben im Sterben. Am Ende hellt sich das düstere Menschenbild auf, als die Worte des Politikers unerwartet von Taten untermauert werden.

»Der schwarze Mustang«

Gleichsam das wilde amerikanische Genregegenstück zu einem Ingmar-Bergman-Film. Ein symbolischer Western über Körperlichkeit und Seelenheil, Spiritualität und das Animalische im Menschen. Ein junger Bankräuber sucht Zuflucht auf einer abgelegenen Farm, die von einem Pastor, seinem kleinen Sohn und seiner zweiten Frau, der jungen, attraktiven Peggy, bewohnt wird. Auf dem Farmgelände steht zeichenhaft eine fragile, noch im Rohbau befindliche Kirche. Als Symbol für das Animalische fungiert ein schöner schwarzer Mustang namens Lucifer, der einmal wie eine Bestie unterdrückter Sexualität auf die verunsicherte Peggy losgeht.

»Der schwarze Mustang« wurde von William Witney, einem Lieblingsregisseur von Quentin Tarantino, in einem düster-sinnlichen Schwarz-Weiß inszeniert. Witney hat in den 30er und 40er Jahren die besten Serials Hollywoods gemacht, in den 50ern und 60ern drehte er ziemlich moderne Exploitationfilme. Der schöne, reißerische Originaltitel dieses Westerns verquickt Psychoanalyse und Melodram.

Den kriminellen Fremden spielt Skip Homeier, der als der Mann, der Gregory Peck erschoss – in »Der Scharfschütze« – in die Filmgeschichte einging. Mit Homeier als eleganter Outlaw und McDonald Carey als protestantischer Pfarrer stehen sich hier zwei obsessive amerikanische Archetypen gegenüber. Wobei der Pastor bei aller sympathischen Ausstrahlung noch weiter geht als der Bankräuber. Immer wieder provoziert er Situationen, um gerade auch seine junge Frau zu prüfen. Das Ende, eine last minute rescue der Seele von Skip Homeier, ist atemberaubend und herzzreißend in Szene gesetzt. Ein kleines Meisterwerk des amerikanischen Kinos.

»Schüsse peitschen durch die Nacht«

Ein psychoanalytischer Western. Nach dem Ende des Bürgerkriegs kehrt ein totgeglaubter, schwer traumatisierter Konföderierten-Offizier in seine Heimatstadt zurück, die sein Jugendfreund mit schmutzigen Geschäften beherrscht. Der Freund, dem nach einem Unfall ein Arm amputiert worden war, ist zudem im Begriff, die ehemalige Braut des Heimkehrers zu heiraten. Die Versehrtheit der Psychen spiegelt sich in der zerstörten Körperlichkeit. Der in melodramatischem Technicolor gedrehte emotionale Western erzählt seine Dreiecksgeschichte in stilisierten Spiegelungen, die selbst Douglas Sirk erstaunt hätten.

Den Regisseur Charles Haas kann man gewiss als intellektuellen Filmemacher bezeichnen; er hatte in Harvard studiert und schrieb 1948 das Drehbuch zu Frank Borzages legendärem »Moonrise«. Nach einigen Universal-Western drehte Haas mit »Beat Generation« einen Halbstarkenfilm zwischen Exploitation und Existenzialismus. Die Hauptrolle des schuldbewussten, innerlich amputierten Heimkehrers spielt Jock Mahoney, der Supersportler, Stuntman, Errol-Flynn-Double, Tarzan und ­Yancy-Derringer-Darsteller war. Der fast zwei Meter große Mahoney wirkt hier fast fragil. Die gerade Körperhaltung verbirgt seinen im Krieg gebrochenen Charakter. Gegen alle inneren und äußeren Widerstände versucht er, die soziale und sexuelle Ordnung wiederherzustellen. Ein Westernheld gegen alle Chancen: angeschlagen und doch elegant, tatkräftig und doch verhalten, traurig und gerade deshalb schön. Der Revolver ist ihm im Krieg verhasst geworden. Wie ein trockener Alkoholiker meidet er die Waffe als Suchtmittel der Gewalt.

