Duisburger Filmwoche 2025

»Elbows in Shatters« (2025). © Danila Lipatov

»Elbows in Shatters« (2025). © Danila Lipatov

Die Duisburger Filmwoche erlebt ungewohnt große Aufmerksamkeit: Zwischen Stadtbild-Debatte, spannenden Dokumentarfilmen und intensiven Publikumsgesprächen zeigt das Festival seine besondere kulturelle Kraft

So viel mediale Aufmerksamkeit wie dieses Jahr gab es für die Duisburger Filmwoche lange nicht. Das war neben dem Einsatz der entsprechenden Journalisten für die Berichterstattung wohl auch der aktuellen Stadtbild-Debatte zu verdanken, die so neben viel Unmut mit einem Aufmerksamkeitsschub für die kriselnden Städte des Ruhrgebiets auch Positives bewirkt. Besonders der Deutschlandfunk hat in mehreren Sendungen (darunter auch live aus dem Ü-Wagen) vom Kino »filmforum« am Duisburger Dellplatz berichtet, wo parallel zum Wettbewerb der Duisburger Filmwoche selbst mit »doxs!« auch ein eigenständiges Fest mit Dokumentarfilmen für Kinder und Jugendliche im kleinen Saal stattfindet.

Die Duisburger Filmwoche selbst – dies zur Erinnerung – ist in ihrem Konzept seit Gründung 1977 linear. Das heißt, es gibt nur einen Kinosaal, in dem jeder Film einmal gezeigt wird. Und – das schon oft beschriebene Duisburger Alleinstellungsmerkmal – zwischen den einzelnen Vorstellungen wird so viel Zeit gewährt (jeweils eine Stunde), dass statt den üblichen Q&As ein ausführliches Filmgespräch in einem Extra-Raum stattfinden kann, das auch schriftlich protokolliert wird. So könnte jede oder jeder prinzipiell alles gesehen haben, was zum gemeinsamen Räsonieren präpariert. Zusätzlich entfällt so die Pflicht, sich zur individuellen Programmplanung vorab im Katalog zu informieren – so dass man sich einfach ohne Vorwissen von Film zu Film treiben lassen kann.

Das Filmprogramm (dieses Jahr 22 Wettbewerbs-Filme) wird von einer fünfjährigen Kommission um Festivalleiter Alexander Scholz aus den Jahresproduktionen von Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammengestellt, vor meist (mit Fachpublikum) prall gefülltem Saal gezeigt und von mehreren Jurys begutachtet. Als Bonus gibt es thematische Specials: Dieses Jahr eine Präsentation zur Musik im Dokumentarfilm zwischen emotionalem Resonanzraum und Reibungsfläche. Eine andere lebhaft besuchte Veranstaltung widmete sich der oft in Selbstausbeutung mündenden prekären Arbeitssituation der im Dokumentarfilm-Bereich und im Festival-Sektor Beschäftigten. Arbeitskämpfe sind hier wegen der Solidarität der Betroffenen mit den Veranstaltern als ihren Arbeitgebern kaum möglich. So bleibt stärkere Vernetzung die – schon begonnene – Aufgabe. Und permanente Arbeit daran, die Kultur von der fakultativen zur Pflichtaufgabe kommunaler Haushalte zu machen.

Bei der Filmauswahl fiel auf, dass die großen Verstörungen der Gegenwart nur in sehr indirekter Weise in den Arbeiten auftauchen: Symptomatisch der in Kaliningrad gedrehte »Knife in the Heart of Europe« von Artem Terent'ev, der in seinen irrlichternden Bildern persönliche Verluste und nahen Krieg nur als Abwesenheit auftreten lässt. »Soldaten des Lichts« (Regie: Julian Vogel, Johannes Büttner) mischt das Thema Rechtsextremismus aus der Peripherie einer Sekte von Orthorektie-Influencern und Krisen-Gewinnlern auf. Und Kamal Aljafaris »With Hasan in Gaza« bekommt seine Bedeutung aus den Zeit- und Perspektiv-Verschiebungen, weil das 1991 im Gaza-Streifen gedrehte und vergessene Filmmaterial erst jetzt kaum geschnitten auf die Leinwand kommt.

