Morgen: Ein Jahrhundertschauspieler
"The Room Next Door", der mich im letzten Herbst so tief enttäuschte, war doch für etwas gut. Der dankenswerte Moment kommt früh in Almodóvars Film, als Tilda Swinton in einer Buchhandlung ein Titel ins Auge fällt: "Erotic Vagrancy". Den Ausdruck habe sie immer gemocht, erklärt sie Julianne Moore und nimmt ein Exemplar vom Stapel. Die Anziehungskraft des Titels begreift man augenblicklich, aber wie erklärt sich das "immer" ? Weiß Swinton, dass diese erotische Landstreicherei eine Erfindung des Vatikans war?
Sie war 1962 als Bezichtigung gemeint und sollte die ehebrecherischen Stars von "Cleopatra" als Bannstrahl treffen. Kurz nachdem sie im Januar in Cinecittà ihre erste gemeinsamen Szene gedreht hatten, entbrannte zwischen Elizabeth Taylor und Richard Burton eine Leidenschaft, die so monumental werden sollte wie der Film selbst. Sie ging wie eine Schockwelle durch die Boulevardblätter der Welt, recht eigentlich wie eine Kaskade der Schockwellen, denn die Romanze hielt die Öffentlichkeit gut zwei Jahrzehnte lang in Atem: Gleich zweimal ließen sie sich scheiden und kamen immer noch nicht von einander los. Sagen Sie jetzt bloß nicht, die Zwei seien die Bennifer ihrer Zeit gewesen! Das wäre so, als vergleiche man Nachahmer mit den Erfindern und es würde den Gipfel von Glamour, Sexappeal und Skandal, die Taylor-Burton erklommen, nicht im Mindesten gerecht.
Roger Lewis, der das Buch mit dem unwiderstehlichen Titel geschrieben hat, ist ganz berauscht von der Strahlkraft dieser Allianz. Er wird nicht müde, jeder ihrer Ebenen zu erkunden, zu denen auch die Oberflächlichkeit gehört. Die Vulgarität, mit der das Paar ihre Beziehung öffentlich zelebrierte, war meisterlich. Er überhäufte sie mit Juwelen, die mitunter mehr kosteten, als einige ihrer Filme einspielten. Ihr Lebensstil war präzedenzlos, geradezu obszön verschwenderisch. Die Zwei waren außerstande, ein normales Leben zu führen, verkehrten bald nur noch mit Königshäusern, Geldadel und Machthabern wie ihrem Freund Tito, den Burton in "Die Fünfte Offensive" gespielt hatte. Das nahm irgendwann tragische Züge an. Sie besaßen Wohnsitze auf mehreren Kontinenten, aber kein Zuhause. Lewis betrachtet ihre turbulente Existenz als ein Romantiker, der zugleich Analytiker sein will. In ihren gemeinsamen Filmen, darunter "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?","„...die alles begehren" , "Brandung" und "Der Widerspenstigen Zähmung" , entdeckt er Reflexe einer Doppelbiographie, die sich in Heftigkeit, Abscheu und Zerfleischung erfüllt. Der Autor ist Waliser wie Burton (der morgen vor 100 Jahren geboren wurde und dem der Sender „One“ mit einem Themenabend gratuliert). Daraus leitet er eine tiefe innere Verwandtschaft ab, eine grandiose Zerrissenheit, die ihn hemmungslos spekulieren und gern auch mäandern lässt. Über 600 Seiten ist meine Taschenbuchausgabe lang, und die Lektüre ist ebenfalls ziemlich unwiderstehlich. Man erfährt eine Menge über die Anziehungskräfte, die zwischen ihnen wirkten – Burton bewundert die Gründlichkeit, mit der Taylor seine Vorstellung des Weiblichen verkörpert; wie es scheint, haben sie kaum einen gemeinsamen Tag nüchtern verbracht -, aber erstaunlicherweise auch viel über den Beruf, den sie beide ausübten.
