Kritik zu Frisch
Thriller um ein Bruderpaar, das nach Jahren der Entfremdung aus ganz verschiedenen Lebenssituationen heraus aufeinanderstößt
Es ist ein für das deutsche Kino durchaus ungewöhnlicher Stoff. Damian John Harper adaptiert Mark McNays Roman »Fresh«, der von zwei ungleichen Brüdern in einem Londoner Vorort handelt, und verlegt die Handlung ins Ruhrgebiet. Dazu passt, dass der Regisseur selbst keine klassische deutsche Filmbiografie aufweist. Der gebürtige Amerikaner, der an der Filmhochschule in München studiert hat, nimmt sich nach »Los Àngeles« (2014) und »In the Middle of the River«, die in Mexiko und den USA spielten, erstmals einen deutschen Schauplatz fürs Kino vor.
Kai (Louis Hofmann) ist junger Vater, arbeitet mit seinem Onkel Andy (Sascha Gersak), bei dem er nach dem Verschwinden des Vaters und dem Tod der Mutter aufgewachsen ist, in einer Fleischfabrik und versucht mit seiner Frau Ayse (Canan Kir), so gut es geht über die Runden zu kommen. Als er die Nachricht erhält, dass sein gewalttätiger älterer Bruder Mirko (Franz Pätzold) vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wird, gerät sein Leben einmal mehr in Unruhe. Denn Kai sollte für Mirko 10 000 Euro aufbewahren, die er teilweise ausgegeben hat. Verzweifelt versucht er, das Geld aufzutreiben, während ihn Mirko immer mehr zurück in die Kriminalität zieht.
Harper beweist Gefühl für Milieuzeichnung und lässt seine Darsteller unter anderem Ruhrpottdialekt sprechen; Sätze wie »Die Maloche war nicht genug, um alle Rechnungen zu latzen« geben dem Film seinen Charme. Zu sehen sind Arbeiter, deren Highlight das Feierabendbier in ollen Spelunken ist, und Kriminelle, die aus der Tristesse heraus abgedriftet sind. Darüber hinaus bietet der Film eine stylische Inszenierung mit wummerndem Soundtrack, atmosphärischen Nachtaufnahmen und knallharten Gewaltexzessen. Damit löst er sich vom Stil deutscher Fernsehkrimis und orientiert sich deutlich stärker an amerikanischen Vorbildern. Ungewöhnlich ist zudem die Verspieltheit der Inszenierung: Kais Gedanken werden durch die Reibeisenstimme von Ralf Richter vorgetragen, die detaillierte Darstellung des Schlachtbetriebs und Schnitte auf im Fernsehen brüllende Löwen untermalen die Rohheit und animalische Gewalt. Louis Hofmann und Franz Pätzold bietet das Szenario Gelegenheit, ihr schauspielerisches Können zu zeigen. Pätzold gibt Mirko als tickende Zeitbombe mit grober Kraft und einem wahnwitzigen Blick, während Hofmann mit dezenter, aber ausdrucksstarker Mimik die Zerrissenheit seiner Figur verdeutlicht.
Ebenfalls charakteristisch ist die verschachtelte Erzählweise, die immer wieder zwischen der Gegenwart und früheren Lebensabschnitten der Brüder hin- und herspringt. Ein zwiespältiges Verfahren, denn teilweise unterbricht es den Rhythmus und macht es schwer, den Überblick zu behalten. Zugleich ergibt sich hieraus der eine oder andere Plot-Twist und im Zusammenschnitt von Gegenwart und Kindheit entfaltet die Bruderbeziehung ihre emotionale Wucht. Mirko war für Kai eigentlich der große Beschützer, ihre Bindung wurde durch den Verlust der Eltern besonders stark. Immer wieder schwören die jungen Westernfans sich: »Wir Apachen halten zusammen.« Mittlerweile blickt Kai jedoch mit Abscheu und Furcht auf den großen Bruder und erkennt, dass er sich von ihm lösen muss.
Familie in all ihrer Ambivalenz wird damit zum Kern des Films. Als direkte Anknüpfung zeigt sich eine Auseinandersetzung mit kritischen Männlichkeitsbildern: der rabiate, oft bierselige Andy, der gerade gegenüber Mirko Handgreiflichkeiten als Erziehungsmethode nutzt, Kais Gefühl, er müsse als Mann seiner Frau etwas bieten, weswegen er sich zwischenzeitlich ebenfalls auf kriminelle Machenschaften einlässt, und natürlich die Gewalt und das Machogehabe von Mirko. Dass Mirkos Verhalten letztendlich als Ausdruck fehlenden familiären Halts angesehen werden kann und er damit zugleich den Halt bedroht, den Kai durch seine neue Familie bekommt, ist die große Tragik des Films.
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