»Flucht vor dem Galgen« 

Ein Western mit Film-noir-Touch, der mit einer irrwitzigen Einstellung beginnt. Morgengrauen in einem mexikanischen Kaff. Die Kamera schwenkt vom Himmel herab, ein Galgen kommt ins Bild. Aus dem Off erklingt eine Frauenstimme: In der Stadt werde es eine Hinrichtung geben, zum ersten Mal in der Geschichte von Texas würde eine Frau gehenkt. Dann ein Schnitt ins Gefängnis, in dem Anne Francis einsitzt. Dazu die Offstimme: »Diese Frau bin ich.«

Der Schwarz-Weiß-Western handelt von Weite und Gefangenschaft – in Cinemascope; Regisseur Nazarro, dessen Filmografie über 70 Titel umfasst, war ein inspirierter Profi und Stilist des Genres. Seine Karriere hat er in den 60ern in Europa beendet.

Anne Francis, ein stets etwas trotzig und fremdartig wirkender Star der 50er und 60er, bekannt aus »Blackboard ­Jungle« und »Forbidden Planet«, spielt die junge Ellen, die im Knast sitzt, weil sie ihren Ehemann getötet haben soll. Sie ist in jeder Hinsicht eine Gefangene. Eine Gefangene verschiedener Familien, eine Gefangene auch der Liebe unterschiedlicher Männer. Sie kommt schnell heraus aus der Todeszelle, aber die Befreiung führt in ein Leben ohne Ausweg. Ein angeheuerter Gun­fighter – Rory Calhoun – soll Ellen wieder nach Texas bringen, wo immer noch der Galgen auf sie wartet. Der Westerner ist selbst auf der Flucht vor den geschäftlichen und moralischen Zwängen der Rancher. Auf dem beinahe sadomasochistischen Ritt der beiden entsteht so etwas wie eine Ahnung von Wahrheit, von Liebe, von Freiheit.

»Der Henker«

Die Geschichte eines verbitterten Helden, des scheinbar letzten gerechten Menschen im Wilden Westen. Er muss erkennen, dass nur er einen düsteren, beinahe bösen Charakterzug hat, während sich all die Schurken und verdächtigen Typen als wahrlich gute Menschen entpuppen, als Heilige geradezu. Die Geschichte auch eines alternden Mannes, der eine zweite Chance erhält durch die Liebe einer jungen Soldaten­witwe.

»Der Henker« ist ein später Western von Michael Curtiz, in einem fast analytischen Schwarz-Weiß gedreht als moralisches Experiment. Ein schönes, ironisches und erotisches Nebenwerk im weit über 100 Filme umfassenden Œu­v­re des Kino-Maniacs Curtiz, der bei Warner in den 30ern und 40ern zu den Topleuten gehörte, »Casablanca« inszeniert und wirklich mit jedem Star von Errol Flynn bis Elvis Presley gearbeitet hat.

Robert Taylor spielt die Rolle des grimmigen Marshalls Bovard, der in einer modellhaft wirkenden Kleinstadt die Identität eines jungen Burschen festzustellen sucht, der einmal aus widrigen Umständen auf die schiefe Bahn geraten ist. Neben Taylor spielt eine Riege junger Schauspieler, die vor allem im Fernsehen reüssieren sollten: Jack Lord als Gejagter, der lässige Fess Parker als lokaler Sheriff mit einer geradezu coolen Vorstellung von Gerechtigkeit und die atemberaubende Tina Louise als ärmliche, aber ungemein sinnliche Witwe, eine amerikanische Variante der Heldinnen des Neorealismus. Der immer auch sozialkritische Curtiz stellt ein sympathisches und subversives Proletariat des Westens dar, das manchmal an die Emigrantengemeinde von »Casablanca« erinnert.