Beim Lesen wuchs mein Bedauern, dass ich mich seit einer halben Ewigkeit nicht mehr mit Burton beschäftigt habe - einen wie ihn nimmt man als Selbstverständlichkeit, er gehört zum Grundbestand der Filmgeschichte, den man kaum mehr überprüft. Dafür bin ich Almodóvars Film dankbar: Er brachte mich dazu, einen Vertrauten neu kennenzulernen. Auch seiner Darstellungskunst, daran lässt wiederum Roger Lewis keinen Zweifel, haftet ein Flair von Sensation und Vergeudung an. Übrigens bezieht er sich oft auf Burtons Tagebücher, die vor langer Zeit auch auf Deutsch erschienen. Die Lektüre ist ein einziges Wechselbad, in dem Banalitäten und Esprit, Seichtes und poetische Höhenflüge rasant ablösen. Burton ist hemmungslos offenherzig, erspart uns keine Gehässigkeit, die häufig auf Taylor zielt und ebenso oft auf Kollegen. Auch seine Bewunderung kann maßlos sein, ist aber in der Regel wohlerwogen. In einer meiner liebsten Stellen schreibt er über Rex Harrisons elegante Erscheinung: seine Kleidung schmiegt sich an ihn in dem Wissen, dass sie endlich zuhause angekommen ist.
Freilich ist er ein ganz anderes Kaliber als dieser, der den Vorgänger in Cleopatras Liebesleben spielte. Er ist überhaupt ein ganz anderes Kaliber als sämtliche britischen Schauspieler (inklusive seiner Saufkumpanen Richard Harris, Oliver Reed und Peter O'Toole): Er erstreitet dem Schwefelhaften ein Hausrecht im heimischen Kino. Seine Charaktere ringen mit Dämonen, von deren Existenz weniger belesene Zeitgenossen nicht die geringste Ahnung haben. Hören Sie sich nur einmal an, welch durchdringenden Klang er dem Wort "evil" geben kann, etwa in dem Satz "Wherever I look, I see Evil, God has fallen" aus dem vielgeschmähten "Exorzist II- Der Ketzer", wo er nach "Die Nacht des Leguan" zum zweiten Mal einen blasphemischen Priester spielt. Burton kratzt an der Firnis britischer Zivilisiertheit.
In seinen Figuren wie im Leben ringt er unablässig mit tradierten und eigenen Vorstellungen von Männlichkeit. Sie ist mit Furcht und Zweifel besetzt. Ein Star wurde er endgültig 1959 mit "Blick zurück im Zorn" (wobei man im Licht seiner weiteren Karriere das 2zurück" durch "voraus" ersetzen möchte). Sein Jimmy Porter ist ein geschwätziger Tyrann und zugleich Rebell der Liebe, wütend und unverschämt anlehnungsbedürftig. Er beschimpft Claire Bloom (mit der ihn auch in der Realität eine unselige Liebesgeschichte verband) als "evil-minded, little Virgin", woraufhin sie ihn ohrfeigt, das Präludium zu einem hitzigen Kuss. Erotische Anziehung ist bei ihm nie ohne Zorn und Abscheu zu haben. Übrigens ist Burton kein wirklich physischer Schauspieler, Handgreiflichkeiten verlaufen merkwürdig körperlos in seinen Filmen. Seine Sinnlichkeit ist verbal. "Ich bekomme schon einen Orgasmus" , wird Taylor in Lewis' Buch zitiert, "wenn ich nur seine Stimme höre." Sie ist eines der nobelsten Geräusche in der Film- und Bühnengeschichte überhaupt. Sie ist sonor, dunklen glühend, voll schneidender Trockenheit. Selbst in seinen minderen Filmen gelingt es ihm, die Schönheit der englischen Sprache in allen Nuancen durchzudeklinieren.
John Boorman erinnert sich, dass sein Körper während der Dreharbeiten zu "Exorzist II" ganz starr blieb (meist war er sturzbesoffen, aber es war eine Frage des Stolzes, jedem Satz glaubwürdig wirken zu lassen.) Burton spielte vom Nacken an aufwärts, mit dem anziehend pockennarbigen Gesicht, den blauben Augen und eben dieser unvergleichlichen Stimme. Das genügte, um seinen Charakteren bezwingend Präsenz zu verleihen. Unvorstellbar, dass er nicht das Kraftzentrum jeder Szene sein könnte, in der er auftrat. Boorman fiel freilich auch auf, wie schutzlos er sich der Kamera aussetzte, wie ein verwundetes Wild. Also musste er Abstand zu ihr halten, mit einer ruppigen Vornehmheit, die zu seinen Figuren passte. Burton ist auf der Leinwand ein Ein-Mann-Tribunal, das sein Urteil fällt über die Torheit der Menschen und die absurde Einrichtung der Welt. Er besaß unermesslichen Charme, dem er jedoch stets Ironie beifügte, nicht als Brechung, sondern als Verzierung. Der Sarkasmus war war sein Panzer, aber keine Zuflucht. Er wurde nie zu einer Parodie seiner Selbst, auch in den schlechtesten Filmen nicht, weil er furchtlos in die Abgründe blickte, die in ihm klafften.




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