In diesem Zusammenhang ist auffällig, dass sich die Jurys durchgängig auf Filme einigen konnten, die recht konkret Perspektiven auf gelingendes menschliches Zusammenleben verhandeln. So spricht die ARTE-Jury in ihrer Begründung für den ex aequo an zwei Filme vergebenen Preis explizit das Thema Gemeinschaft als deren verbindendes Element an. »Elbows in Shatters« von Danila Lipatov versammelt in langen Tableaus Szenen einer Gruppe junger FreundInnen im tadschikischen Duschanbe, die mit Musik, Mode und Kunst den Vorgaben des Systems trotzen. Dabei platziert sich die Kamera öfters an der Peripherie des »eigentlichen« Geschehens, wenn etwa bei einer pompösen Hochzeit ein DJ im Bild ist, der sich in einer Arbeitspause am Rand der großen Festtafel ein paar Bröckchen einverleibt. »Holler for Service« (Regie: Ole Elfenkaemper und Kathrin Seward) begleitet die junge Kellie in ihrem Hardware-Shop in den US-Südstaaten, der sich im Lauf des Films vom scheinbaren Rumpelschuppen in einen Hort fürsorglicher Begegnungen und gegenseitiger Hilfe verwandelt. Ein Kammerspiel, das aus der hassträchtigen Ausgrenzeritis des MAGA-Umfelds mitten im Trump-Herzland eine Insel integrativer Selbstermächtigung schafft.

Der 3sat-Dokumentarfilmpreis ging mit breiter Zustimmung an »Palliativstation« von Philipp Döring, der uns in vier Stunden tief in den Alltag eines Berliner Krankenhauses und der dortigen Menschen eintauchen lässt. Von einem »offenen Raum zwischen Zumuten und Zutrauen« spricht die Jury-Begründung, »vier Stunden voller Bekanntschaften. Aber auch voller Ambivalenzen im Dokumentieren und Erleben individueller Grenzerfahrungen.«
Gleich doppelt ausgezeichnet (Preis der Stadt Duisburg und Publikumspreis) wurde Suse Itzels »Ich hätte lieber einen anderen Film gemacht«, der sich in einer vielschichtig animierten und sehr präzise getexteten »Projektion« mit der Bewältigung der Erfahrung sexualisierter Gewalt durch den eigenen Vater und einer späteren Therapie beschäftigt. Eindringlich starke dreißig Minuten für das Publikum, für die Filmemacherin neben viel Arbeit auch ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer vielleicht nie kommenden Heilung.

Auffällig war die schwache Besetzung schweizerischer Positionen in Duisburg, wobei zu klären wäre, ob dies einem Mangel geeigneter Filme oder der Auswahlpolitik zuzuschreiben ist. Offen Kritik an dieser kam auf, nachdem Kommissionsmitglied Patrick Holzapfel vor der Vorführung von Fabrice Aragnos »Le Lac« im wörtlichen Sinn atmosphärisch (Sturm und Gewitter!) überwältigenden Film um ein Mann-Frau-Paar im Segelboot das Publikum bat, beim anschließenden Gespräch bitte nicht den (offensichtlichen) Spielfilmstatus des Films zu thematisieren. Das gelang selbstverständlich schon aus Trotz gegen solche Vorgaben nicht. Dennoch wurden die auch durch die sexistische Konstruktion des Films aufgeworfenen inhaltlichen Fragen durch technische Fachsimpelei wortreich »umsprochen«.

Eine grandiose Idee ist – trotz des dubiosen Namens – sicherlich die neue Sektion »Duisburger Klassik«, wo Jugendliche der Große-Klappe-Jugendjury Filme aus ehemaligen Festival-Jahrgängen auswählen und präsentieren. In diesem Jahr waren das mit Volko Kamenskys »Divina Obsesión« und »B224« von Rainer Komers zwei Arbeiten, die sich – auf ganz unterschiedliche Weise – strukturell und ohne Dialog urbanen Landschaften widmen. Nicht ganz ein Jugendthema! Höchst unterhaltsam auch, wie die drei Nachwuchs-Kuratorinnen bei der fachkundigen Befragung der beiden Opas auf dem Podium perfekte Bewerbungs-Billets für eine Karriere im (unterbezahlten!) Festivalgeschäft hinlegten. Sonst lieferte »doxs!« mit dem Besuch ganzer Schulklassen zu Film und lebendigem Gespräch im »filmforum« wohl die zukunftsträchtigste Rückbindung des Festivals in die Stadt Duisburg, die die Filmwoche seit einigen Jahren mit zweieinhalb festen Stellen auch nachhaltig unterstützt.

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