»Der eiserne Kragen«

Ein seltsamer, beinahe bizarrer Western der körperlichen und innerlichen Folter. Unfassbar: das real spürbare, aber freilich auch metaphorisch zu verstehende Bild des eisernen Kragens. Dabei handelt es sich um ein massives Metallband, das um den Hals eines Gefangenen gelegt wird. Das Band ist über eine schwere Kette mit einem wuchtigen Pfahl verbunden, der auf dem Hauptplatz eines dreckigen Westernkaffs steht: als Gefängnisersatz und Pranger. An diesem Marterpfahl der weißen Zivilisation landen nach einer Saloonschlägerei zwei beste Freunde, der naiv-unschuldige Cowboy Foster (Audie Murphy) und der draufgängerische Pferdedoktor Bert (Charles Drake). Ihre Freundschaftsbande [sic!] werden bald auf eine harte Probe gestellt von dem Outlaw Lavalle, einem genial-bösen Advocatus Diaboli des Westens, in dessen Gewalt sie landen. »Der eiserne Kragen« erzählt auch vom Schmerz, den gerade Vertrauen und Ideale schaffen können.

Den düster spektakulären Audie-Murphy-Film, den man Samuel Beckett oder Sam Peckinpah zutrauen könnte, hat tatsächlich R. G. Springsteen in einem äußerst »staubigen« Schwarz-Weiß inszeniert. Springsteen, seit 1945 ein vielbeschäftigter Routinier des Westerns, gilt als recht unscheinbarer Filmemacher. Dabei taucht in seiner Filmografie noch ein weiterer bizarrer Titel auf: »Operation Eichmann« von 1961. Das Drehbuch zu »Der eiserne Kragen« schrieb ein gewisser Bronson Howitzer, ein Pseudonym des Literaten Ric Hardman.

Audie Murphy, dieser genuin amerikanische, absolut tödliche Unschuldsengel, kämpft hier gewissermaßen gegen Dämonen. Er setzt sich gegen die in der Wüste allgegenwärtigen Schurken von Lavalles Bande zur Wehr. Und er ringt um die Freundschaft zu seinem Kumpel und die Liebe zu einer idealen Frau, die sich als zweifelhaftes Wesen entpuppt. Manchmal glaub man, Audie Murphy trage einen unsichtbaren eisernen Kragen.

»Stadt ohne Sheriff«

Ein kurzer Film über die Liebe, ein kurzer Film über das Sterben, ein kurzer Film vor allem über die Sehnsucht, ein anderer zu sein. »Stadt ohne Sheriff« ist einer der unglaublichsten Filme des kommerziellen Kinos. Nach einem eher konventionellen Beginn wird dieser surreale Sixties-Western zu einem poppsychedelischen Todestrip. Gewiss auch ein kurzer Film über den Tod des klassischen Kinos zu Beginn der 60er.

»Stadt ohne Sheriff«, Farbe: melancholisch, ist der letzte Film von Edward Ludwig; er kam erst nach dem Tod des Regisseurs in die Kinos. Ludwig, in Russland geboren, seit der Stummfilmzeit im Hollywoodgeschäft, ist ein großer, unbekannter Poet des Genrekinos. Mit dem jungen John Wayne hat er den bemerkenswerten »Wake of the Red Witch« gemacht, manche seiner Filme haben so träumerische Titel wie »Sangaree« oder »Jivaro«.

Einen träumerischen Popnamen trägt der Hauptdarsteller von »Stadt ohne Sheriff«: Roy Calhoun, Star unzähliger kleiner Western, aber auch italienischer Monumentalfilme. In Otto Premingers »Fluss ­ohne Wiederkehr« gab er den Schurken. Er hätte durchaus mit seiner überbordenden Männlichkeit ein Warhol-Superstar werden können.

Calhoun spielt in Ludwigs Film den heimlichen und gerechten Herrscher eines verborgenen Ortes, des zwischen Felswänden versteckten Städtchens Sanctuary, das wie »Rancho Notorious« von Fritz Lang den Ausgestoßenen des Westens Zuflucht gewährt. Sanctuary ist ein Ort wie aus der Twilight Zone, südlich und morbide, Paradies und Asyl zugleich, ein ganz und gar alternativer Ort, vielleicht an der Grenze zwischen Diesseits und Jenseits gelegen. Calhoun, innerlich verletzt von einer Kugel aus der Vergangenheit, liebt in seinem Todeskampf sowohl eine junge Frau als auch einen jungen Rock-'n'-Roll-Gunfighter, dem er in Cowboymanier eine letzte Lektion ­erteilt.

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